Ertrunkener Seefahrer

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Die Musik setzte ein und wie von selbst lief das blonde Wesen übers Eis.
Sein Körper bewegte sich von ganz alleine, denn Yuri war gar nicht in der Verfassung über seine Schritte nachzudenken. Schaute Otabek ihm zu? Wie sah er aus? Sah man ihm an, dass er nervös war? Lief er richtig? Hatte er Kleidung an? Ihm war schlecht, sein Fuß pochte, er hatte das Gefühl, sein Körper zitterte. Er war nackt in den Fluten des Meeres. Yuri merkte gar nicht, wie er über das Eis flog, sprang, sich drehte, tanzte. Die Menge war wie gebannt und schaute dem kleinen Wesen fesselnd zu. War das wirklich noch der ungestüme Junge vom letzten Jahr? Er sah so verloren aus in dieser Welt. Es passte zu der traurigen Musik. Sie vermittelte einem das Gefühl von Schmerz. Verloren in der Welt, einsam und verlassen und das dieses Gefühl vermittelte Yuri in seinem lauf. Die Perfektion des Schmerzes.

※ ※ ※


Am Rande sah Otabek ihm zu und biss sich unbewusst auf die Lippen. War das wirklich noch der unbeschwerte Junge, den er damals geliebt hatte? Immer noch liebte? Die kleine Wildkatze kam ihm gerade vor wie ein getretenes Kätzchen, welches in einer kalten Winternacht ausgesetzt wurde und nicht zurückfand.

Über ein Jahr hatte man nichts von ihm gehört. Letztes Jahr hatte er gar nicht an der Meisterschaft teilgenommen. Eigentlich hatte Otabek gedacht, Yurio hätte sein Hobby aufgeben müssen, doch er hätte es besser wissen müssen. Yuri gab niemals auf! Dies bewies er gerade mit seinem Lauf. Der einsame Krieger, im Schmerz verloren und trotzdem steht er dort auf seinen zwei schmalen Füßen und tanzte gegen die tosenden Wellen.

Er hatte den geschockten Blick gesehen, als Yuri ihn entdeckt hatte. Anscheinend hatte er nicht gewusst, dass Otabek am Wettbewerb teilnahm. Es wunderte ihn nicht. Wahrscheinlich hatten seine Trainer ihm diese Information vorenthalten. Otabek machte diesen Sport auch nur nebenbei. Er war damals der Band von Tequia beigetreten, arbeitete viel und studierte nebenbei. Sein ganzer Tag war durchgeplant, doch das Eislaufen wollte er sich nicht nehmen lassen. Und da lief sein Grund: Yuri. Er hatte es sich so erhofft ihn wiederzusehen.
Yuri drehte sich gerade ein letztes Mal und fiel schließlich vor der Jury auf die Knie, die Arme nach links und rechts ausgestreckt, als würde er die Wellen berüßen, die ihn verschlagen.
Applaus setzte ein und Otabek war wieder in der Realität. Er sah, wie Yuri auf dem Eis zusammenbrach und schwer nach Luft schnappte. Stumme Tränen rangen über seine Wangen. Manche würden wahrscheinlich denken, es wäre vor Erleichterung und Freude, doch einige wenige wussten, dass es von seinem Herz aus Glas kam, dass weiterhin Risse hatte, wo langsam Blut austrat...

Liebe braucht ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt