3.Kapitel Abreise

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Ein Vogel zwitscherte fröhlich vor dem Zelt und weckte mich sanft aus meinem Schlaf. Ich öffnete die Augen, für einen kurzen Moment hatte ich gehofft, es sei alles nur ein Traum gewesen und ich wäre immer noch zu Hause. Doch ich sah die dreckige Plane vor mir, leicht im Wind wehen und ich wusste das es kein Traum war. Frustriert stieß ich die Luft aus und setzte mich auf. Clintch's Seite war leer, meinen Stoffbeutel hielt ich immer noch in den Händen. Ich erhob mich und kümmerte mich, mit schnellen Handgriffen, um mein zerzaustes Haar. Ich nahm mir einen Kamm, der auf dem Tisch neben einer Waschschüssel lag und kämmte sorgfältig mein blond-goldenes Haar, ehe ich es fleschtete und meinen Zopf über die Schulter legte. Dann setzte ich mir meinen Hut auf. Müde wischte ich mir den Schlafsand aus den Augen und zog die Plane beiseite, um hinaus zu treten. Tau glitzerte auf dem grünen Gras und das Lager war in einen goldenen Schein gehüllt. Die Gesetzlosen waren bereits wach. Die meisten hatte Amanda mir bereits vorgestellt, ich kannte ihre Namen, ihre Geschwister und all ihre Verbrechen die sie jemals begangen hatten. Ich sah Albert, Amanda's Mann, wie er einen Planwagen mit einem Pferd verband. Er war ein dünner Mann, er wirkte jung und unerfahren, hatte jedoch schon mehr Züge in seinem Leben ausgeraubt, als der alte Herbert. Er rief Gustav etwas zu, während dieser ein weiteres Zelt einrollte und in einen Planwagen einbaute. Sindy trug die Kisten, in denen wir gestern das Pögelfleisch gelegt hatten. John half ihr dabei. Sie trugen die Kisten zu einem dritten Planwagen, Amanda nahm sie in Empfang und lud sie ein. Würden wir abreisen? Ich schaute mich nach Clintch um. Zu meiner linken saß er auf einem Felsen, nicht weit von mir entfernt und blickte ins Tal. Unser Lager befand sich auf einer kleinen Anhöhe, so konnten wir in die Stadt hinunter blicken. Vorsichtig kam ich ihm näher. Er musste mich bemerkt haben, denn bald drehte er den Kopf und schaute mich mit seinen dunklen Augen, von der Seite an. Die goldenen Strahlen der aufgehendes Sonne spiegelten sich in ihnen. Ein langer Grashalm ragte aus seinem Mund, gedankenverloren kaute er darauf herum. ,, Werden wir Abreisen, Clintch?", fragte ich ihn vorsichtig und trat neben seinen Felsen. ,,Siehst du die Männer dort unten?", fragte er mich und deutete ins Tal, in dem fünf, winzige Männer auf ihren Pferden, in unsere Richtung ritten, ,, Das sind Kopfgeldjäger. Wir werden gehen müssen, wenn wir von denen nicht geschnappt werden wollen." Ich schluckte. Ich fragte mich wie weit wir reisen würden. Ich würde weit weg von meinen Eltern sein. Meine Mutter würde ich vermissen, meinen Vater allerdings nicht. Er hatte mich in diese Situation gebracht, ich begann ihn zu verabscheuen. Clintch erhob sich von seinem Fels. ,, Hilf mir das Zelt zusammenzupacken, um es in unserem Planwagen zu verstauen, damit wir so bald wie möglich aufbrechen können." Ich tat wie er sagte, folgte seinen Anweisungen und half ihm den Platz zu räumen. Im Nu spannten wir ein Pferd vor den Wagen und waren Aufbruchbereit. Clintch schwang sich auf seinen Schimmel und bot mir einen Appaloosa Hengst an. ,,Du kannst doch reiten, oder?", fragte er mich abschätzend, als ich mich auf den Rücken des Hengstes schwang. Ich reckte das Kinn in die höh und trabte an ihm vorbei. ,, Natürlich kann ich reiten. Mein Vater ist Pferdehändler.", entgegnete ich ihm spitz. Die Planwagen fuhren aus, ein jeder hatte einen Lenker. Wir ritten durch den Wald, während Clintch