,,Wie schön dich wieder auf den Beinen zu sehen, Mary.", begrüßte mich Amanda, als ich zu ihr in das Zimmer trat. Grace, Sindy, Karl und Amanda saßen in einem kleinen Raum das wirkte wie eine Bibliothek. Deckenhohe Regale standen an den Wänden, vereinzelte Tische und Stühle und große, rote Ohrensessel in denen es sich die Gesetzlosen gemütlich machten und ein Buch lasen. Ich war noch unbeholfen auf den Beinen und machte kleine, langsame Schritte. Aber das war kein Problem für mich, so konnte ich meine Umgebung genau im Blick behalten und nach einem bestimmten Riesen Ausschau halten.
,,Wollen wir Gustav besuchen gehen? Er wird sich bestimmt freuen dich zu sehen.", fragte Amanda und erhob sich von ihrem Stuhl. Langsam durchquerte ich das Zimmer und antwortete:,, Ich besuche ihn dann wenn ich wieder zurück bin." Amanda sah mir verwirrt hinterher und fragte:,, Wo gehst du denn hin?"
,,Zu einer Beerdigung.", antwortete ich ihr, drehte mich noch einmal zu ihr um und lächelte sie an, ehe ich aus dem Raum trat. Sie machte keine Anstalten mir hinterherzulaufen, doch ihr Gesichtsausdruck war besorgt als ich das Zimmer verließ.
Ich trippelte quer durch die Eingangshalle und hielt meine Augen und Ohren aufmerksam geöffnet. Ich hoffte Clintch über den Weg zu laufen, aber der Riese verstand sich gut im Versteckspiel. Schließlich hatte ich die breite Tür erreicht und öffnete sie stöhnend.
Draußen prasselte der Regen auf den Hof. Dort standen vier Pferde, mit hängenden Köpfen, bei ihnen erkannte ich meine beiden Brüder. Sie nach den Geschehnissen vor zwei Wochen wiederzusehen, ließ mein Herz erblühen, doch sogleich erstarrte es, denn ihre Gesichter waren so finster wie der Himmel über uns. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus und mich zwickte etwas in den Magen. Neben mir stand Monroe, geschützt vom Dach, und sah mit ernster Miene zu den Wartenden herab. ,,Gib Acht, Mary, sie sind vielleicht nicht mehr die, die du einmal kanntest.", murmelte er, ohne die beiden aus den Augen zu lassen. ,,Keine Sorge, Monroe.", erwiderte ich, ,,Sie sind schließlich immer noch meine Brüder." Der zweifelnde Blick Monroes traf mich hart, doch ich zog meine Schultern nach hinten und stieg die Treppen hinab. Ihre Blicke gruben sich in meinen Körper wie Giftpfeile, als ich zu ihnen trat. Da wandte sich Aaron von mir ab, nur Jasper hielt meinen Blick stand und fragte mich:,, Wie geht es dir, Mary?" Ich wusste das er mich lediglich aus Höflichkeit fragte, weil wir Geschwister waren. Deshalb antwortete ich:,, Gut." Obwohl ich selbst nicht wusste ob es stimmte. ,,Ich hoffe du bist jetzt zufrieden.", grummelte Aaron, schenkte mir aber keinen Blick. ,,Was..?", verwirrt suchte ich seinen Blick, aber er zeigte mir die Schulter. Zufrieden? Doch ehe ich etwas dazu erwidern konnte, vernahm ich eine helle Stimme die meinen Namen nannte:,, Mary." Ihre warmherzige Stimme berührte mich tief in meinem Herz und ich wandte mich ihr zu. Eine Frau kam mir entgegen. Sie trug ein schlichtes graues Kleid, wie gewohnt hatte sie ihr helles Haar aufgesteckt. Sie breitete die Arme weit aus um mich zu begrüßen. Mein Herz sprang und hüpfte, so sehr wie ich es eigentlich nur bei Clintch gewohnt war. Mir kamen beinahe die Tränen. So lange hatte ich sie nicht mehr gesehen und so viel war passiert. ,,Mutter!", rief ich, rannte ihr entgegen und fiel in ihre Arme. Ihre Kleidung war nass vom Regen, doch das war meine mittlerweile auch. Ich drückte sie fest an mich. Ihre Anwesenheit hatte mir gefehlt, sie war die einzige die mich verstehen konnte. Sie ließ von mir ab und sah mir liebevoll in die Augen, als sie mir eine Strähne hinter das Ohr klemmte, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. Aber in ihren blau-grauen Augen schimmerte Sorge, vertraut sie mir denn auch nicht? ,,Ich bin so froh das es dir gut geht, Mary.", sagte sie und lächelte. Ich erwiderte ihr Lächeln und wollte