Sherlock PoV
Es hatte lange gedauert, Mrs. Hudson davon zu überzeugen, dass alles okay war und sie sich keine Sorgen um John zu machen brauchte, der ja ohne Jacke da draußen in der Kälte unterwegs war. Wohin auch immer, wahrscheinlich besuchte er die Bibliothekarin. Wo anders konnte er kaum sein.
Jetzt lief ich in unserer Wohnung hin und her, rastlos, raufte mir immer wieder durch die Haare, wobei sich meine Finger in den immer wirrer werdenden Locken verfingen. Was haben sie nur wieder getan, Sherlock ? Die anklagenden Worte der Haushälterin hallten in meinem Kopf nach, stießen von einer Seite meines Bewusstseins auf die andere, machten mich langsam aber sicher verrückt. Wo will John denn so spät noch hin, Sherlock ?
Warum begleiten sie ihn nicht, Sherlock ?
Er hat seine Jacke vergessen, Sherlock !
Sherlock !
Sherlock !Plötzlich hielt ich es nicht mir aus, blieb ruckartig im Zimmer stehen und stieß einen resignierten Schrei aus, während ich die Hände zitternd sinken ließ. Was war das ? Warum zitterten meine Hände ? Warum konnte ich nicht ruhig stehenbleiben ? Warum nahm es mich so mit, dass John gegangen war ?
Warum hast du überhaupt versucht, diese dämlichen Kekse zu backen ? Was hast du dir denn davon erhofft ? Natürlich würde John sie früher oder später finden. Nicht vorsichtig genug. Nicht überdacht genug. Warum ? Warum hatte ich das getan ?
Völlig angespannt setzte ich mich auf meinen Sessel, die Füße auf dem Sitzpolster und die Arme um die Knie geschlungen. Was tat ich hier ? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, nahm ich mein Handy aus meiner Jackettasche und schrieb John eine Nachricht.
Sie haben ihre Jacke vergessen.
SHEs drückte nicht aus, was ich hatte sagen wollen. Es drückte nicht aus, was ich fühlte.
Fühlte ? Fühlen, Sherlock ?
Überfordert sprang ich wieder auf, öffnete eine Schublade im Wohnzimmer nach der anderen, bis ich fand, was ich gesucht hatte und sich meine Finger um das kalte Metall von Johns Pistole schlossen. Ohne mich umzudrehen streckte ich den Arm nach hinten und drückte auf den Abzug, schoss dem grässlich lachenden Smiley an der Wand erneut die Augen aus.Erst als ich zwei Schüsse abgefeuert hatte, drehte ich mich um, zielte auf die noch dampfende Teekanne, die Mrs. Hudson auf dem Tablett nach hier oben getragen und auf dem Esstisch abgestellt hatte. Mein Finger lag schon erneut auf dem Abzug, da riss ich mich zusammen. Was tun sie da, Sherlock ? Die Kanne hat ihnen doch nichts getan , erklang Johns Stimme in meinem Kopf, als würde er hier stehen, direkt neben mir und diese Worte mit dem unverständnisvollen Gesichtsausdruck aussprechen, den er immer hatte, wenn er nicht verstand, warum ich so handelte, wie ich es tat.
Alleine sein beschützt mich.
Das ist nicht wahr, Sherlock. Freunde beschützen einander, nicht das Alleine sein.Immer noch angespannt legte ich die Pistole wieder auf den Tisch und fuhr mir mit der Hand durch den verschwitzten Nacken. War ich das überhaupt ? Johns Freund ? Ich beschützte ihn ja nicht. Ich tat ihm weh. Immer und immer wieder. Diese Kekse. Warum hatte ich diese Kekse backen wollen.
Stuart Hamilton. Ein armer Schlucker, der in eine wohlhabende Familie einheiraten wollte, die nun ihr ganzes Vermögen in die vermeindliche Hochzeitsfeier gesteckt hatte.
