Kapitel 25 Von der Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen
Jeder Muskel in meinem Rücken scheint mit einem Mal zum Bersten gespannt. Ich ziehe die Schultern soweit zurück, dass ich problemlos rückwärts meine Arme verschränken könnte und sehe dabei zu, wie mein Mitbewohner mit undefinierbarer Miene auf mich zusteuert. Er hat eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen. Ist er wütend? Verärgert? Sein linker Mundwinkel zuckt. Allerdings in die positive Richtung, nach oben. Es wirkt schelmisch. Also ist er amüsiert? Ich bin verwirrt. Anscheinend braucht meine Emotionserkennung einen Reboot. Mein Blick wandert unruhig zu Abel, der hinter Jeff her trabt und mich mit matten blauen Augen fokussiert. In seinem Gesicht regt sich nichts, außer der permanenten Dämlichkeit. Somit habe ich immer noch kein Anhaltspunkt zu der aktuellen Gefühlslage der einzelnen Parteien.
„Und ist es wahr?", fragt mein Mitbewohner erneut und bleibt unvermittelt vor mir stehen. Sehr nah. Sehr direkt.
„Was?", erfrage ich vorsichtig und sehe unabsichtlich wieder an Jeff vorbei zu Abel. In dessen Gesicht hat sich immer noch nichts getan. Ich könnte auch einen Esel beim Trampeln zu schauen oder einer Kuh beim Kauen. Ich schaue zurück zu meinem Jugendfreund. Dessen Mundwinkelzucken ist noch da.
„Dass du Sina halbnackt abserviert hast? Du mieser Filou." Mit dieser Aussage stößt er mir seine Handfläche gegen den Arm und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich bin mir gerade nicht mal sicher, was mein Gesicht macht.
„Wer erzählt das?", frage ich atemlos. Ich habe unbeabsichtigt während Jeffs Männergebärden den Atem angehalten und merke schnell den Mangel an Sauerstoff. Wer um Himmelswillen könnten Sina und mich gesehen haben? Es ist doch niemand auf dem Campus.
„Sie! Sie hat sich dir lüstern an den Hals geworfen und du hast sie praktisch stehen gelassen", fasst er malerisch zusammen. Ich greife mir an den Kopf.
„Das hat sie dir gesagt?", frage ich argwöhnisch. Hölle, was hat sie ihm noch gesagt? Die Panik findet mit heftigem Herzschlag zu mir zurück.
Ich bekomme gleich einen Herzinfarkt. Mit Sicherheit jeden Augenblick. Ich spüre schon den verdächtigen Schmerz in meinem linken Oberarm. Wobei auch das dem Schlag geschuldet sein kann, den mir Jeff verpasst hat. Mein Körper begreift allmählich, dass er auch ohne Zutun einer konkreten Ansage von allein atmen muss. Allerdings begreift er das sehr langsam. Vielleicht helfe ich ihm einfach etwas aus. Atmen. Atmen. Atmen. Beinahe sage ich es laut.
„Nein, hat sie nicht. Sie hat mit Kati telefoniert und ich hab es zufällig gehört...", erklärt er.
„Du hast sie belauscht", stelle ich richtig. Jeff sieht ertappt aus und zögert, bevor er sich rechtfertigt.
„Ein bisschen vielleicht... Okay, ja, aber darum geht es nicht!" Ich runzele die Stirn und sehe ihn entgeistert an. Innerlich kämpfe ich noch immer mit der Aufregung über die mögliche Entdeckung von Kain und meiner sexuell sehr aktiven Neugier. Ich ziehe ein letztes Mal an meiner Zigarette, die sowieso nur noch ein trauriger Stummel voll Asche und Selbstmitleid ist und bereue es. Der Geschmack des Filtermaterials breitet sich auf meiner Zunge aus. Ich verziehe angewidert das Gesicht und schnipse die Zigarette energisch ins Beet.
„Die Frage ist eher, wieso lehnst du eine heiße Nacht mit einer hübschen, willigen Frau ab?"
„Wieso nicht?"
„Wer bist du?", gibt Jeff entgeistert retour.
„Echt jetzt?", frage ich entgeistert, „Du hast das ausschlaggebende Blond vergessen..." Hört mir eigentlich nie jemand zu? Blond ist nicht mein Fall.
„Genau, Robin steht mehr auf dunkelhaarig...schwarz zum Beispiel", gibt nun auch Abel zum Besten, sieht mich schelmisch an und ich schwöre, dass ich etwas nach ihm werfen würde, wenn ich irgendwas zur Hand hätte. Gern etwas Spitzes, Scharfes oder Schweres. Gern alles zusammen. Mir bleibt allerdings nichts anderes übrig, als bitter zu lächeln.
DU LIEST GERADE
Between the Lines - The wonderful world of words
Romantik~Mein Name ist Robin Quinn. Gefühle sind nicht mein Ding und doch verdiene ich neben dem Studium meinen Lebensunterhalt damit, erfolgreich kitschige Liebesromane zu schreiben. Ein Widerspruch? Absolut! Doch darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken...