221b Bakerstreet

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John PoV

Niemand von uns sagte ein Wort, als wir in Donovans Polizeiwagen saßen und zurück auf dem Weg in die Bakerstreet waren. Nach kurzem Protest hatte sie Lestrade versprochen, uns direkt dort abzuliefern, um uns die Taxifahrt vom Revier dorthin zu ersparen.
Nun saß sie mit verkrampften Händen hinter dem Lenkrad und ich war froh, ihren Gesichtsausdruck aufgrund meines Sitzplatzes auf der rechten Seite nicht erkennen zu können.
Wahrscheinlich regt sie sich nur auf, weil es nicht sie sein wird, die Hamilton vernehmen wird.

Kurz musste ich ein Lachen unterdrücken, bei dem Gedanken daran, was nun aus dem für Sherlock zuvor so ermüdenden Fall geworden war, in dem ein Mann einfach des Geldes wegen abgehauen war und seine zukünftige Ehefrau hatte sitzen lassen.
So hatten wir uns das wohl beide nicht vorgestellt.
Als ich daran dachte, wie sich alles entwickelt hatte, tauchten die Bilder aus dem Kofferraum wieder vor meinen Augen auf und ich sah Vera in ihrem viel zu langen Schal vor der Bibliothek stehen.
Tot.

Erschöpfung übermante mich und bevor mir die Augen zufielen, wandte ich meinen Blick zu Sherlock, der nachdenklich aus dem Fenster blickte. Seine Hand hob er dabei immer wieder an, um den Handrücken an seine Lippen zu legen, fast so, als konnte er nicht glauben, dass sie wenige Minuten zuvor tatsächlich die meinen berührt hatten.

-

"John ?", vernahm ich Sherlocks leises Flüstern, während er sich etwas auf meine Seite hinübergelehnt hatte, die Tür auf seiner eigenen war schon aufgestoßen, weshalb ein eisiger Luftzug hineinfuhr und mich in Kombination dazu blinzelnd die Augen öffnen ließ.
"Mrph.", brummelte ich nur etwas unwillig, meine Augenlider fühlten sich schwer und mein halber Kopf unglaublich dick und geschwollen an.

"Wir sind da.", flüsterte mein Freund dann rücksichtsvoll, wobei er mich sachte anlächelte. Irgendwie schaffte ich es dadurch, meine Augen offenzuhalten.
So vorsichtig im Umgang mit seinen Mitmenschen erlebt man ihn selten.
Dann riss ich mich zusammen, schnallte mich ab und öffnete die Tür, um gleichzeitig mit Sherlock auszusteigen.
"Danke für die Heimfahrt.", rief ich einer grimmig dreinblickenden Sally Donovan noch in den Wagen, ehe ich die Tür auf der Straße stehend zuschlug und dem Auto hinterhersah, wie es im aufkommenden Nebel verschwand.

Gerade hatte Sherlock die Straße überquert und war bei mir auf dem Bürgersteig angekommen, da wurde hinter uns so plötzlich die Haustür aufgerissen, dass wir uns im Uniso erschrocken umdrehten, wobei Sherlock sofort seine Hände aus den Manteltaschen zog und sie abwehrend vor sich selbst und meinen Oberkörper hielt.
Nur einen Moment später ließ er sie jedoch erleichternd ausatmend wieder sinken, als unsere Vermieterin im Türrahmen erschien und uns mit großen Armbewegungen zu sich herwinkte :" Oh John, da sind sie ja wieder ! Geht es ihnen gut ? Hat Sherlock sie also gefunden, ja ? Ich wusste - "

"Mrs Hudson. Schön sie wiederzusehen.", unterbrach ich ihren Redeschwall leise, jedoch mit einem ehrlichen Lächeln auf dem Gesicht, als ich die Stufen zur Haustür nach oben ging und direkt in eine weiche Umarmung gezogen wurde, während mich der Rosenduft ihres Parfüms einhüllte.
Allerdings begannen meine Glieder gerade erst damit, so richtig zu schmerzen, weshalb ich mich mit zusammengebissenen Zähnen entschuldigend aus der Umarmung befreite :" Ah, au."

"Nicht so stürmisch, Mrs. Hudson. Unser guter John muss sich jetzt ausruhen. Bestimmt erzählt er ihnen morgen alles bei einer Tasse Tee !", erklärte Sherlock in diesem Moment schon bestimmt, schob mich an der alten Dame vorbei die Treppe hinauf und folgte sogleich, die darauffolgenden Proteste unserer Vermieterin einfach ignorierend.
Obwohl ich ihr gerne schon jetzt alles erzählt hätte, um ihren Wissensdurst zu stillen, war ich dem Detektiv dankbar für die Zeit, die er mir verschaffte.
Noch war ich nicht bereit dazu, über Veras Tod zu reden.
Und all das, was danach passiert ist.

Erst als Sherlock die Wohnungstür hinter sich zugezogen und seinen Mantel an den Türhaken gehängt hatte, fiel die Anspannung von mir ab und erschöpft ließ ich mich auf das Sofa fallen, meine Jacke noch immer tragend.
"Danke, Sherlock.", murmelte ich nur und meinte in diesem Moment sehr viel mehr, als die Tatsache, dass er mich vor Mrs. Hudsons Überschwänglichkeit gerettet hatte.
Danke für alles.

Doch mein Mitbewohner schüttelte nur den Lockenkopf und setzte sich neben mich, jedoch so weit entfernt, dass ich nicht einmal die Wärme seines Körpers spüren konnte.
Ich sehnte mich schon jetzt danach, obwohl ich es gar nicht gewohnt war, sie wahrzunehmen.
Wahrscheinlich gerade deswegen.
Unschlüssig sah sich Sherlock um, seine Augen ruhten nie lange auf einem Fleck, fast wirkte er rastlos, jetzt, wo er wieder im Schutze seiner Wohnung war und ihn niemand sah, außer ich.

Dennoch verspürte ich den Drang, mich zu entfernen, Sherlock Freiraum zu geben, so, wie er ihn so häufig von mir gefordert hatte, wann immer wir uns irgendwie nahe gekommen waren.
Aber nicht dieses Mal, John.
Er war es, der dich zuerst geküsst hatte. Er wollte das so. Es war seine eigene Entscheidung.
Leise seufzend zog ich endlich meine Jacke aus, unterdrückte dabei den Impuls, das Gesicht zu verziehen, als meine Muskulatur sich schmerzend sträubte.
Dann wandte ich den Kopf wieder zu meinem Mitbewohner, der immer noch ins Leere starrte.

"Sherlock.", murmelte ich nur und sah ihn mit leicht schiefgelegtem Kopf an. Als er mich endlich sah, erkannte ich den Sturm aus Gefühlen, der sich in seinen nun wieder eher bläulich wirkenden Augen abzeichnete.
Er ist überfordert. Innerhalb eines Tages hat er seinen besten Freund verloren, ihn neben einer Leiche wiedergefunden und ihn anschließend geküsst.
Für diese Erkenntnis brauchte man kein Meisterdetektiv zu sein, dafür reichte meine Menschenkenntnis.
"John, es -", begann er dann wieder, einen zwiegespaltenen Ausdruck auf dem blassen Gesicht, doch ich unterbrach ihn, indem ich auf ihn zurückte und die Hand auf seinen Oberkörper legte, um ihn zu beruhigen.

"Shhh. Nicht jetzt, Sherlock, okay ? Wir müssen noch nicht darüber sprechen.", murmelte ich verständnisvoll und drückte ihn dabei vorsichtig auf das Sofa zurück, sodass er nun auf dem Rücken liegend zur Seite rutschte und mir somit Platz machte, ohne zu widersprechen.
"Okay. Aber dann musst du mir zeigen, wie man Weihnachtskekse richtig backt.", stimmte er nach einem Moment nur zwinkernd zu und wie er so vollkommen ruhig dalag, konnte ich nicht anders, als mich über ihn zu beugen und einen sanften Kuss auf seine Lippen zu hauchen.
Dieses Mal war es viel zärtlicher, als in der Scheune, weniger drängend.

Dann sah ich lächelnd auf, bemerkte, wie auch Sherlock lächelte und legte meinen Kopf vorsichtig auf seine warme Brust, als ich mich neben den großen Detektiv auf das Sofa quetschte und trotz der Schmerzen in meinem Körper zufrieden die Augen schloss.

THE END

It is what it is - JohnlockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt