Unzufrieden betrachtete ich mein Kunstwerk. Dann wanderte mein Blick auf den Bildschirm
meines Handys. Irgendwie sah die Rose auf dem Foto ganz anders aus als das graue
Etwas, das ich da auf meinem Block zu Stande gebracht hatte. Okay, wenn man wusste,
was es werden sollte erkannte man schon, dass es eine Pflanze darstellte, aber man
erkannte weder die Blume, noch die Rose darin.
Wenn man allerdings nicht wusste, was es sein sollte könnte man durchaus denken dass es
sich um einen misslungenen Lolli handelte.
Wieder und wieder wanderte mein Blick von der naturgertreuen Vorlage auf meinem Handy
zu meinem Skizzenblock. Wenn ich ehrlich war konnte ich nicht eine Gemeinsamkeit
erkennen. Obwohl, jetzt wo ich darüber nachdachte, doch. Beides war halbwegs rund.
Mit einem Stöhnen klappte ich meinen Block zu, schob ihn von meinem Schoß und legte
den Bleitift zur Seite. Statt weiter zu zeichnen betrachtete ich die Rose auf meinem Handy.
Und irgendwie löste das etwas in mir aus. Natürlich sah die Blume total echt aus, es war
schließlich ein Foto, aber irgendwie war es gleichzeitig auch nur ein Foto.
Ich konnte die Rose weder so drehen, noch so ins Licht stellen wie es für mich am
leichtesten zu zeichnen war. Wäre ich eine halbwegs gute Künstlerin, hätte ich natürlich
beides auch in meinem Kopf tun können, aber an dem Bild eben hatte man ja schon
erkennen können, dass ich mich nicht im geringsten zu den Leuten mit Zeichentalent
hinzuzählen konnte.
Natürlich, besser wurde man nur durch üben, aber irgendwann, war der Spaß, den ich zu
Beginn am Zeichnen gehabt hatte, verloren gegangen. Was allerdings nicht zuletzt daran
lag, dass ich partout keinen Fortschritt erkennen konnte.
Ich sah zu, wie sich der Bildschirm meines Handys weiter und weiter verdunkelte, bis er
schließlich mit einem leisen Klick seinerseits und einem deutlich lauteren Stöhnen
meinerseits, ganz aus ging.
Ich legte mein Handy zur Seite und ließ meinen Oberkörper nach hinten aufs Bett fallen.
Letzteres stellte sich allerdings als eine eher schlechte Idee heraus, weil meine Beine immer
noch zu einem Schneidersitz verkreutzt waren.
Trotzdem verharrte ich einige Augenblicke so, bevor ich mich langsam daran machte mich
aus der unbequemen Situation zu befreien. Ich dachte dabei noch kurz weiter an Blumen
und Bleistifte, als mir plötzlich eine Idee kam...
Von frischem Elan gepackt sprang ich vom Bett, schnappte mir mein Handy und lief in den
Garten. Vielleicht gab es ja hier das ein oder andere Blümchn, das den Aufwand einen
Zeichenversuch von ihr zu machen Wert war.
Als ich allerdings das kleine Gartentörchen erreichte, überkam mich die unangenehme
Wahrheit. Alle Beete, Blumen und Sträucher, die ich vor etwa einem Jahr, als ich hier
eingezogen war, mehr schlecht als recht eingepflanzt hatte, waren vollkommen von Unkraut
überwuchert. Sogar die große Rasenfläche, die ich damals angelegt hatte, war kaum noch
zu erkennen. Seit ich von meiner großen Weltreise, auf der ich viel, sehr viel Neues entdeckt
hatte, war ich überhaupt nicht mehr hier im Garten gewesen. Und das einzige Fenster mit
Blick in den Garten war das meines kleinen Büros, in dem ich eigentlich ausschließlich
abends, mit heruntergelssender Jalousie, arbeitete.
Erschüttert betrachtete ich den Boden unter meinen Füßen. Überall sprossen Löwenzähne
und Gänseblümchen. Es würde mindestens zwei Tage dauern, das alles aufzuräumen. Und
dann bestimmt noch mal einen alles neu zu bepflanzen, denn bei diesem Chaos konnte es
unmöglich bleiben. So würde ich nie ein passendes Blümchen finden.
Während ich mich auf den Weg zu meinem Kleiderschrank machte, um mir etwas
passenderes für die Arbeit im Garten anzuziehen, wurde mir auf einmal bewusst, das dieses
Gefühl etwas zu tun zu haben etwas ganz anderes in mir auslöste, als der Beginn einer
neuen Zeichnung. Wenn ich einen Bleistift in die Hand nahm, um mich an ein neues
"Kunstwerk" zu wagen, war es immer eher ein Pflichtgefühl, das sich in mir ausbreitete, aber
jetzt verspürte ich eher eine Art Begeisterung.
Schnell band ich meine dunklen Haare im Nacken zu einem Zopf zusammen und machte
mich auf den Weg zu einer kleinen Gartenlaube am hintersten Ende des Grundstücks, um
alle möglichen Gartenwerkzeuge, die ich zum Einzug von meinem Großvater geschenkt
bekommen hatte, aus einer großen Truhe an der Wand gegenüber der Tür zu holen.
Dann legte ich los. Ich zupfte das Unkraut, mähte den Rasen, hakte die Blumenbeete und
fegte die Terrasse. Ich arbeitete mich durch den gesamten Garten, von der Laube ganz
hinten, bis zum Törchen ganz vorne. Dabei merkte ich gar nicht, dass die Luft um mich
herum immer kühler und das Licht immer weniger wurde. Erst als ich mit mit meiner Arbeit
beinahe fertig war, schaute ich mich um. Es war mittlerweile schon längst Abend geworden
und fast ganz dunkel.
Alles sah, in dem Licht der bereits untergegangenen Sonne, irgendwie wieder schön aus.
Das Gras war jetzt gleichmäßig geschnitten, in den Beeten lag kein Laub mehr und meine
Terasse sah nicht mehr aus wie eine Ruine.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte meine Lippen. Das hatte sich gelohnt. So gut hatte ich
mich seit dem Ende der Weltreise nicht mehr gefühlt. Ich beschloss, morgen früh in die
kleine Gärtnerei bei uns in der Stadt zu fahren um neue Pflanzen für meinen frisch
aufgehübschten Garten zu besorgen. Vielleicht sähe ein kleiner Baum dort hinten ja ganz
gut aus. Aber darüber sollte ich lieber Morgen bei Tageslicht nachdenken, damit ich jetzt
keine falschen Entscheidungen traf.
Eine Sache stand für mich allerdings jetzt schon fest. Ich würde nicht eine einzige der
Pflanzen zeichnen. Weder die, die jetzt schon in den Beeten wuchsen, noch die, die ich
morgen noch dazu pflanzen würde. Ich könnte sie nicht in ihrer echten Schönheit darstellen,
das hatte ich oft genug merken müssen, aber das brauchte ich jetzt nicht mehr. Jetzt hatte
ich einen Garten, einen schönen Garten. Ich konnte mir alle Blumen, die ich hätte zeichnen
wollen, in echt anschauen, konnte sie anfassen, mich um sie kümmern, sie pflegen.
Das hier war mein neues Hobby, meine neue Leidenschaft. Zeichnen brauchte ich jetzt nicht
mehr. Habe ich nie gebraucht, aber erst jetzt wirklich verstanden.
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Entventskalender 2019
Short StoryQuack Wir suchten nach einem passenden Namen und dachten uns: „Was gibt es besseres als Enten" Der Entventskalender ward geboren. Unser Ziel mit diesem Projekt ist es, jeden Tag des Dezembers eine Geschichte hoch zu laden. Eure Geschichten. Wie ihr...