Ohne Verstand, ohne Mut... aber mit Herz

2.1K 143 473
                                    

Kapitel 14 Ohne Verstand, ohne Mut... aber mit Herz

Kain macht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche unwillkürlich zurück. Ich bin kein Fan von vergangenheitströstenden Umarmungen oder weltschmerzheilenden Gesten. Es änderte nichts. Weder das nagende Gefühl, noch das beißende Unvergessen. Ich brauche das nicht. Er wiederholt die Geste des auf mich zu Kommens. Es ist nur der Ansatz, doch ich flüchte weiter in den Raum hinein, um den größtmöglichen Abstand zwischen uns zu bekommen.

„Nicht", entflieht es mir. Sein Blick ist mir unangenehm genug. Kains Arme zucken kurz nach oben. Dann lehnt er sich gegen meinen Schreibtisch, lässt seine Hände darauf sinken. Wieder trifft mich dieser intensive Blick, scheint mich zu durchdringen und sorgt dafür, dass sich der Schmerz in meinem Inneren überall hin ausbreitet. Ich kann das nicht.

„Robin...", setzt er ruhig an.

„Nein!", sage ich, ohne darüber nachzudenken und seine Worte abzuwarten. Es ist so eindeutig, dass Kain kaum merklich zusammenzuckt. Ich brauche das nicht. Ich möchte nicht darüber reden. Ich will nicht mal daran denken.

„Ich lasse dich in Ruhe, wenn du es mir sagst und ich gehe, wenn du es willst. Ganz einfach", spricht er diesmal aus.

„Ich brauche eine Zigarette", murmele ich unwirsch und greife nach der Strickjacke, die auf meinem Schreibtischstuhl liegt. Das Gefühl in meiner Magengegend wird immer unerträglicher. Es ist schwer und drückt Gedanken nach oben, die ich gern tief versunken gelassen hätte. Ich will diese Gefühle nicht und ich will Kain nicht andauernd so labil gegenübertreten. Wozu will er das überhaupt wissen? Was verspricht er sich davon? Seit Jahren versuche ich mein Bestes, nicht darüber nachdenken zu müssen. Nicht darüber zu reden, weil es mich jedes Mal wieder in Stücke reißt. Niemand muss es wissen.

Noch im Gehen fummele nach einer Nikotindröhnung, doch trotz mehrmaligen Abtasten kann ich keine Zigarettenpackung finden. Auf der Hälfte der Treppe nach unten mache ich auf dem Absatz kehrt, bleibe oben wieder stehen und drehe abermals um. Das ist lächerlich. Dann eben keine Zigaretten. Draußen kehrt sich das Gefühl sofort wieder um. Ich will unbedingt Nikotin. Irgendjemand wird schon zu finden sein. Ich laufe zur juristischen Fakultät, in der Hoffnung, dort einen übernächtigten Jurastudenten anzutreffen, der sich mit ein paar Zigaretten und Energydrinks Paragraphen reinzieht. Nichts. Auch der Abstecher zu Abels Homebase, der Fakultät für Prozesswissenschaften, bringt keine Punkte an der Nikotinfront. Langsam werde ich hibbelig, spüre die Nervosität vor allen in meinen Händen. Ich fühle mich ruhelos und schaffe es einfach nicht, meine Gedanken zu ordnen. Ich lasse meinen Blick umher schweifen. Der Sportplatz befindet sich direkt vor meiner Nase. Ein paar Körbe zu werfen, würde mir jetzt helfen. Oder ich sollte einfach eine Runde um den Platz joggen. Die Anstrengung würde mir wahrscheinlich einen Schlaganfall bescheren. Problem gelöst.

Ein letzter Blick zum Feld. Ich atme tief ein. Nächster Halt; der Foodstore. Niemand steht draußen und natürlich habe ich kein Geld in der Tasche. Abgesehen von dreißig lausigen Cent, die in meiner Hose rumkullern. Mir wird langsam kalt und es beginnt zu nieseln. Erst, als ich vor der Fakultät ankomme, in der auch die Campuszeitung untergebracht ist, finde ich endlich jemanden, der den für mich begehrenswerten Glimmstängel in den Händen hält. Ein großer, blonder Typ. Er hat etwas Rockiges. Lederjacke. Enge dunkle Jeans. Er tippt auf seinem Handy rum, während ihn eine zierliche Brünette volltextet. Sie verschwindet ins Gebäude, bevor ich bei ihnen angekommen bin. Ich kenne ihn nicht. Er sieht noch immer auf sein leuchtendes Display. Als ich näher komme, lässt das Licht sein komplett gepierctes rechtes Ohr glitzern.

„Hey, hast du zufällig noch eine Zigarette für mich übrig?", frage ich gerade heraus und sehe, wie er mich mit blauen Augen anschaut. Er mustert mich. Zweimal. Von unten nach oben und danach noch in die Gegenrichtung. Ich sehe reichlich seltsam aus in meiner kaputten Hausjeans und der wenig eleganten Strickjacke. Der Typ klemmt sich seine Zigarette zwischen die Lippen und zieht aus seiner Jackeninnentasche eine fast volle Packung. Er reicht sie mir. Meine Lunge macht einen freudigen Hüpfer. Seltsames Gefühl. Eins zu null für die Sucht

Between the Lines - The wonderful world of wordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt