Ich weiß nicht, was ich wollen soll

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Kapitel 26 Ich weiß nicht, was ich wollen soll

Jeffs blaue Augen funkeln mir entgegen. Diesmal bin ich mir sicher, dass er von keiner meiner lang zurückliegenden Eskapaden spricht oder von Sina. Nein, diesmal meint er das, wovor ich mich schon so lange drücke. Jeff wartet darauf, dass ich etwas erwidere, aber ich kann nicht. Stattdessen sehe ich dabei zu, wie mein Kindheitsfreund hartnäckig seine Lippen aufeinanderpresst und jeden Moment wie ein Ballon anschwillt und abhebt.

„Und?", entflieht ihn mit einem geblähten, ausstoßenden Laut.

„Es ist nicht, was du denkst", sage ich aus der Gewohnheit heraus und bringe es nicht über die Lippen, es nur Sex zu nennen oder es überhaupt irgendwie zu benennen.

„Ach komm! Ist das dein Ernst, nicht mal jetzt kannst du es zugeben?", blafft er wütend zurück. Er streicht sich fahrig durch die ungemachten Haare und schüttelt seinen Kopf.

„Ich weiß es schon eine ganze Weile... also lass es. Und ich verstehe es nicht."

„Was genau verstehst du nicht?"

„Wieso du es mir nicht gesagt hast."

„Was willst du denn jetzt hören?", watsche ich zurück. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich es ihm nicht gesagt habe. Am Anfang war es Sex und nichts anderes. Nichts, was ich Jeff jemals brühwarm aufgetischt hätte. Nie habe ich und nie werde ich.

„Die Wahrheit wäre ganz nett."

„Hey, komm...", entgegne ich angepisst, "Ich habe dich nie belogen und du bist doch genauso selbstverständlich davon ausgegangen, dass es mir vollkommen egal ist, dass du schwul bist und einen Freund hast. Also, bitte ... ich ging von der gleichen Annahme aus. Meine Sexgeschichten haben dich sonst auch nicht interessiert." Seine Überreaktion regt mich auf und das soll er wissen. Auch, wenn dieses 'So, wie du mir, so ich dir' ziemlich kindisch ist.

„Ganz toll. Du gibst mir die Schuld, weil ich dir nicht sofort gesagt habe, dass ich schwul bin und einen Freund habe? Wärst du nicht so ein ignoranter Idiot, hättest du es von allein gemerkt. Und die Tatsache, dass du mir das mit Kain nicht erzählt hast, zeigt doch deutlich, dass du nicht denkst, dass es mir egal ist." Langsam dreht sich mein Schädel. Ich brauche von der letzten Tirade eine Kurzfassung.

„Was?", entflieht mir demzufolge genervt und Jeff antwortet mir prompt.

„Du hattest nicht den Arsch in der Hose und es ist dir nicht egal, was ich denke", bellt er mir das Resümee zu. Wäre ich nicht so verwirrt und sauer, würde ich ihm danken. Er hat Recht. Erst war es mir nicht wichtig und dann hatte ich einfach nicht den Mut.

„Nein, ist es nicht und es gibt gar nichts zu erzählen. Es ist Sex." Nun hab ich es doch gesagt.

„Sex mit Kain!" Der ausgesprochenen Namen des schwarzhaarigen Mannes setzt in meinem Körper eine seltsame Regung in Gang. Alles beginnt zu kribbeln. Doch gerade ist es mir unangenehm. Ich wende mich frustriert von meinem Mitbewohner ab, fahre mir seufzend durch die Haare und einmal übers Gesicht. Wie heißt es noch mal? Fidibidiverschwindibus? Klappt nicht. Jeff holt gerade wieder Luft.

„Du vertraust mir nicht. Was denkst du denn, was ich getan oder gesagt hätte?"

„Keine Ahnung. Vermutlich, dass du es überdramatisierst und Dinge hineininterpretierst, die nicht stimmen. Genauso, wie du es jetzt machst", pampe ich ihn an, als ich mich wieder umdrehe.

„Das mache ich nur, weil du mir nie etwas erzählst und mit Kain schläfst."

„Kannst du damit aufhören!"

„Womit?"

„Na, es ständig auszusprechen!"

„Was, dass du mit Kain schläfst? Ihn vögelst? Dass ihr den Nacktboogie tanzt. Ihr beide miteinander fickt?" Wie lautmalerisch.

Between the Lines - The wonderful world of wordsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt