An jenem Tag sah ich ihn das erste Mal. Diesen Mann, der dort einfach nur saß. Normalerweise bekomme ich nicht viel von dem mit, was um mich herum passiert. Ich remple Leute an, einfach, weil ich unaufmerksam bin.
Aber dieser Mann ist mir aufgefallen. Es war Abend, ich saß im Café, einen Kuchen vor mir auf dem Teller. Eine heiße Schokolade daneben.
Ein paar andere Leute saßen auch dort. Vielleicht ein paar Jugendliche, die nur wegen der Wärme und der Internetverbindung kamen. Ich kann leider nicht mehr genau sagen, wer sie waren. Nur bei diesem Mann. Er saß dort, ein paar Tische weiter, starrte auf den metallenen Tisch vor ihm, mit leblosen, grauen Augen. Er starrte und starrte, bestellte nichts. Die Bedienung ließ ihn aus. Ich könnte nicht sagen, ob er davor auch schon mal in dem Café saß, oder, weshalb er mir genau an dem Tag schließlich auffiel. Dennoch tat er es.
Ich fing an, ihn zu beobachten, zu beobachten, wie er die Tischplatte beobachtete. Er hatte graue Haare, die ihm strähnig ins Gesicht fielen, diese Augen, aus denen jede Lebhaftigkeit gewichen war. Dicke Tränensäcke sammelten sich unter ihnen. Er trug einen schweren schwarzen Mantel, graue Winterstiefel und einen schwarzen Pullover. Der Stuhl gegenüber von ihm war frei, dennoch hatte ich das Gefühl, als würde er auf jemanden warten, denn selten bewegten sich seine Augen langsam von dem Metall des Tisches zu dem leeren Sitzpolster des Stuhles im Gegenüber. Das war die einzige Gelegenheit, bei der seine toten Augen eine Regung zeigten. Sie wirkten fast hoffnungsvoll, doch jedes Mal, wenn er an seinem Ziel ankam, wurde sein Blick kurz traurig, dann wieder leer.Es ging einige Abende so weiter. Er saß immer am selben Platz, ohne etwas zu bestellen. Ich setzte mich mit jedem vergehenden Tag näher zu ihm hin, wollte herausfinden, was er ansah, was er dachte.
Und dann, an diesem einen Abend, sah er plötzlich michan. Und seine Augen schienen etwas zu erkennen, blitzten mit einem Moment mitsolchem Leben, solchen Gefühlen auf, dass ich beinahe laut aufschrie.
Er lächelte mich an, stand langsam auf, und ging die paar Tische zu mir rüber.
»Wissen Sie, meine Frau, die hatte einen Hut, ganz ähnlich wie der, den sietragen«, sprach er mich an und deutete auf meinen Hut mit zitterndem Finger.Seine Stimme war kräftiger als er selbst aussah, als er sprach. »Sie erinnern mich an sie«, fügte er dann hinzu, mit einem traurigen Lächeln.
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Entventskalender 2019
Short StoryQuack Wir suchten nach einem passenden Namen und dachten uns: „Was gibt es besseres als Enten" Der Entventskalender ward geboren. Unser Ziel mit diesem Projekt ist es, jeden Tag des Dezembers eine Geschichte hoch zu laden. Eure Geschichten. Wie ihr...