neben mir in einer seiner Satteltaschen wühlte und mir schließlich eine Pistole hinhielt. Ich sah sie schief an. ,,Es könnte zu ein paar Komplikationen kommen und es wäre besser wenn du die bei dir trägst.", erklärte er mir leichthin. Ich nahm sie entgegen und machte ihre Tasche an meinem Gürtel fest, doch ich hatte dennoch keine Ahnung wie man damit schoss. Geschweigedenn wie man überhaupt jemanden traf. Ich hatte noch nie eine Pistole in der Hand gehabt, doch ich behielt es für mich, nickte ihm nur zu und ließ mich zurück fallen. Ich schritt neben Amanda's Wagen her, während der Trek den Wald verließ und den Weg zu einem Bergpfad einschlug. Hohe, steinige, gelbe Wände hoben sich an unseren beiden Seiten in die Luft. Wir ritten einen schmalen Pfad entlang der sich leicht anhob. Kleine, lose Steine lagen auf dem Weg, auf denen die Pferde nur schwer Halt fanden. Plötzlich zerriss ein lauter Knall die morgendliche Luft. Ein zweiter Folgte gleich nach dem ersten. Meine Muskeln spannten sich an. Ich sah wie der ganze Trek ihre Pferde antrieben, so schnell wie es ihnen mit einem Planwagen möglich war. Sie riefen sich gegenseitig etwas zu und dann rasten wir im Galopp durch die Schlucht. Doch erneute Schüsse ertönte von weit oben. Die Plane eines Wagens zerriss es. Ich sah wie Gustav auf seinem Wagen die Pistole hob und willkürlich nach oben zum Hang hinauf schoss. Einen traf er. Sind das die Kopfgeldjäger? Ich sah wie Clintch weiter vorn sein Pferd umlenkte und in die entgegengesetzte Richtung rannte, während wir weiterhin Albert folgten, der nun den Trek anführte. Clintch hob den Arm und schoss auf einen der sich am Hang zwischen den Büschen sicher fühlte. Ich galoppierte an ihm vorbei. Der Erschossene fiel den Hang hinab und krachte auf den Pfad. Mein Herz hämmerte laut in meiner Brust. ,,Albert! Pass auf! Da vorne kommen noch mehr!", hörten wir Clintch hinter uns brüllen. Rufe und Schüsse drangen zu mir hinter, sie hallten von den Felsen wieder, als Albert auf die Männer vor uns schoss. Gustav war von seinem Platz aufgestanden und tat es ihm gleich. Der Pfad zog sich in eine Biegung, ich konnte die Männer vor uns nicht sehen. ,,Gieb Acht, Mary!", hörte ich plötzlich Amanda neben mir, ,, Dort auf dem Hang stehen sie auch! Pass auf das sie nicht auf dich schießen!" Ihre kräftige Stimme übertönte das getrampel der Pferde auf dem Gestein und die Schüsse und Rufe meiner Kameraden. Ich blickte nach oben und zog meine Pistole aus ihrer Tasche. Ein Kloß steckte tief in meinem Hals. Wie nahm man dieses Ding in die Hand? Sollte ich nun wirklich jemanden erschießen? Ich hob den Arm und zielte auf einen der Männer, auf dem Hang, so wie ich es bereits bei den anderen gesehen hatte. Doch ich konnte nicht Abdrücken. Meine Finger waren am Abzug wie gelähmt. Ich kann doch nicht einfach einen Menschen erschießen! Doch der Mann bemerkte wie ich auf ihn zielte und zielte zu mir zurück. Ich presste meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und setzte all meine Macht in meine Fingerspitzen um sie zur Bewegung zu zwingen. Doch sie hörten nicht auf mich. Ich begann zu zittern und Angst rutschte mir in den Körper, schnell und schmerzlos. ,,Drück schon ab!" Ich hörte Clintch's dröhnend, tiefe Stimme am Ende des Treks, doch selbst seinen Befehl überhörten meine Finger. Als schließlich der Mann auf dem Hang, die Geduld mit mir verlor und seinen eigenen Abzug betätigte. Amanda schrie meinen Namen in mein Ohr. ,,Duck dich!" Sie streckte selbst die Hand aus und schoss dem Mann mit ihrem Revolver mitten in die Brust. Wie mir geheißen, duckte ich mich sofort und die Patrone schoss knapp über meinen Hut hinweg. Ich stieß den Atem aus und staunte über Amanda's scharfes Augen und fürchtete mich gleichzeitig über ihre Gleichgültigkeit einem Menschen das Leben genommen zu haben. Die überlebenden Kopfgeldjäger waren geflohen und der Trek beruhigte sich. Mittlerweile hatten wir die Schlucht verlassen und ritten über üppiges Weideland. Ich wagte es nicht in Clintch's finstere Augen zu sehen, als er mich überholte und nach vorn zu Albert's Wagen ritt. Ich beruhigte meinen Atem. Clintch wählte erneut einen Weg durch einen Wald. Wir überquerten einen Bach und kämpften uns durch dichtes Unterholz. Schließlich erreichten wir eine freie Wiese am Hang. Eine große Eiche befand sich in der Mitte und hier und dort schützten uns kleinere Bäume am Abhang vor neugierigen Augen. Diesen Ort ernannte Clintch zu unserem neuen Lagerplatz. Ein jeder machte sich nun daran die Planwagen zu öffnen und die Zelte wieder aufzubauen. Eine neue Feuerstelle wurde errichtet und einen passenden Platz für die Pferde zum grasen. Ich stieg von meinem Hengst ab und klopfte ihm ermutigend den gesprenkelten Hals. Dann machte ich mich auf den Weg um Clintch bei unserem Zelt zu helfen, doch Amanda fing mich währenddessen ab. ,,Du hattest heute ganz schön Glück gehabt, Mary. Jemand anders wäre gestorben.", begann Amanda. Doch ich entgegnete:,, Das habe ich wohl nur dir zu verdanken. Wärst du nicht gewesen..." Amanda sah mich ernst an. ,, Richtig. Und deswegen möchte ich dir einen Rat mit auf den Weg geben, Mary. Wenn du nicht diejenige bist die zuerst schießt, dann wird es jemand anderes tun und glaub mir er wird nicht lange überlegen." Ein Knoten steckte in meinem Hals. Sollte ich ihr sagen das ich mit einer Waffe nicht umgehen konnte? Amanda lächelte nur wieder aufmunternd zu. ,, Bei uns kann jede Frau besser schießen, als so mancher Mann. Glaub mir das.", verriet sie mir belustigt. ,,Ich werde euren Ruf nicht wahren können.", gestand ich, ,, Ich weiß ja nicht einmal wie man eine Waffe richtig hält." Verständnis glitzerte in Amanda's Augen. ,,Du wirst es lernen.", beruhigte sie mich, ,, Das mussten wir alle mal. Hast du es erst einmal gelernt, wird sie wie ein bester Freund für dich." Ich erwiderte ihr Lächeln und sie zog sich zurück, um Becky beim Ausladen zu helfen. Als ich bei Clintch ankam hatte er das Zelt bereits aufgebaut, der Wagen stand dahinter und bildete einen Teil davon. Wir standen wieder am Rand, nahe des Abhanges, von woaus wir hinunter ins Tal blicken konnten. Den Rest des Tages, ließ er mich stehen, blieb schweigsam und sprach mich nicht auf den Vorfall in der Schlucht an. Doch ich wusste nun, das er es wusste, das er wusste das ich noch nie eine Waffe in meinen Händen gehalten hatte.
Am Abend als die gesamte Bande am Feuer saß, berichtete er von seinem neuen Vorhaben. Sie brauchten Geld. In der nächsten Nacht würden sie einen Zug ausrauben. Die Passagiere seien hochrangige Adlige, bei ihnen gäbe es leicht etwas zu holen. Unter ihnen sei wohl ebenfalls ein Mann unterwegs, der vor kurzem noch mit einer feindlichen Bande interagiert hätte. Er könnte Informationen geben. Unbehagen gribbelte unter meiner Haut. Die Gesetzlosen jubelten, sie würden sich auf den bevorstehenden Plan vorbereiten. Das würde ihr erstes Verbrechen sein, seitdem ich zu ihnen gestoßen war. Ich schluckte meine Angst herunter und ließ es mir nicht anmerken. Vielleicht sollte ich dieses Vorhaben als meine Chance betrachten, die Waffe an meinem Gürtel besser kennenzulernen.

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