Zwanghaft versuchte ich, meine Gedanken auf den gelösten Fall zu lenken, doch dieser hatte mich fast gelangweilt, so ermüdend war es gewesen, einen flüchtig gewordenen Ehemann zu suchen.
Früher oder später hatte er bei seinen Wettspielen endlich Glück gehabt. Esel aus Moskau. Das dritte Pferd mit einem Ortsnamen im Namen, das erste, das ihm mehr Geld eingebracht hat, als er aufs Spiel setzte, ohne es zu haben.Einen Moment schien die Ablenkung zu funktionieren, dann schlich sich John wieder in meine Gedanken. Er würde keinen Blogeintrag schreiben können, wenn ich ihm nicht von der Lösung des Falls erzählen würde. Einen dieser Blogbeiträge, die ich eigentlich gar nicht leiden konnte und nie mehr als ein paar Sätze davon gelesen hatte.
"Ich brauche einen Mord. Einen schönen, hinterlistigen Mord.", murmelte ich vor mich hin, wieder im Zimmer herumlaufend. Mittlerweile war es stockdunkel draußen, allein das fahle Licht der Straßenlaternen drang durch den Vorhang von außen in die Wohnung hinein. Ich hatte das Licht im Raum gelöscht, es störte mich beim Denken. Es verhindert nur, dass du Johns Sachen überall herumliegen siehst.
Fast hätte ich mich selbst geschlagen. Hör. endlich. auf. Sherlock. Hör auf, an John Watson zu denken. Er wird schon zurückkommen.
Wütend auf mich selbst griff ich nach meinem Morgenmantel, der über der Lehne eines Stuhles hing und wickelte mich in diesen ein, in dem kläglichen Versuch, mich besser zu fühlen.
Fühlen. Da ist es wieder. Warum fühle ich ?
Mittlerweile war ich so verzweifelt, dass ich überlegte, Mycroft anzurufen. Aber er würde mir nur auf den Kopf spucken wollen, sich über mich lustig machen. Sherlock Holmes, sein kleiner Bruder, der als erwachsener Mann plötzlich anfing, sich um seine Mitmenschen zu sorgen. Einen bestimmten Mitmenschen, um es genauer zu sagen. Nein, Mycroft konnte ich nicht anrufen. Aber wen dann ? An wen wendete man sich in solch einer Situation ? Ich wusste es nicht, war ich doch in solch einer noch nie gewesen.Langsam ließ ich mich wieder in meinen Sessel sinken, dieses Mal drehte ich mich auf die Seite und zog die Beine so an mich heran, dass ich die Stirn auf den Knien ablegen konnte. John. Du könntest John anrufen.
Ich war drauf und dran, mein Smartphone wieder in die Hand zu nehmen, da erinnerte ich mich daran, wo John hingefahren sein musste. Vera Reynolds. Die nervenaufreibende Bibliothekarin mit der Zahnlücke, die sich benahm, wie ein kleines Mädchen und nicht wie eine erwachsene Frau.Grimmig drückte ich das Handy in meiner Hand zusammen, bis sich meine Hand quasi verselbstständigte und Johns Nummer ins Tastenfeld eingab. Der grüne Hörer wurde automatisch von meinem Daumen gedrückt, während ich das Gerät abwartend an mein Ohr hob. Es wählte, dann klingelte es.
Und klingelte.
Und klingelte.Hallo, hier ist Dr. John Watson. Momentan bin ich leider nicht erreichbar. Hinterlassen sie mir doch einfach eine Nachricht nach dem Piepton.
Ich drückte den roten Hörer.
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It is what it is - Johnlock
FanficJohn Watson und Sherlock Holmes jagen seit einiger Zeit den Verbrechern Londons hinterer. Beide ergänzen sich dabei so gut, dass sie Freunde werden - ein für Sherlock bisher unbekannter Zustand. Doch dann versucht der Consulting Detective ungelenk...