Enge

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John PoV

58 Minuten nach Johns Verschwinden

Unsanft stieß mein Hinterkopf gegen scharfkantigen Wiederstand, als ich ruckartig versuchte, mich aufzurichten. Der Boden unter mir wurde immer wieder kräftig durchgeschüttelt und in meinen Schläfen pulsierte bei jedem Schlag ein dumpfer Schmerz.
Wo bin ich ?
Blinzelnd versuchte ich, meine Augen zu öffnen, doch selbst als mir das nach einigen Versuchen gelang, blieb mein Sichtfeld schwarz.
Warum kann ich nichts sehen ?

Ein erneutes Holpern ließ mich die Augen mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder schließen, mein Kopf fühlte sich unendlich schwer an und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass jemand darin saß und einen Ball wie im Flippper-Automaten von einer Seite zur anderen schießen ließ.
Dicke Watte schien meine Gedanken zu überlagern und zu verhindern, dass ich logische Schlussfolgerungen ziehen konnte.

Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass ich mich kaum bewegen konnte, meine Knöchel wurden von schneidendem Schmerz zusammengezogen und meine Handgelenke waren hinter dem Rücken so fest aneinandergebunden, dass ich meine Finger kaum noch spürte.
Unerklärliche Wärme war in meinem Rücken zu spüren, obwohl ich mich weder nach vorne, noch nach hinten bewegen konnte.
Ein Auto. Du bist in einem Kofferraum, John.

Schlagartig öffnete ich die Augen wieder, erneut zuckte dumpfer Schmerz durch meine Stirn, doch dieses Mal kämpfte ich gegen die Müdigkeit an und hielt die Augen offen, versuchte, mich an die totale Dunkelheit zu gewöhnen.
Nach einigen Minuten, zumindest nahm ich an, dass es Minuten waren, ein Zeitgefühl hatte ich nicht wirklich, erkannte ich, dass die Heckscheibe des Wagens abgeklebt sein musste.

Milimeterbreite, fahle Lichtschlitze markierten teilweise die Umrisse der Scheibe. Mit einem angestrengten Stöhnen versuchte ich, mein Gewicht von der Schulter auf den Arm zu verlagern, doch der Raum war so eng, dass mir das kaum gelang. Die Luft war unglaublich stickig und ich war heilfroh, dass mir kein Knebel verpasst wurde, ansonsten wäre ich in dieser Dunkelheit wahrscheinlich einfach erstickt.
Aber warum kein Knebel ? Warum bin ich gefesselt ? Wie bin ich hierhergekommen ?

Als die Schwere meines Kopfes langsam nachzulassen schien, überfluteten mich meine Gedanken wie ein Wasserschwall, der aus einem brechenden Wall herausgeschossen kam. Wer fährt den Wagen ? Wie lange bin ich schon hier ? Wie bin ich hierher gekommen ?

Plötzlich rasten die Gedanken so schnell und vielzählig an mir vorbei, dass es unmöglich war, auch nur einen davon halbwegs zu beantworten. Panik machte sich in meiner Bauchgegend breit und mit angstvoll aufgerissenen Augen versuchte ich, mit den Füßen gegen die Rückwand des Kofferraums zu treten, welche ungewöhnlich wenig Widerstand leistete.

Doch all die Bewegung verstärkte nur den Schmerz in meiner Seite und beim nächsten kräftigen Holpern gab ich resigniert schnaubend auf. Beruhigen sie sich, John. Denken sie nach.
Einen Moment war ich verwirrt darüber, in genau diesem Moment Sherlocks Stimme in meinem Kopf zu vernehmen. Doch dann stellte ich mir vor, wie er auf seinem Sessel saß, die Fingerspitzen vorsichtig an die Schläfen gelegt, während seine Augen hinter den geschlossenen Liedern aufgeregt hin und herzuckten.

Ich stellte mir vor, wie mein Mitbewohner seinen Gedächtnispalast betrat, sich völlig von der Außenwelt abschottete und irgendwie schaffte es dieser Gedanke, mich ruhig werden zu lassen und meine zusammengekniffenen Augen zu entspannen.
Gut so. Jetzt schauen sie sich um. Was sehen sie ?

Nichts sehe ich, wollte ich der Stimme in meinem Kopf zurufen, doch ich hielt mich zurück. Das stimmte nicht. Ich sah die schmalen Lichtschlitze um die Scheibe herum, vor die mit Panzertape ein schwarzes Tuch geklebt worden war. Angestrengt ließ ich meinen Blick über die einzelnen Klebestellen streifen, die meisten davon waren für mich unerreichbar, so zusammengekrümmt, wie ich hier lag. Doch der Streifen, der über die untere Ecke der Scheibe geklebt war, an deren Ende mein Kopf lag, war nur Zentimeter von mir entfernt.

Angestrengt hob ich den Kopf und versuchte mit aller Kraft, mich nach vorne zu lehnen, bis ich es schaffte, mit meinen Zähnen über das Klebeband zu streifen. Angeekelt verzog ich die Lippen, doch dann riss ich mich zusammen und verbiss mich in der losen Ecke des Tapes, bis ein erneuter Ruck durch den Wagen ging und mich zurückfallen ließ. Verdammt.

Mein Kopf prallte fest auf die Bodenplatte zurück und ein schmerzvolles Zischen entfuhr mir, gefolgt von einem kurzen überraschten Aufschrei, als ich die Augen wieder öffnete und mir gleisendes Licht entgegenstrahlte.
Die Ecke des schwarzen Tuches hing lose hinunter, das Klebeband nur noch teilweise daran befestigt, wodurch ein mehrere Zentimeter breite Schlitz entstanden war, der nun das Tageslicht hineinfluten ließ.
Tageslicht ? Warum ist es so hell ?

Denken sie nach, John. Was sehen sie jetzt alles ?
Unter Anstrengung versuchte ich, mich umzudrehen, doch es gelang mir lediglich, den Kopf etwas nach oben zu drehen und dabei kaum noch Luft zu bekommen. Es war wirklich verdammt eng hier drin, obwohl die Decke des Kofferraums weit entfernt schien.
Ein großes Auto also, weiter.
Durch das einfallende Licht erkannte ich auch, dass die Begrenzungen des Kofferraumes rund waren, nicht eckig.

Es muss ein neues Wagenmodell sein.
Müde senkte ich den Kopf wieder und versuchte, ein Husten zu unterdrücken. Staub wirbelte auf und ich betrachtete die alte Gummimatte, auf der ich lag. Das Licht fiel in einem hellen Dreieck darauf und bewegte sich bei jedem Rütteln, das durch den Wagen zog. Gerade wollte ich aufgeben und die Augen wieder schließen, da fiel der Lichtschein auf ein paar kobaltblaue Fussel, die direkt vor meinem Brustkorb auf dem Boden lagen.

kobaltblaue Fussel... kobaltblau... Wo habe ich diese Fasern schon einmal gesehen ?
Angestrengt dachte ich nach, kniff dabei die Augen zusammen und plötzlich trafen mich die Erinnerungen der letzten Stunden wie ein Schlag.
Vera. Vera Reynolds hat mit ihrem kobaltblauen Schal vor der Tür gestanden und mich angelächelt...

Plötzlich breitete sich die ganze Geschichte wie ein Film vor meinem inneren Auge aus und ein Schreck durchfuhr mich, der schmerzhafter schien, als all die Stellen, an denen ich blaue Flecken kommen spürte.
Deshalb war es im Kofferraum so eng und stickig.

Die Wärme in meinem Rücken wurde nicht vom Auto erzeugt. Ich lag nicht alleine hier.

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[ Und damit Frohe Weihnachten oder was auch immer ihr feiert, liebe Leser 😁 vielleicht kommt die Tage öfter ein Kapitel, mal schauen... Wünsche euch erholsame Feiertage und Zufriedenheit
😊 ]

It is what it is - JohnlockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt