Deeskalationsknigge für angehende Ornithologen und Steinflüsterer

2K 141 244
                                    

Kapitel 18 Deeskalationsknigge für angehende Ornithologen und Steinflüsterer

„Du könntest gleich Ben mitnehmen", philosophiert mein Kindheitsfreund fröhlich weiter und schiebt sich munter einen weiteren Löffel Mittag in den Mund. Ich brauche einen Moment, um mich aus meiner Schockstarre zu lösen.

„Wie selbst?", kommentiere ich fassungslos und stecke gedanklich noch immer bei der Aufforderung fest, allein nach Hause fahren zu müssen.

„Na ja, er kann nicht wochenlang allein im Zimmer bleiben", erklärt Jeff, wischt sich Reiskörner von der Lippe und ignoriert meinen irritierten Gesichtsausdruck.

„Warte. Warte. Was heißt, ich muss allein nach Hause kommen?", bringe ich meine eigentliche Irritation zurück auf den Punkt. Jeff sieht fragend auf, während ich ihm einen mehr als entgeisterten Blick schenke und mich weigere, darüber nachzudenken, dass ich nach der Urlaubsankündigung allein darauf hätte kommen müssen.

„Unser Flug geht am Montag und du schreibst Mittwoch noch Klausur oder irre ich mich?" Jeff kaut, lächelt und sieht zu dem anderen Blonden, der genauso breit grinsend versucht, einen weiteren Nudelhaufen in seinen Mund zu manövrieren. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Abels Gehirn für ein solches Multitasking nicht ausgelegt ist. Der Nudelberg fällt von der Gabel, landet in einer Tomatenpfütze und hinterlässt ein paar nette Spritzer auf seinem grauen, zerknitterten T-Shirt.

„Ja, schon, aber...Ich bekomme doch jetzt keine bezahlbaren Zugtickets mehr", quengele ich theatralisch. Das mit Jeffs Zimmerpflanze ist immer noch nicht bei mir angekommen.

„Es gibt sicher noch günstige Flugtickets. Inlandsflügen sind gar nicht so teuer und es wäre mitten in der Woche", merkt Jeff an. Kain nickt und zerteilt sittsam die Spaghetti in mundgerechte Stücke. So, wie ich es auch machen würde. Er bleibt schweigsam.

„So ein Aufstand, du Dramaqueen. Anscheinend hast du doch Kohle", grunzt Abel in die Runde und macht dabei eine Bewegung, als würde er sich etwas gegen den Hals spritzen. Die Andeutung verstehe wahrscheinlich nur ich. Ich schenke ihm einen deutlichen Fingerzeig meiner Abneigung ohne ihn noch mal anzusehen.

„Hey Jungs, bleibt friedlich." Mein Mitbewohner greift nach dem bösen Finger und tadelt mich mit seinem Jeff-Blick. Auch das Tomatengesicht wird gemaßregelt.

„Gib ihm einfach das Auto, Jeff und gut ist?", schlägt Kain vor und spießt einen zu groß geratenen Hackfleischklumpen auf.

„Nein", sagen Jeff und ich gleichzeitig und gleichermaßen energisch. Ich blicke meinem Kindheitsfreund verärgert an, weil ich mit einer derartig ablehnenden Reaktion nicht gerechnet habe, während Jeff über sich selbst verwundert zwischen uns dreien hin und her sieht. Auch Kain blickt uns verblüfft entgegen und mein Zimmerkumpan sieht sich genötigt, das Ganze zu erklären.

„Er hat gar keinen Führerschein und ich mag mein Auto." Kains Blick verharrt für einen Moment bei dem Blonden und wandert daraufhin zu mir. Ich zucke nur mit den Schultern und warte darauf, dass die Frage kommt, warum ich in meinem Alter keinen besitze. Stattdessen erzählt mein werter Kindheitsfreund freimütig, dass ich zweimal durch die praktische Fahrprüfung gerauscht bin und mich beim dritten Mal geweigert habe, überhaupt vom Parkplatz loszufahren. Wahrlich keine Glanzleistung. Aber ich haben meine Gründe. Kains braune Augen mustern mich mit einer Mischung aus Mitleid und absoluter Belustigung.

„Lässt du mich mit deinem Auto fahren?", fragt Kain an Jeff, nachdem er sich auf die Unterlippe beißt, um nicht doch noch laut los zu lachen.

„Wieso?" Das Misstrauen scheint dem Blonden regelrecht aus dem Gesicht zufließen.

Between the Lines - The wonderful world of wordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt