34.Kapitel Clintch F. McKay

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Finsternis vernebelte meinen Geist. Nur schwach vernahm ich ein sanftes Rauschen neben meinem Ohr. Kühles, klares Wasser umfloss meine Finger und ein sachter, frischer Wind strich über mich. Den Geruch nach Blumen brachte er mit sich. Ein wohliger Frieden breitete sich in meinem Körper aus. Die Sonne schien frühlingshaft auf mich herab. Aber meine Gedanken blieben umwickelt, mit dicken Spinnenweben. Mir pochte ein Druck in den Ohren, als läge ich tief unter dem Meeresspiegel. Aber wenn ich auf dem Meeresboden liegen würde, würde sich dann mein Körper nicht leicht anfühlen? Denn genau das tat er nicht. Er war schwer. So schwer das ich ihn nicht bewegen konnte. Meine Augen klebten zusammen wie festgeschweist, ich konnte sie nicht öffnen, mich nicht umschauen, mich erinnern. So blieb ich liegen, lange Zeit, bis plötzlich eine Stimme in mein Ohr flüsterte:,, Mary." Ich zuckte vor Schreck zusammen, denn ich kannte die Stimme und ich hatte sie hier nicht erwartet. Oder vielleicht doch? Wie lange hatte ich ihn schon nicht mehr gesehen? Wie sehr vermisste ich ihn eigentlich? War er gekommen um mich abzuholen? Endlich konnte ich meine zitternden Lider dazu bringen sich voneinander zu trennen. Ich blickte auf zwei Paar Stiefel. ,,Komm Mary, steh auf.", sagte er mit sanfter Stimme und legte die Arme um mich. Mit großen Augen blickte ich in sein Gesicht. Seine schwarzen Haare glänzten geschmeidig in der Sonne und seine braunen Augen blickten mich so liebevoll an, als würden sie noch leben. ,,Jim.", brachte ich zwischen meinen Lippen hervor, als er mich vorsichtig hochhob. Doch als er meinen Körper in Bewegung setzte durchzuckte ihn ein schmerzhafter Blitz. Ich stöhnte atemlos. Ich dachte im Jenseits fühlt man kein Schmerz? ,,Jim..", wiederholte ich krächzend, ,,Bin ich tot?" Er stellte mich auf meine Beine, doch mein Körper zitterte so stark, das ich mich selbst nicht halten konnte. Ich stützte mich schwer an ihm ab. Meine Adern durchflutete eine eisige Kälte, doch meine Glieder brannten. Mein Kopf brummte, ich sah die Welt vor einer Nebelwand. Ich hatte kaum Gefühle in Armen und Beinen. ,,Ich bin nicht Jim.", erklärte mir die Stimme und gerade als er das sagte, änderte sich sein Gesicht und seine Stimme bei mehrerem Zwinkern. War es nur Einbildung? Plötzlich sah ich ein anderes Gesicht vor mir. ,,Aaron.", flüsterte ich und mein Bruder nickte mir zu. ,,Und du bist nicht tot, Mary, du hast es gerade noch so geschafft.", fügte er hinzu. Was hatte ich geschafft? Da fiel es mir schlagartig wieder ein. Ich hatte losgelassen und bin in die Tiefe gestürzt, von dem Aufprall hatte ich nichts mehr gespürt. Aber ich sah noch zwei Augen vor mir, während des gesamten Falls, zwei entsetzt, verzweifelte Augen. Zwei schöne, dunkle Augen. Clintch.
,,Es ist ein Wunder.", mischte sich da eine zweite Stimme ein und ich wandte den Kopf vorsichtig zu dem Sprecher um. Es war Jasper, mein zweiter Bruder, ,,Es sah wirklich schlimm aus. Du scheinst einen Schutzengel zu haben, Mary." Sein aufmunterndes Lächeln wärmte mir das Herz. Ich versuchte sein Lächeln zu erwidern, doch meine zitternden Mundwinkel hinderten mich daran. Aaron hob mich achtsam auf seine kräftigen Arme, während er erklärte:,, Wir bringen dich nach Hause, Mary. Zurück zu Mutter, dort bist du besser aufgehoben." Zu Mutter..., dachte ich wehmütig und fragte mich wie lange ich die sanftmütige, gute Frau nicht mehr gesehen hatte. Ich vermisse sie. Aber plötzlich durchfuhr mich ein weiterer Blitz des Schmerzes und ich erstarrte für einige Sekunden. Ich kann nicht gehen! Ich packte Aaron so schnell an der Schulter das mir der Schmerz vom Ellenbogen bis in die Schulterblätter zuckte und ich kurz innehielt. ,,Ich kann nicht gehen.", entschied ich mit festem Ton. Jasper wandte sich zu mir um und antwortete streng:,, Mary, du bist schwer verletzt. Du brauchst dringend einen Arzt." ,,Die Gesetzlosen haben mir schon oft das Leben gerettet, sie können mir auch helfen.", widersprach ich mit leiser Stimme, ,, Ich kann sie nicht allein lassen." Ich kann Clintch nicht allein lassen. Aaron seufzte langgezogen. ,,Mary, jetzt hör auf mit diesen Gesetzlosen! Du hast mit ihnen nichts zu tun! Diejenigen auf die du dich jetzt konzentrieren musst sind deine Familie!", stellte er klar. Ich verzog unzufrieden den Mund. ,,Sie sind meine Familie!", rief ich, doch sogleich brach meine Stimme wieder ab.
Gestalten hatten sich vor uns aufgebaut. Sie hielten die Waffen auf uns, doch ich wusste das sie nicht schießen würden, zumindest nicht auf mich.
,,Geht uns aus dem Weg.", knurrte Aaron finster und stellte mich wieder vorsichtig auf meine Beine. Ich zitterte immer noch, doch mittlerweile hatte ich die nötige Kraft gefunden und knickte nicht um. Trotzdem musste ich mich noch an Aaron abstützen. Die Gesetzlosen hatte die Köpfe gesenkt und ein Schatten fiel über ihre Gesichter. ,,Zuerst müsst ihr uns sie zurück geben.", knurrte Amanda zurück und legte zwei Hände an ihren Revolver. Nun streckten auch Jasper und Aaron ihre Pistolen aus. Die Gesichter meiner Brüder verhärteten sich. ,,Nur über unsere Leichen.", murmelte Aaron, doch bevor er schießen konnte legte ich meine Hand auf seine Pistole. ,,Nein.", befahl ich, ,,Hier wird es keine Leichen geben." Meine Kehle war ausgetrocknet, doch ich bemühte mich meine Stimme möglichst fest zu halten. Aaron schenkte mir einen kurzen Blick von der Seite und entgegnete:,, Wir bringen dich nach Hause, egal was es kostet." Er machte einen großen Schritt zur Seite und ich verlor meinen Halt und brach zusammen. Meine Hände zitterten als ich mich versuchte aufzufangen, doch sie knickten schmerzhaft ein. Ich zog scharf die Luft ein und stöhnte. Da drückte Aaron plötzlich ab. Die Patrone schoss heraus, wie die Zunge eines Chamäleons. Ich zuckte erschrocken zusammen und öffnete den Mund zu einem tonlosen Schrei. Ich konnte die Gesetzlosen vor uns kaum erkennen, denn die Sonne hinter ihnen schien mir in die Augen. Ich packte das Gras unter mir, als wollte ich damit die Patrone aufhalten, als sie ihr Ziel traf. Sie erstarrte, als sich die Patrone in ihren Körper grub. Dann ließ sie ihren eigenen Revolver fallen und brach stöhnend zusammen. ,,Amanda!", hörte ich die Gesetzlosen schreien. Ich begann leise zu wimmern, Amanda. Sindy beugte sich zu ihr herab. ,,Ihr Schweine!", rief Becky und zielte auf Aaron. Doch Jasper ließ die Waffe sinken und drehte sich zu seinem Bruder um. ,,Was sollte das?", fragte er, ,,Warum hast du sie angeschossen, Aaron?" Aaron begegnete seinem Blick mit fragender Miene und antwortete:,, Damit sie uns den Weg frei machen, Jasper, das wollten wir doch erreichen." ,,Du hättest sie dafür nicht abschießen müssen.", Jaspers Stimme wurde lauter, ,,Ihnen scheint Mary wirklich wichtig zu sein. Überleg doch mal, wie lange wir zu Mutter brauchen würden, bis dahin wäre Mary schon längst von uns gegangen! Bei ihnen würde sie schneller Hilfe bekommen!" Aaron zog verärgert die Augenbrauen zusammen. ,,Hat dir die Sonne dein Hirn weich gebrüht?", fuhr er seinen älteren Bruder an, ,,Weist du nicht mehr was sie uns angetan haben? Sie haben William ermordet!" ,,Und wir werden auch noch viel mehr verlieren!", schrie Jasper Aaron an und kurzzeitig dachte ich schon, sie würden anfangen sich zu balgen, ,,Wenn wir uns nicht eingestehen das sie uns helfen können." Der Älteste von uns vieren, ließ seine Waffe fallen und sah seinen kleinen Bruder auffordernd an. Dieser blinzelte ihn ungläubig an. ,,Hast du den Verstand verloren?! Du kannst deine Waffe doch nicht vor unseren Feinden fallen lassen!"
,,Mein Gott, das sind ja ein paar Ziegen.", murmelte John, als die Gesetzlosen die beiden Streitenden einfach umrundeten und er sich neben mir niederkniete. Gustav blieb neben mir stehen und überragte mich, als er hinzufügte:,, Wenn dein Vater genauso ne Quatschtante ist, wie seine Söhne, dann wird es für Clintch ein leichtes sein ihn umzulegen. Er wartet einfach bis ihm die Luft ausgeht." Amüsiert blickte er auf mich hinab, doch ich warf ihm nur einen bitteren Blick zurück. Da ertönte plötzlich ein Schrei von den Klippen und wir wandten alle die Köpfe herum, meine Brüder unterbrachen ihren Streit. Das Blut gefror mir in den Adern und mein Zittern verstärkte sich. Auf dem Pass, an den Klippen, standen ein Riese und ein Zwerg. Sie prügelten sich immer noch, doch diesmal traf die Faust des Zwerges den Riesen mit solch einer Wucht, das es ihn vom Pass schleuderte. Und ich sah wie Clintch stürzte. Er flog nicht senkrecht herab, sondern machte einen weiten Bogen und überschlug sich mehrmals bei seiner Landung. Dieser Zwerg war leider keine Quatschtante, er sprach lieber mit seinen Fäusten und konnte mit ihnen sogar den gefürchtetsten Riesen umlegen. Welche Chance hatte Clintch da? Meine Hoffnungen sackten herab und mein Herz engte sich zusammen. Wer kann da schon die Hoffnung behalten? Es war bereits zu Ende als ich anfing zu hoffen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. ,,Lass den Kopf nicht hängen, Mary.", murmelte John mir zu, ,,Schließlich trägt er nicht umsonst den Namen, der gefürchtete Bandenführer Clintch F. McKay." Auch wenn mich seine Worte ein wenig trösteten konnte ich dennoch keine Hoffnung finden. Was ist denn dann mit meinem Vater? Welchen Namen besitzt er? Sheriff Tailor. Mein kleiner Vater, Sheriff Tailor. Ich stöhnte leise, denn das Atmen fiel mir plötzlich schwer.
Mein Vater war von dem Pass heruntergesprungen und sicher auf seinen beiden Beinen gelandet. Er warf mir einen kurzen Blick zu, nur um sicherzustellen, das ich den Sturz überlebt hatte, ehe er sich Clintch langsam näherte. Dieser richtete sich aus dem aufwallenden Staub auf, wie die Blasen in einem Hexensub. Sein Rücken war weit gebeugt, als er sich das Blut von der Nase wischte und mir ebenfalls einen Blick zuwarf, ob mit mir alles in Ordnung sei. Da ging mein Vater plötzlich wieder auf ihn los, mit geballter Faust. Doch diesmal packte Clintch ,mit seiner großen Hand, die kleine Faust meines Vaters und donnerte ihm die andere in den Magen. Der Kleine taumelte zurück, ich hörte ihn leise keuchen. Auch meine Brüder zogen die Luft ein und spannten sich an. Clintch gab meinem Vater Zeit sich, von dem mächtigen Schlag, zu erholen. Er kam wieder auf die Beine, hob seinen Hut vom Boden auf und befreite ihn vom gröbsten Sand, ehe er ihn sich wieder auf den Kopf setzte, dabei warf er meinem Vater einen finsteren Blick zu. Dieser hielt sich den Bauch. Seine Schultern hoben und senkten sich schwer, doch er hielt dem Blick Clintchs stand. Die Spannung packte mich. Eine erneute Angriffswelle steuerte auf Clintch zu, doch sie kam nicht von meinem Vater. Die Kopfgeldjäger stürzten sich die Pässe herab, um ihrem Chef beizustehen. Das ist doch unfair!, schrien meine Gedanken. Ich spürte auch die Anspannung der Gesetzlosen um mich herum. Sie würden einspringen, wenn es brenzlig wurde, doch vorher würden sie keinen Finger rühren. Das ist Clintchs Kampf, nicht ihrer. Ich wusste das es ihnen genauso schwerfiel wie mir, nur zuzuschauen.
Als der erste schoss duckte sich Clintch weg, packte einen an seinem ausgestreckten Arm und benutzte ihn als Schutzschild. Während der Körper des armen Kopfgeldjägers gelöschert wurde, zog Clintch sich die beiden Waffen aus dessen Gürtel. Seinen eigenen Revolver hatte er offensichtlich verloren. Sein provisorisches Schild klappte zusammen, doch Clintch war bereit. Mit einer Waffe in beiden Händen, schoss er dem einen ein Loch in den Kopf, während er einem anderen den Schaft gegen die Schläfe schlug. Drei weitere warfen sich auf ihn. Den ersten packte er am Arm, brachte ihn zum stolpern und beendete sein Leben. Dem zweiten rammte er den Stiefel zwischen die Beine, während er den dritten erschoss. Als der zweite auch wimmernd zu Boden ging, schlug er ihn in Ohnmacht. Clintch wirbelte die Pistolen in seinen Händen herum und trat meinem Vater erneut gegenüber. Doch dieser ließ ihm keine Zeit, sich von seinem vorherigen Tanz zu erholen. Er drückte ab. Clintch aber wich zur Seite aus, gab seinem Nachbarn, der plötzlich neben ihm aufgetaucht war, einen Stoß seines Ellenbogens und streckte den Arm aus, um meinem Vater den Schuss zurück zu geben. Doch er verfehlte und die Kopfgeldjäger hatten sich zu fünft hinter ihm versammelt. Ich holte schnappartig nach Luft und die Angst ließ mein Herz schneller schlagen. Da wandte sich Clintch plötzlich zu mir um, als hätte er mein plötzliches Aufatmen gehört, als könnte er mein ängstlich schlagendes Herz spüren. Und seine dunklen Augen schlugen in meinen Wurzeln.
Aber das war ein Fehler.
Einen Fingerdruck von meinem Vater und die Patrone schnellte heraus und bohrte sich in Clintchs Fleisch. Ich keuchte schwer und biss die Zähne zusammen, als ich sah wie Clintch taumelte und schließlich den Halt verlor und rücklinks umkippte. Doch statt auf dem sandigen Boden zu landen fingen ihn die Kopfgeldjäger hinter ihm auf und hielten ihn fest. Er hielt mit seinem Blick, meinen immer noch fest, aber als die Kopfgeldjäger in packten, rollte sein Kopf zur anderen Seite und dann nach unten. Ich hörte Frank hinter mir gefährlich Zischen und ich sah wie Gustav seinen Blick in meinen Vater bohrte, als wollte er ihn beim bloßen Hinsehen töten. Mein Vater machte zwei Schritte auf Clintch zu und richtete die Waffe erneut auf ihn, da entfuhr mir ein erstickter Schrei. Dieses Szenario weckte die Bilder von Jack Garretts Hinrichtung in den Köpfen der Gesetzlosen. Doch sie hofften alle noch, ich hoffte nicht mehr. Aber mein Vater wandte den Kopf zu mir herum, als er meinen kurzen Schrei hörte. Meine Tränen rollten in den Sand, wie das Blut Clintchs. Dieser hatte den Kopf wieder leicht gehoben und starrte meinen Vater an. Doch der Zwerg erwiderte seinen Blick nicht, er schaute mich an und ein kurzen Lächeln zog über sein Gesicht. ,,Nun, wie mir scheint, liegt meiner Tochter tatsächlich etwas an dir.", begann er und richtete seine Waffe in eine andere Richtung, ,,Ihr will ich nicht das Herz brechen, aber dir." Für einige Sekunden blieb mein Herz stehen, als der Knall ertönte mit dem er die Patrone abschickte. Blitzschnell erfasste sie ihr Ziel. Er knurrte finster neben mir und rotes Blut bedeckte den gelben Sand neben meiner Hand. Ich drehte mich mit weit aufgerissenen Augen zu Gustav um. Doch dieser hatte bereits den Halt verloren. Entsetzen ergriff mich, erneut packte mich eine Zitterwelle, als ich Gustav nach Luft schnappend am Boden liegen sah. In meinem Kopf pochte es laut und das Bild vor mir verschwamm. Becky beugte sich über ihren Kameraden, Michah fühlte seinen Puls. Ihre hektischen Stimmen drangen kaum bis zu mir durch. Ich fühlte kaum wie John nach meiner Hand griff. Mein Blut pochte laut in meinen Schläfen. Ich bohrte meine Finger in Johns Hand, während mir Tränen die Wangen hinunter floßen, als ich brüllte:,, Du Schwein!" Mein Hals kratzte unangenehm und ein dicker Kloß steckte darin. Als ich mit meinen Tränengefüllten Augen aufblickte begegnete ich erneut dem finsteren Blick Clintchs. Doch er war voller Entsetzen und Schmerz. Aber als er meinem Blick begegnete, der mit Wut und Trauer geträngt war, verdunkelte sich seine Mine. Er spannte seinen Körper an, wehrte sich gegen die Kraft der Kopfgeldjäger und ließ plötzlich ein ohrenbetäubendes Gebrüll los. Es zerriss die Spannung, die heiß in der Luft hing, und erschütterte uns bis ins Mark. Selbst mein Vater zuckte kurz zurück. Aber auch ich spürte die Angst wieder, die einst in meiner Magengrube lebte. Clintch brachte eine solche Macht auf, das er die beiden Kopfgeldjäger die ihn umklammerten, kurzerhand die Köpfe aneinander schlug. Dem nächsten ließ er seine bloße Faust spüren, riss ihm seine Waffe aus den Händen und schoss damit auf meinen Vater. Dieser schoss zurück, traf aber nur seine Kollegen, als Clintch sich hinter ihnen verkroch. Die dunklen Augen Clintchs blitzten gefährlich unter seinem Hut hervor, als er meinen kleinen Vater am Arm packte und ihn zur anderen Seite schleuderte. Mein Vater taumelte und brauchte einige Sekunden um wieder den Halt zu finden, doch diesmal ließ Clintch ihm keine Zeit. Ganz knapp konnte der Sheriff den beiden Schüssen des Bandenführers entkommen. Doch Clintch näherte sich ihm mit einem schnellen Tempo, zu schnell für meinen alten Vater. Er stolperte rückwärts, schoss immer wieder auf Clintch, aber verfehlte doch jedesmal, weil er hektisch wurde. Mein Vater verlor die Fassung. Mittlerweile hatte ich mich aufgestellt und war aus Johns Hand entwichen. Ich hatte mich den beiden genähert, mit jedem vorsichtigen Schritt, denn die Spannung kontrollierte mich. Ich zwang mich zu meinen Schritten, denn bei jedem knickte ich beinahe wieder ein, bei jedem verlor ich beinahe mein Gleichgewicht. Doch ich zwang mich dazu. Ich fühlte mich plötzlich zerbrechlich, so zerbrechlich wie eine Porzellanschale. Vielleicht hat Clintch recht, vielleicht sollte ich wirklich mehr essen. Ich betrachtete ihn. Das große Ungetüm, mit dem braunen, staubigen Mantel, dem Hut von seinem Vater und den dunklen, grausamen Augen. Das ist der wahre Clintch Francis McKay. Der, der ihm diesen Namen gemacht hat. Gefürchtet.
Mein Vater tat mir Leid. Er sah plötzlich so alt aus. So alt und zerbrechlich, zerbrechlich wie ich, wie eine alte Porzellanschale. Er war ja doch nur mein Vater. Mein armer, kleiner Vater, mit einem goldenen Sheriffstern an der Brust, als wäre es sein zweites Herz. Ich war nun schon so nah, das ich ihren Atem hören konnte, niemand hinderte mich daran mich ihnen weiterhin zu nähern. Ein weiteres Mal betätigte mein Vater den Abzug, doch es sprang keine Patrone heraus. Hektisch versuchte er es ein weiteresmal. Mit einem klicken ließ er das leere Magazin auf den Boden fallen, wühlte nach einem neuen und setzten es ein. Doch seine Bewegungen waren schwach, seine Bewegungen waren langsam, zu langsam für sein Leben. Gerade hatte er die Pistole verschlossen und streckte sie aus, aber die Zeit war ihm davon gelaufen. Clintch aktivierte den Schuss und traf meinen Vater mitten in die Brust. Ich erstarrte, mein Vater erstarrte. Seine Hände begannen stark zu zittern, meine Hände begannen zu zittern. Er streckte die Arme noch einmal aus, in dem letzten Versuch Clintch noch zu treffen, doch da fiel ihm die Waffe aus der Hand. Schließlich fiel er hinten über. Der Staub wallte auf, mein Vater versuchte sich noch einmal aufzurichten, doch der Boden schien ihn anzuziehen, wie ein Magnet und er krachte wieder herab. Dann blieb er liegen.
Ich hatte meine Beine verloren und war auf dem Boden zusammengesackt. Die Kräfte verließen mich, mein Körper zitterte. Ich hörte die Rufe meiner Brüder hinter mir. Aber ich wusste nicht was sie riefen, sie schienen mir weit entfernt, in einer anderen Welt, einer anderen Dimension, einem anderen Leben. Meine Muskeln waren leblos, wie der Körper meines Vaters auf dem Boden lag. Mein Herz wurde mir aus dem Körper gerissen und mir floßen die Tränen über das Gesicht. Ein leises Wimmern drang aus meiner Kehle. Die Welt verschwamm. Ich streckte die Hand nach ihm aus, berührte seine Schulter, fühlte seine Kleidung, atmete seinen Geruch. Ein weiterer Zitterschwall rüttelte meinen Körper und ich schluchzte leise und gedämpft. Da berührte seine Hand plötzlich die meine. Ich sah auf und blickte in sein bleiches Gesicht. Sein Lächeln hatte er nicht verloren, als er meine Hand auf seine Brust legte, an die Stelle an der sein Herz immer langsamer schlug, und liebevoll tätschelte. Solange bis sein Herz schwieg und das Licht aus seinen Augen verschwand. Und plötzlich sah ich sie alle vor mir. Jeden der das Licht verloren hatte.
Ein lauter Knall und Will Johnson brach zusammen, musste seine Frau und seine Tochter allein lassen.
Die leeren, kalten Augen Alberts in seinem Zelt. Ein riesiges Loch in seiner Brust war der Preis, um Amanda das Leben zu retten.
Der langsame Fall meines lieben Bruders, als er ebenfalls einen Schuss bekam, da er mich hatte beschützen wollen, obwohl ich nicht hatte beschützt werden müssen.
Der steifgefrohrene, kranke Körper des alten Herberts, als ihn seine Kameraden aus dem Wagen hatten schleifen und in den Schnee werfen müssen. Nun jagt er wieder auf seinem Pferd über die Steppe, wie zu seiner Jugend.
Der liebevolle Blick Jims, der immer blasser wurde, als er mir vergeblich versuchte etwas zu sagen und ich ihn doch nicht verstand. Bis sein Licht erlosch und er für immer schwieg.
Den beruhigenden, grauen Blick Monroes, als er uns zum gehen zwang und selbst zurückblieb. Als er hinter den vielen Körpern verschwand und die Schüsse uns sagten das er uns nie mehr zur Seite stehen wird. Der feine Herr.
Der verblassende Blick Jacks, als sich zwei Patronen in seinen Körper fraßen und seine versammelten Bandenfreunde Proteste riefen. Doch auch diese weckten ihn nicht wieder auf.
Und nun mein Vater, der das Licht mit einem Lächeln verlor, während er die Hand seiner geliebten Tochter tätschelte, als wollte er ihr sagen: es wird alles gut.
Ich hörte kaum, das Clintch seine Waffe fallen ließ. Ich spürte kaum wie er sich neben mich hockte und mich in den Arm nahm. Ich roch kaum seinen staubigen Mantel, an meinem Gesicht, den ich so vermisste. Heiße Tränen benetzen die Fasern und tropften wie der Regen hinab. Immer noch umklammerte ich die leblose Hand meines toten Vaters, sie tätschelte nicht mehr. Sie sagte mir nicht mehr: es wird alles gut. Sie schwieg. Und ich schrie. Schrie mir die Seele aus dem Leib, während Clintch mich festhielt, damit ich nicht fiel. Und ich schrie, obwohl ich nicht mehr schreien konnte. Obwohl mir ein fetter Kloß die Stimmbänder zerdrückte, schrie ich.
Ich schrie mich in die Schwärze.
Schrie mich in Ohnmacht.

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