Eine dunkle Halle, die sich langsam erhellte. Dann konnte ich Körper sehen, die auf dem Boden verstreut lagen. Sie waren blutig, und beinahe alle hatten gebrochene Gliedmaßen. Heller und heller wurde es. Ich konnte jetzt Gesichter erkennen. Gesichter, die ich kannte. Die ich liebte. Rechts von mir lag Bobby. Sein Genick war gebrochen und ein dünnes Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkel. Die leeren, aufgerissenen Augen starrten mich an. Links lag Sam. In seinen Augen, die ebenfalls auf mich gerichtet waren, glitzerten nie geweinte Tränen. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht wahr sein!
"Nein... nein...", flüsterte ich, als könnte ich dadurch, dass ich nicht einverstanden war, etwas ändern.
Direkt vor mir lag Cas. Sein Trenchcoat war zerrissen. Doch als ich ihn genauer betrachtete, sah ich, wie seine Brust sich minimal hob und senkte. Ich spürte, wie ein klein wenig Hoffnung in mir aufkeimte. Hatte ich doch nicht jeden, den ich liebte, verloren? Schnell rannte ich zu dem Engel und fiel neben ihm auf die Knie. Vorsichtig hob ich seinen Kopf an. Ich erschrak, als ich sein Gesicht sah. So hatte ich ihn schon einmal gesehen. So hatte ich ihn zugerichtet, als ich unter dem Einfluss des Kainsmals gestanden hatte. Als der Drang, zu töten, so die Kontrolle über mich übernommen hatte, dass ich beinahe meinen besten Freund und heimlichen Schwarm getötet hatte. Die Nase war blutig und die Lippen aufgeplatzt. Sein Kiefer war geschwollen und er war auffallend blass. Das letzte Mal hatte ich die Engelsklinge neben ihm in ein Buch gerammt. Dieses Mal steckte sie in seiner Brust.
"Cas... bleib..." Ohne dass ich es wollte, sprudelten diese verzweifelten Worte aus meinem Mund. "Ich muss dir, muss euch allen noch so viel sagen!"
Castiels Augen waren auf mich gerichtet, aber ich wusste nicht, ob er mich tatsächlich sah. Sein Atem wurde pfeifend.
"Nein, nein! Nicht du! Du sagtest, du würdest bleiben, weißt du noch? 'Sie werden alle lang tot sein, alle, bis auf ich'. Das hast du gesagt! Hörst du, du hast gesagt, du bist da! Jetzt halte dich daran. Du darfst nicht gehen, ich kann das alles hier nicht allein!" Panisch blickte ich mich um. Irgendwo musste hier doch etwas sein, mit dem ich ihn retten konnte! Und wenn es nur der verdammte, rotäugige König der Hölle war! Meine Seele war ohnehin nicht mehr zu gebrauchen, da konnte ich sie genauso gut wieder an die Hölle verkaufen. Doch dieser hatte anscheinend die gesamte Zeit hinter mir gelegen, die leeren Augen ebenfalls, wie alle anderen, auf mich gerichtet. Mein Blick wanderte suchend weiter, streifte die Decke. Der nächste Schock durchzuckte mich. Ich sah meine Mutter, die in weißem Nachthemd an der Decke hing.
"NEIN!" Verzweifelt wandte ich mich ab und dem einzigen in dieser Halle wieder zu, der nicht tot war und aus dessen Augen kein stummer Vorwurf sprach.
"D... Dean... ", röchelte Cas. Mein Herz tat einen Satz.
"Ja? Verdammt, Cas, was soll ich tun? Was kann ich tun, um zu helfend?", fragte ich und versuchte, die in mir aufwallende Panik zu unterdrücken.
"Bitte..."
"Was? Was ist, Cas?" Ich verstand nicht. Dann sah ich es. Seine Augen waren angstvoll aufgerissen und er hatte eine abwehrende Haltung eingenommen. Mit einem Mal verstand ich. Er hatte Angst vor mir. Es war meine Schuld. Es war alles meine Schuld. All die Toten, all das Leid, es existierte wegen mir.
"Nein! Nein, nein, nein! Es tut mir leid! Ich wollte das nicht!" Ich spürte, wie die ersten Tränen sich ihren Weg nach unten bahnten. Cas hustete. Dann erschlaffte sein Körper in meinen Armen.
Ich riss die Augen auf. Keine Halle, keine Leichen. Ich war in meinem Zimmer im Bunker. Still fing ich an, zu weinen. All diese Verluste, alle Schwierigkeiten und die Tonnen von Schuld, die auf mir lasteten, zerbrachen mich in diesen Momenten. Ich wollte jedoch nicht, dass das jemand mitbekam. Für alle war ich nach außen hin stark, riss schlechte Witze und versuchte, die Probleme, vor denen wir standen, zu lösen. In Wirklichkeit hatte ich aber schon lange aufgegeben. Ich lebte nicht mehr für mich. Nur noch für die, die mir geblieben waren. Für sie würde ich immer kämpfen. Für mich selbst brachte ich schon lange keine Kraft mehr auf.
So saß ich hier eine ganze Weile. Anscheinend hatte ich nicht im Schlaf geschrien, denn Sam war noch nicht ins Zimmer gestürmt. Sam! Ich musste wissen, ob mir ihm alles in Ordnung war. Eigentlich lächerlich, das wusste ich. Es war 2:30 Uhr und erst vor wenigen Stunden hatten wir uns gegenseitig eine gute Nacht gewünscht.
Trotzdem stand ich auf und schlich zu seinem Zimmer. Für den Fall der Fälle hatten wir uns vor geraumer Zeit darauf geeinigt, die Türen beim Schlafen offen zu lassen. Keiner von uns hatte einen festen Schlaf und so konnten wir sicherstellen, dass wir, wenn nötig, sofort wach waren. Jetzt gerade war es sehr praktisch, da ich keinen Krach machen musste, um die Tür zu öffnen. Das Quietschen hätte definitiv ausgereicht, um meinen kleinen Bruder zu wecken. Ich hielt die Luft an. So konnte ich ihn leise und ruhig atmen hören.
Nachdem ich ihn einige Minuten beobachtet hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Stumm saß ich auf meinem Bett. Mittlerweile weinte ich nicht mehr. Als hätte jemand einen Schalter in mir umgelegt, hatte ich plötzlich aufgehört. Dabei fühlte ich mich noch genauso miserabel wie vorher. Gleichzeitig wurde ich mir darüber bewusst, dass ich allein war. Sicher, Sam schlief nebenan, doch ihm konnte und durfte ich mich nicht öffnen. Für ihn musste ich der starke große Bruder sein. Ich war es immer gewesen. Doch jetzt gerade wollte ich nicht allein sein. Ich konnte es nicht. Erneut spürte ich diesen verdammten Kloß im Hals. Gleich würde ich wieder anfangen, zu heulen.
"Cas? Ich... ich hoffe ich störe dich nicht bei... bei was-auch-immer du gerade tust. Aber ich brauche dich, Buddy. Ich brauche dich."
Scheiße. Zum zweiten Mal in dieser Nacht hatte ich Tränen in den Augen. Ich hasste es, die Schwäche zu fühlen, die ich tagsüber verdrängte. Diese verfluchten Momente, in denen alles hochkam.
"Dean?", hörte ich die mir bestens bekannte Stimme. Langsam hob ich den Kopf.
"Cas?", flüsterte ich. Lauter wollte ich nicht reden, denn ich wusste, dass meine Stimme brechen würde. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er auf mein Gebet reagieren würde. In den letzten Wochen hatte er es auch nicht getan.
Jetzt passierte etwas, mit dem ich nicht einmal in meinen wildesten Träumen gerechnet hätte. Der Engel kam zu mir, zog mich vom Bett und auf die Füße und umarmte mich. Kraftvoll und lang. Von da an stellte ich keine Fragen mehr. Ich ließ die Dinge einfach ihren Lauf nehmen. Ich versank in der Umarmung, krallte mich an dem Schwarzhaarigen fest wie ein Ertrinkender.
Wir verharrten lange in dieser Position, keiner sagte ein Wort. Schließlich löste ich mich, als meine Schultern aufgehört hatten, zu beben.
Der Engel sah mir in die Augen. Langsam hob er die Hand an meine Wange und wischte die Tränen weg. Dort, wo er mich berührte, prickelte meine Haut warm.
Dann erst wurde ich mit der Situation bewusst. Er war hier. Er war gekommen, für mich. Wärme schoss durch meinen Körper. Wärme, nach der ich mich so unfassbar gesehnt hatte. Ich blickte auf. Sofort verlor ich mich in den ernsten, ozeanblauen Augen. Ich imitierte seine Geste und legte eine Hand an seine Wange. Für einen Moment glaubte ich, so etwas wie Unsicherheit in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Doch nur für einen Wimpernschlag. Dann zog er sanft mein Gesicht zu sich und legte seine Lippen auf meine. Das war der Augenblick, in dem mein Kopf sich ausschaltete. Nur noch der Kuss zählte. Wahnsinn, wie schnell Cas dafür hatte sorgen können, dass alles in Ordnung war.
Denn das war es jetzt.
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Destiel OS
FanfictionWie der Titel schon sagt, eine kleine Destiel-Oneshotsammlung, mit viel Fluff und eventuell ein wenig Herzschmerz. KRITIK UND ANMERKUNGEN SIND MEHR ALS GERNE GESEHEN! :) /Ich schreibe es nicht in jedes Kapitel, daher mache ich es jetzt hier. Bei ein...