Kapitel 25

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Tessa keuchte. Nein! Das konnte nicht sein! Das musste ein Irrtum sein. Es handelte sich sicherlich um ein Missverständnis. Tessa wurde es heiß und kalt zugleich. Sie klammerte sich an der Armlehne des Sessels fest. Denny kam sofort herbeigeeilt, legte sanft eine Hand auf ihre Schulter und fragte, ob alles in Ordnung sei.

Tessa brachte keinen Ton heraus. Sie öffnete ihren Mund und schloss ihn gleich wieder. Es war, als hätte ihr jemand die Stimme gestohlen. Stattdessen deutete sie mit zittriger Hand auf die Handtasche von Lisbeth Miller.

Denny folgte ihrer Hand und blickte irritiert zwischen Tessa und der Handtasche hin und her. 

"Das ist eine Handtasche", schlussfolgerte er. "Ich verstehe nicht viel von Handtaschen, was ist los Tessa? Rede mit mir."

"Sie...sie...sie gehört Lisbeth Miller!", stieß sie endlich hervor. Tessa fühlte sich so ausgelaugt, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen.

"Lisbeth Miller? Ist das nicht die Frau, die vor kurzem verschwunden ist? Bist du dir sicher, dass das ihre Handtasche ist? Es gibt viele Handtaschen auf dieser Welt. Vielleicht verwechselt du sie nur und sie sieht der von Lisbeth Miller nur sehr ähnlich."

Tessa schüttelte heftig mit dem Kopf. "Nein. Ausgeschlossen. Es ist die Handtasche von Lisbeth. Sie ist ein Einzelstück. Ein Kind hat sie für sie genäht. Ich würde diese Handtasche aus Millionen von Handtaschen wieder erkennen."

Denny nickte. "Okay, aber was hat sie hier zu suchen? Glaubst du Lisbeth war bei Samuel zu Besuch und hat sie hier vergessen?"

"Wohl kaum", erwiderte Tessa und setzte sich in den leeren Sessel. "Lisbeth wird seit Dienstag vermisst. Sie ist das neuste Opfer des Entführers. Falls Lisbeth zuvor hier gewesen war, wie konnte Samuel es so lange nicht bemerken, dass sie ihre Handtasche hier vergessen hatte? Zumal er bis vor wenigen Minuten noch hier saß."

"Tessa. Ich weiß, du kannst Samuel nicht besonders leiden. Und ich weiß, dass du denkst, dass er etwas verbirgt. Bis jetzt war ich auch immer auf deiner Seite und wollte dir helfen.  Aber das, was du jetzt gerade andeutest, Tessa, geht in eine ganz andere Richtung."

Tessa blickte Denny verzweifelt an und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Sie stützte ihren Kopf in ihre Hände und starrte zwischen ihren Armen auf den Boden.

"Aber jetzt sag mir nicht, dass das nicht verdächtig für dich aussieht!", brauste Tessa auf.

"Ich weiß es nicht, aber es könnte doch auch genau so gut sein, dass Lisbeth ihre Handtasche hier vergessen hat und Samuel aus Angst vor der Polizei, sich nicht traut, die Handtasche abzugeben. Vielleicht hat er Angst, dass er dann selbst als Entführer dargestellt wird."

"Wenn er nichts mit Lisbeths Entführung zu tun hat, dann hat er ja nichts zu verbergen, oder? Dann kann die Polizei sein Haus durchsuchen und feststellen, dass sie den Falschen verdächtigt haben."

"Nein, Tessa, das ist nicht so einfach. Samuel steht im Rampenlicht. Er hat einen Ruf zu verlieren. Wenn er einmal verdächtigt wird, mit diesen Entführungen in Zusammenhang zu stehen, dann wird er das nie wieder los. Die Journalisten werden es immer und immer wieder ausgraben."

"Jetzt redest du schon wie Susan", sagte Tessa und blickte resigniert in die immer kleiner werdenden Flammen des Kamins.

Denny blickte sie mitfühlend an und antwortete:"Tut mir Leid, so habe ich das nicht gemeint, ich wollte dir nur..."

Aber weiter kam Denny nicht, denn in genau dem Moment hörten sie, wie eine Tür aufgeschlossen wurde und mit einem Knall wieder ins Schloss fiel. Tessa und Denny schauten sich panisch an.

Samuel war zurückgekehrt!

Denny legte den Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete Tessa keinen Mucks zu machen. Gleichzeitig hielt er ihr die ausgestreckte Hand entgegen, die Tessa dankend ergriff. Das Herz war ihr in die Hose gerutscht und ihr Atem ging stoßweise. Ihr Kopf war völlig leer gefegt, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und saß wie paralysiert da. Sie war froh, als Denny die Initiative ergriff und sie von ihrem Platz hochzog.

Geistesgegenwärtig wollte sie nach der Tasche von Lisbeth greifen, aber Denny hielt ihren Arm fest und schüttelte lautlos den Kopf. Er hatte recht, es wäre zu auffällig die Tasche mitzunehmen. Samuel würde sofort wissen, dass jemand während seiner Abwesenheit im Haus gewesen sein musste. Zum wiederholten Male betete Tessa, dass es in diesem Haus keine Kameras gab, auf denen die beiden zu sehen waren.

Denny zog Tessa in geduckter Haltung aus dem Schein des Feuers. Das Zimmer hatte nur diesen einen Eingang. Sie mussten es irgendwie schaffen, unbemerkt aus dem Zimmer zu kommen. Denny presste sich fest gegen die Bücherregale an der Wand und Tessa tat es ihm nach. Sie versuchten dem Licht zu entfliehen und sich in den Schatten unsichtbar zu machen. Ihnen war jedoch klar, dass Samuel sie sofort entdecken würde, wenn er jetzt das Zimmer betreten würde.

Tessas Herz schlug ihr bis zum Hals, sie traute sich kaum zu atmen, aus Angst, Samuel könnte sie hören. Plötzlich konnte Tessa Samuel am Eingang des Zimmers erkennen. Schnell gingen sie in die Hocke und versuchten sich noch kleiner zu machen. Samuel blieb vor dem Zimmer stehen und stemmte die linke Hand in die Hüfte, mit der rechten fing er an durch seinen Bart zu streichen. Er wirkte nachdenklich.

Plötzlich drehte er sich nach rechts und betrat das Zimmer, in dem Tessa und Denny sich gerade versteckten. Tessa riss panisch die Augen auf. Was sollten sie jetzt nur tun? Dennys Hand verstärkte den Griff und er fing an, sie wieder in Richtung Kamin zu drängen. Was tat er denn da? Im flackernden Licht der Flammen wären sie nur allzu leicht zu erkennen. Aber dann verstand Tessa, Denny wollte sich die großen Sessel des Kamins zunutze machen und sich in ihrem Schatten verstecken. Lautlos ließ sich Tessa auf die Knie fallen und krabbelte in Richtung des Sessels, in dem sie vorhin noch gesessen hatte als sie die Handtasche von Lisbeth Miller entdeckte.

Der Schatten des Sessels war gerade groß genug, dass er Denny und Tessa verschluckte. Tessa konnte Samuels Schritte hören, sie kamen immer näher und dann entfernten sie sich wieder ein Stück. Sie konnte hören, wie er einen Seufzer ausstieß, vorsichtig spitzte Tessa um den Sessel herum.

Samuel stand mit dem Rücken zu ihnen, mit den Händen stützte er sich an den Seiten der Glasvitrine ab, den Kopf hatte er gegen die Scheibe gelehnt. Das war ihre Chance! Sie mussten aus dem Zimmer flüchten, so lange Samuel ihnen den Rücken zugewandt hatte. Tessa kam wieder zurück in den Schutz des Schattens und bedeutete Denny, dass sie sofort fliehen mussten.

In geduckter Haltung schlichen die beiden in Richtung Tür. Tessa ließ Samuel nicht aus den Augen um sicherzugehen, dass er immer noch den Kopf an die Glasvitrine gelehnt hatte und nicht mitbekam, wie die beiden sich aus seinem Haus stahlen. Ihr Herz machte einen Hüpfer als sie der Zimmertür so nahe waren, dass es nur noch wenige Schritte bis in die Eingangshalle waren.

Plötzlich spürte Tessa, wie sie gegen etwas hartes stieß. Schnell drehte sie den Kopf und erkannte mit schreckgeweiteten Augen, dass sie gegen ein kleines Tischchen gestoßen war, auf dem eine antike Vase stand. Wo kam die denn auf einmal her? Sie war Tessa zuvor nicht aufgefallen, aber es war zu spät sie aufzufangen, Denny und sie waren geliefert!

Denny sprintete los und zog Tessa in sekundenschnelle um die Ecke in die Eingangshalle. Keinen Moment zu spät, Tessa konnte die Vase auf dem Dielenboden aufschlagen hören und in tausend kleine Scherben zersplittern hören.

"Hallo? Wer ist da?", hörten sie Samuel aus dem Kaminzimmer rufen. Es war vorbei! Jetzt würde Samuel sie entdecken und die Polizei rufen.

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