27.Kapitel Familiäre Besucher

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Vereinzelte Sonnenstrahlen kämpften sich durch das dichte Blätterdach und erreichten den Waldboden, um mir den Weg zu erleuchten. Vorsichtig schlich ich voran und erinnerte mich an Johns Worte zurück. In dem Wald sollte es von Wanderern nur so wimmeln, er befürchtete Spionage. Mit dieser Vermutung konnte er auch gar nicht so falsch liegen. Immer wieder schlich sich der sorgenvolle Blick Monroes in meinen Kopf, als er den mysteriösen Brief auf seinen Tisch legte. Irgendetwas stimmte hier nicht und ich musste der Sache auf den Grund gehen und die anderen warnen, ansonsten befürchtete ich fatale Konsequenzen. Denn in meinem Hinterkopf formte sich bereits eine dunkle Vermutung, wer uns beobachten lässt.
Ein Zweig knackte hinter mir und ich wirbelte herum, packte meine Pistole und streckte sie aus, bereit meinen Feind zu erschießen. ,,Mary! Bitte beruhige dich! Ich bin es nur!" Der Mann wich vor mir zurück und hob die Hände als Schutz bis ich ihn erkannte. ,,Jasper!", rief ich aus und sah ihn mit großen Augen an. Ich hörte jemand weiteres der sich von hinten mir näherte. Er lachte kurz und klatschte in die Hände. ,,Du bist tatsächlich aggressiver geworden, Schwesterherz. Vater hat einen Fehler mit dir begangen, als er dich für diesen Plan auswählte. Hätte er mich gewählt, so hätten wir heute nicht so viele Probleme." ,,Aaron.", begrüßte ich ihn.
Jasper Tailor und Aaron Tailor, meine beiden verbliebenen Brüder. Meine Befürchtungen wurden war. Wenn die beiden hier waren, konnte mein Vater nicht weit sein. Ich sah mich prüfend um und steckte die Pistole zurück. Doch ich kannte die Trickkiste meines Vaters. Denn auf ihn würde ich nicht hören, aber vielleicht auf meine Brüder. Sie würden versuchen mich weich zu reden. Mein Körper spannte sich an, ich war auf alles gefasst und doch musste ich meine Freude zurück halten. Schließlich hatte ich sie lange nicht mehr gesehen und nach Williams tot schenkten sie mir Trost.
,,Was ist los bei dir, Mary?", begann Jasper und sah mich fragend an, ,,Warum hört man nichts mehr von dir?" ,,Was soll der ganze Unfug?", pflichtete Aaron ihm bei und beide sahen mich an. ,,Schön euch zu sehen.", entgegnete ich abwehrend, ,,Was wollt ihr hier?" Ich sah in Jaspers Augen Sorge schimmern. ,,Oh Mary..", murmelte er leise, ,, Isabel erreichte unseren Vater mit tränenüberrolltem Gesicht und erzählte von dem Vorfall mit William. Er wurde stinksauer. Er rief uns zu sich und versuchte mit dir Kontakt aufzunehmen, aber du und Jim wart wie vom Erdboden verschluckt. Warum warst du nicht bei Williams Beerdigung?" Schuldbewusst sah ich zu Boden und antwortete leise:,, Ich-ich war beschäftigt.." Ich war damit beschäftigt einen Verbrecher und seine Bande über die Berge zu jagen. ,,Vater hat sich Sorgen um dich gemacht..", brummte Aaron und verschrenkte die Arme vor der Brust, ,,Du und Jim wart fort, er befürchtete schon dieser Clintch hätte euch beseitigt. Doch dann erfuhren wir von diesem Banküberfall und das du dich der Bande gestellt hast." ,,Du glaubst gar nicht wie stolz Vater auf dich war! Wir nahmen sofort den direkten Weg zu dieser Stadt, er wollte dich unbedingt unterstützen.", erzählte Jasper mir mit hellen, leuchtenden Augen und sah mich begeistert an. ,,Mein Vater war stolz auf mich...?", ich sah meinen Bruder erstaunt an, das hätte ich niemals für möglich gehalten, ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie Enttäuscht er dann gewesen sein musste. Mir zog sich mein Herz zusammen. Aaron nickte bedächtig. ,,Doch dann wart ihr wieder wie vom Erdboden verschluckt und keiner konnte uns sagen, was in der Bank vor sich gegangen ist. Bis wir einige Zeit danach erfuhren, das du mit der Bande gesichtet wurdest, die du eigentlich an den Galgen hängen solltest." Jasper packte mich an den Schultern und sah mich ernst an. ,,Vater wurde stinksauer. Er wird dich in Fetzen reißen wenn er dich sieht.", redete er eindringlich auf mich ein, ,,Was hast du dir denn nur dabei gedacht?" ,,Und wo ist Jim? Ich dachte er sollte ein wenig auf dich aufpassen?", bemerkte Aaron und sah sich um. ,,Jim ist tot.", antwortete ich ihm standfest, ,,Er kam ums Leben als wir versuchten uns der Bande zu widersetzen." Aaron versank im nachdenklichen Schweigen. Doch Jasper hielt nicht locker. Er sprach:,, Und das heißt das du dich ihnen angeschlossen hast  damit sie dich nicht auch umbringen? Mary, du musst endlich verstehen das du zwischen zwei Fronten stehst. Vater wird kommen und die Bande niedermetzeln, ob nun mit oder ohne dir. Du musst dich langsam für eine Seite entscheiden." Ich ging einige Schritte zurück. Mein Vater! Nun verstand ich seine Trickkiste. Meine Brüder waren nicht nur hier um mich vom Gegenteil zu überzeugen, sie waren auch hier um mich abzulenken, damit mein Vater in unser Lager eindringen konnte und seinen Frust ausleben konnte, ohne befürchten zu müssen seine Tochter zu verletzen. Mein Herz hämmerte in der Brust. ,,Ich muss zurück!", rief ich aus und wirbelte herum. Jasper streckte die Hand aus und wollte nach mir greifen, bekam mich aber nicht zu fassen. ,,Mary!", rief Aaron mir hinterher, ,,Du kannst da jetzt nicht aufkreuzen!" Ich drehte mich noch einmal zu ihnen um und rief:,, Doch das kann ich! Denn sie sind meine Freunde. Ich habe mich bereits entschieden!" Ich rannte weiter und hörte wie meine Brüder mir folgten. Die Sorge fraß sich in meinen Magen, wie ein Parasit. Ich kannte meinen Vater. Er würde immer aggressiver werden, wenn es nicht so klappte wie er es gerne hätte. Stellte ich mir meinen Vater vor, wie er vor Clintch stand. Beide aggressiv, tickende Bomben, die beide nur einen Funken benötigten um zu explodieren. Panik packte mich. Und letztendlich war ich die Barriere zwischen den beiden, die verhinderte das weder der eine, noch der andere in die Luft ging. Ich verschnellerte mein Tempo, als ich die Planwagen zwischen den Bäumen entdeckte. Ich sprang über einen umgestürzten Baum, umrundete einen Brombeerbusch und stürzte mich mitten in das Lager. Wie angewurzelt blieb ich stehen, meine Brüder holten mich ein. Tatsächlich hatte mein Vater das Lager übernommen. Er stand in der Mitte und streckte den Arm aus, bereit den Gesetzlosen in ihr Herz zu schießen, doch da stürzte ich in das Lager und hinderte ihn daran zu schießen, denn er zögerte. ,,Mary.", sagte er, mit einem Ton, den ich nicht deuten konnte. Er warf meinen Brüdern einen Blick zu. Einen Blick der so viel sagte, ihr hättet sie doch ablenken sollen! Die Größe meines Vaters ähnelte einem Zwerg, doch wegen seiner Größe sollte man ihn nicht unterschätzen. Dennoch wirkte er heute größer als sonst. Seinen langer, grauer Bart wurde gekürzt, so wie er es immer machte wenn er auf die Jagd ging. Ich sah mich im Lager um. Sindy beugte sich über Karl und murmelte ihm beruhigend zu. Er blutete stark aus der Brust und atmete schwer. Amanda, Grace und Becky saßen einige Schritte abseits von ihnen auf dem Boden. Grace drückte ihre Tochter fest an sich und funkelte die Kopfgeldjäger, die um sie herum standen, gefährlich an. Amanda hielt sich ein verletztes Bein, während Becky sich einen Plan zu überlegen schien. Mein Vater zielte auf Gustav. Dessen Augen funkelte grausam, ich bemerkte einen Riss in seinem Hals, aus dem Blut hervor quillte. Zu seinen Füßen wurde Michah von einigen Kopfgeldjägern zu Boden gedrückt und mit einer Pistole bedroht. Frank, Mitch, John und Clintch waren nicht zu sehen. Ich atmete erleichtert aus. Die vier waren auf die Jagd gegangen. Ich hatte versucht es Clintch auszureden, er solle sich lieber noch ein bisschen ausruhen, doch zum Glück hatte er nicht auf mich gehört.
Ich stand meinem Vater gegenüber und fühlte mich als sei er der mächtigste Mann im Land, ich wusste nicht was ich sagen sollte.
,,Lass uns in Ruhe..", murmelte ich und starrte meinen Vater in die blaugrauen Augen. In ihnen sah ich Wut und Enttäuschung, gemischt mit Fassungslosigkeit und Entrüstung. ,,Uns? Mary, du zählst dich doch wohl nicht als einer von denen?", mein Vater ließ die Waffe sinken, doch sogleich hielten andere Kopfgeldjäger die Waffen auf Gustav. Ich streckte den Kopf in die Höhe. ,,Du hast schon richtig gehört, Vater. Ich gehöre nicht mehr zu euch, ich gehöre jetzt zu den anderen. Wenn du sie angreifst, dann musst du auch mich angreifen.", sprach ich mit stolzem Ton und kam auf meinen Vater zu. Er tat es mir gleich und näherte sich mir mit zwei langen Schritten. ,,Das kann doch nicht dein Ernst sein!", rief er aus, ,,Dieser Bandenanführer hat dir den Kopf verdreht! Komm wieder zur Besinnung!" Er wandte sich von mir ab und wandte sich wieder der Bande zu. Er streckte die Arme weit aus, als begrüßte er jemanden. ,,Wenn wir gerade dabei sind! Wo versteckt sich euer Anführer? Clintch war sein Name nicht wahr? Ich will ihn sehen! Er soll sich zeigen! Oder ist er so ein Egoist und lässt seine Bande sterben?" Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er sah den Gesetzlosen herausfordernd in die Augen, doch diese rührten sich nicht. Keiner machte einen Mucks. Gustav begegnete mir mit einem scharfen Blick.
,,Lass uns in Frieden, Vater!", rief ich mit einer härteren Stimme und er drehte sich wieder zu mir um. ,,Das kann ich nicht!", rief er zurück, ,,Denn das ist mein Job", er streckte die Pistole aus und zielte wieder auf Gustav, ,,und wenn es sein muss, dann töte ich jeden, der zu deiner Bande gehört." Mein Herzschlag setzte aus, er verkrampfte seine Hand am Abzug. Ich schrie und stürzte vor und warf mich zwischen Gustav und der tötlichen Pistole. Ich bemerkte wie die Kopfgeldjäger sich anspannen. ,,Das werde ich nicht zulassen!", schrie ich meinen Vater an und funkelte ihm entgegen, ,,Wenn du sie umbringen willst, dann musst du zuerst mich erschießen! Denn sie sind meine Freunde!" Mein Vater sah mich mit zu Schlitzen verengten Augen an. Meine Brüder blickten entsetzt in meine Richtung, sie schienen beide dazwischen gehen zu wollen, doch etwas hemmte sie. Kurzzeitig begegnete ich Beckys Blick. Einem Blick der mir den Plan verriet, für wenige Sekunden. Ich packte meine Pistole an meinem Gürtel und zog sie heraus. Mein Vater hatte seinen Arm immer noch ausgestreckt, doch ich wusste das er nicht schießen würde. Blitzschnell schoss ich einem Kopfgeldjäger in die Brust und damit löste ich die Versteinerung der anderen auf. Gustav und ich warfen uns zur Seite und wichen den Patronen aus. Ich hörte meinen Vater rufen, sie sollen das Feuer einstellen. Becky befreite Michah aus den Fängen der Kopfgeldjäger und zusammen schossen sie auf sie. Auch Amanda und Grace waren aus ihrer Starre erwacht und schossen um sich. Sindy brachte Karl so schnell wie möglich zu den Pferden. Doch wir waren in der Unterzahl. Allerdings hielten wir die Kopfgeldjäger nicht lange unter Beschuss und Gustav und ich machten uns daran zu fliehen, während die anderen sich auf die Pferde schwangen. Für alle reichten dir Pferde nicht. Sie machten sie in Eile von den Planwagen los, schwangen sich und ihren Partner darauf und galoppieren uns hinterher. Wir rannten am Rande des Waldes entlang und bald nahmen die Kopfgeldjäger, auf ihren Pferden, die Verfolgung auf. Ich stolperte voran, wir würden von den Jägern geschnappt werden, wenn wir keine Pferde hatten.
Da ertönte ein neues Wiehern aus dem Wald und John, Mitch, Frank und Clintch, rasten mit ihren Pferden zwischen den Bäumen hervor und reihten sich bei uns mit ein. John packte Gustav und er zog sich zu ihm hinauf. Frank sammelte Becky auf und Clintch packte meinen Arm um mich hinter ihm auf den Sattel zu hieven. Man verschnellerte das Tempo. Ich hielt mich an Clintch fest, glücklich darüber vor meinem Vater nicht mehr die starke Frau spielen zu müssen oder seinen Blick zu ertragen. Ich hörte die Kopfgeldjäger ihre Entrüstung rufen und meinen Vater fluchen. Erneut begannen sie zu schießen. Doch die Gesetzlosen rasten im vollen Tempo über das spärliche Gras und sichten bald darauf Schutz in einem dichten Wald. In meinem Bauch rumorte  es protestierend. Ich spürte Angst. Zum einen spürte ich Angst für meine Familie, einen Bruder hatte ich bereits verloren, sollte ich die anderen beiden auch noch verlieren? Oder meinen Vater?
Doch zum anderen verspürte ich Angst um meine Freunde und Clintch. Mein Vater würde nicht aufhören uns zu jagen und auch wenn ich mich ihm in den Weg stellte, er würde einen Weg um mich herum finden, um seinen Job zu erledigen. Egal wie sehr ich schrie oder wie schlimm er dadurch mein Herz brach, er würde jeden einzelnen von ihnen erschießen, ohne zu zögern.

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