entgegnen:,, Ich..." Doch da unterbrach mich Aaron barsch:,, Wie lange sollen wir denn noch in dem Regen hier stehen?" Meine beiden Brüder wandten sich von uns ab und trabten bereits voraus. ,,Nimm sie nicht so ernst, Mary. Sie trauern.", tröstete mich meine Mutter, doch ich wusste das da nicht nur Trauer war die sie beherrschte. Es ist ein ewiger Kreislauf, dachte ich, als ich mir ein Pferd an den Zügeln schnappte und hinauf sprang. Neben meiner Mutter folgte ich meinen Brüdern und wir verließen den Hof. Monroe hatte uns immer noch im Blick. Ich fragte mich ob Clintch uns auch gerade beobachtete. Welches Zimmer hatte er wohl? Das gleiche wie beim letzten Mal? Dann wird er uns von seinem Fenster aus nicht sehen können. Die Ecke des Hauses würde ihm die Sicht versperren. Außer er lehnte sich weit hinaus, aber dann könnte man auch ihn besser sehen und ich dachte er wolle sich lieber verstecken. Andererseits könnte er auch im Büro Monroes stehen, er ließ ja nur die Gesellschaft des feinen Herrn zu, also wäre es denkbar. Von dort aus könnte er uns sehen. Ich drehte mich zu dem Herrenhaus um und blickte zu dem großen Fenster hinter dem Monroes Büro lag. Doch auch wenn Clintch dort stand, dann konnte ich ihn nicht sehen, denn der finstere Himmel und der Schleier des Regens färbten das Fenster schwarz. Ich drehte mich wieder nach vorn, während wir unter einer Allee aus Apfelbäumen entlang trabten und uns dem Tor näherten. Ich bemerkte das Aaron und Jasper auffällig schweigsam blieben, aber wie könnte man es ihnen verübeln, schließlich war heute ein trauriger Tag. Aber schließlich seufzte Jasper schwer und erhob das Wort:,, Es ist jetzt nicht der passende Moment es los zu werden, aber ich sehen keine bessere Möglichkeit." Wir wandten die Blicke zu ihm um. ,,Was liegt dir denn auf dem Herzen?", fragte meine Mutter mit ruhiger Stimme. Noch einmal atmete Jasper schwer aus, er hatte das Gesicht zu einer ernsten Miene verzogen. ,,Meine Frau hat eine Tochter.", murmelte er schließlich und warf uns seine Worte wie ein Brett vor die Nase. Aaron, meine Mutter und ich blieben stehen, während Jasper weiter trabte. ,,Eine Tochter?", fragte meine Muttet verwirrt, ,,Aber Jasper, warum hast du denn nichts gesagt! Das ist doch fan..." ,,Nein.", unterbrach Jaspers sie sofort, stoppte sein Pferd und drehte sich zu uns um, ,,Es ist die Tochter meines Nachbarn." Ich starrte Jasper sprachlos an, während der Regen unablässig auf die Erde trommelte. Seine Augen glitzerten schwach und er wandte sich wieder von uns ab. ,,Jeder andere hätte sie aus dem Haus gescheucht.", erzählte Jasper weiter und wir trabten wieder langsam voran, ,,Aber nicht ich, dafür habe ich ja ein viel zu gutes Herz!" Seine Stimme wurde wütend und er fauchte seine Worte in den Regen. ,,Stattdessen gewährte ich ihr die Unterkunft. Wir vereinbarten eine Familie zu bleiben und der Öffentlichkeit zu erzählen es wäre unsere gemeinsame Tochter." Seine Stimme wurde wehmütig. Jasper ist ein guter Mensch, ihn für eine solche Lüge zu missbrauchen macht ihn doch nur kaputt, dachte ich, aber lauschte ihm weiterhin schweigend. ,,Ich habe jeden angelogen. Habe ihnen erzählt wie stolz ich doch sei, was für eine wundervolle Tochter ich doch habe und was sie schon alles könne. Aber euch konnte ich nicht anlügen, meine eigene Familie, aber die Wahrheit sagen konnte ich auch nicht, ich würde dann meine eigene Frau verraten, darum sagte ich gar nichts.", er schwieg kurz und fuhr dann wieder fort, ,,Sie ist nun fünf Jahre alt. Ich hätte meinem Vater nicht in die Augen schauen können, hätte ich es ihm gesagt." Mein Herz verkrampfte sich, aber nun kann er es sagen, weil Vater nicht mehr da ist. Er hatte Angst vor ihm, darauf wie er reagieren würde, wenn er erfuhr das sein ältester Sohn ein Freudenmädchen zur Frau hatte und mit ihr ihre Tochter aufzog die aber nicht seine war. Irgendwie konnte ich ihn verstehen.
Wir passierten das Tor. Die Männer die davor stand, nickten mir kurz zu, ignorierten aber die anderen. Wir trabten schweigend weiter. Jedes Wort wäre sowieso unnötig gewesen. Jasper hatte gesagt was er zu sagen hatte, er erwartete kein Urteil und kein Mitleid.
Der Regen hüllte das Land in einen grauen Schleier und ließ schlammige Pfützen zurück. Mein Pferd trottete schnaufend und mit hängendem Kopf hinter den Pferden Jaspers und Aarons her. Ihr Ziel schien recht weit vom Anwesen Mr. Clantons entfernt zu sein. Die Beerdigung sollte nur in einem Familiären Rahmen stattfinden, wir hatten keinen Pfarrer bestellt. Meine Mutter war extra angereist, damit wir unseren Vater hier begraben konnten, denn ich konnte nicht von hier fort.
Endlich erreichten wir den gewünschten Platz. Zwischen zwei großen Bäumen spannten meine Brüder eine Plane, um den Regen abzuhalten, und begannen ein Loch auszuheben. Es musste nicht allzu groß sein. Der Körper meines Vaters wurde verbrannt und seine Überreste in eine Urne gefüllt. Sie sah schön aus. Auf ihrer glatten, weißen Oberfläche ringelten sich blaue Blumen empor. Aber meine Mutter sah ihre Schönheit nicht, sie sah auch nicht ihren Inhalt, sie hielt die wertvolle Urne wie eine Flasche. Sie hat ihn nie geliebt, erkannte ich und faltete schweigend meine Hände. Als das Loch gegraben war traten meine Brüder links und rechts neben uns und wir starrten gemeinsam auf die Tiefe Wunde in der Erde. Da kniete sich meine Mutter nieder und ließ die Urne vorsichtig hinein, ehe man das Loch wieder mit Erde verschloss und die schöne Urne in die ewige Dunkelheit verbannte. Zurück blieb nur ein kleiner Hügelhaufen, gekrönt von einem Kreuz. Eine Weile behielt meine Mutter die Hand auf dem Erdhügel, als umfasste sie ein letztes Mal die Hand meines Vaters. ,,Es ist besser für ihn so.", murmelte sie schließlich und erhob sich wieder, ,,Er war ein Mann der alles zu einem Ende bringen musste. Er konnte kein Wiskhyglas öffnen und ein paar Schlücke daraus nehmen, nur um es dann wieder zu verschließen. Nein, er musste die ganze Flasche trinken. Er konnte nichts angefangen lassen und dieser Wahn machte ihn besessen. Jedes Ende war ihm heilig. Nun hat er sein Ende gefunden und nun kann er endlich ruhen." Die Stille herrschte über uns. Schweigend erinnerte ich mich an den Zwerg zurück. Er hatte mir alles beigebracht was ich wissen musste. Er zeigte mir wie ich mit einer Waffe umzugehen hatte, er lehrte mich Tricks und machte mich zu einer perfekten Lügnerin, zu einer perfekten Verräterin. Doch ich war ihm dankbar dafür. Hätte er im Hintergrund nicht die Fäden gezogen, dann wäre ich nie bereit gewesen für diese Welt und ich hätte Clintch nie getroffen. Er hatte mich für seinen großen Plan ausgewählt, seine einzige Tochter, weil er mir vertraute, weil er wusste das ich stark war und mutig. Er hätte nie einen meiner Brüder für diese Arbeit ausgewählt, er wollte mir die Ehre erweisen und letztendlich schnitt er sich damit selbst ins Fleisch. Denn er hatte nicht erwartet das Gefühle seinen Plan ruinieren konnten, er hätte nicht erwartet das seine Tochter sich von so etwas ablenken ließe, er hatte nicht damit gerechnet das sie solche Gefühle entwickeln konnte, für einen Gesetzlosen, für einen den er tot sehen wollte. Ich stieß die Luft aus, der arme Vater, ich habe ihn gänzlich enttäuscht. Plötzlich aber spürte ich seine Hand, die tröstend meine tätschelte als ich seinen verlangsamenden Herzschlag spürte. Er war nie enttäuscht gewesen, er war schon immer stolz auf mich. So stolz das er es mir in seinen letzten Sekunden mitteilen wollte, mit einem leichten Händetätscheln.
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In The West
RomanceDer wilde Westen hat Schattenecken und Lichtseiten. Doch die junge Mary Tailor scheint lediglich in die ,,Schattenecken" geraten zu sein. Denn ihr Vater hat genug von ihr und verlobt sie an den nächst besten. Doch Mary selbst geht es schrecklich mit...