22.12

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Fl0wer0fdarkness

„Mein Name? Wie kannst du es wagen nach meinem Namen zu fragen? Jeder kennt meinen Namen! Nun gut. Heute will ich großzügig sein. Mein Name ist Morpheus. Nun geh und erzähle allen von meiner Großzügigkeit. Die Nacht naht und als Führer der Traumgötter habe ich viel zu tun." Hoch erhobenen Hauptes stolziere ich davon. Was glaubt dieser Narr, wer er ist mich nach meinem Namen zu fragen?

Das Klackern meiner eleganten Schuhe auf dem Marmorboden hallt von den weißen Wänden wieder. Mein Vater Hypnos ließ einst diese riesigen Hallen erbauen. Sie sind gigantisch und ihre verzweigten Gänge mögen wie ein Labyrinth wirken. Durch die riesige Fensterfront zu meiner rechten erhasche ich einen Blick auf voll beladene Wolken mit neuen Besuchern, in dem strahlend blauen Himmel. Neben meinen aufkommenden Schuhen füllen nun auch Stimmen die Luft und eine neue Gruppe Touristen biegt vor mir um die Ecke. Nachdem unser Unternehmen fast pleite gegangen war, beschloss Vater unsere Hallen für Besucher aus dem Himmel zu öffnen. Die meisten sind tote Menschen, aber auch junge Engel kommen gerne her, um uns bei der Arbeit zuzusehen. Nun gesellt sich auch das Echo von heran eilenden Schritten zu der bestehenden Atmosphäre. „Die Liste, bitte", höre ich das Flüstern meiner eigenen Stimme in den ewigen Hallen und strecke meine rechte Hand zur Seite aus. Wie erwartet landet wenige Sekunden später ein Stapel Papier darauf. Ich sehe sie mir an. Eine Zahl nach der anderen schmückt die fünf Seiten. 2812 ist die erste. Wie ferngesteuert marschiere ich an den, über die strahlenden Korridore staunenden, Touristen vorbei, direkt auf Tür 2812 zu.

Jeder Mensch, der geboren wird, hat hier seine eigene Tür. Bei sieben einhalb Milliarden Türen kann man leicht den Überblick verlieren, doch nach vielen Jahrhunderten ohne Pause lernt man auch so etwas auswendig. Schließlich bleibe ich vor der richtigen Tür stehen. Die digitale Anzeige neben der rosa-farbenen Holztür verrät, dass es sich bei dem Traum um die fünf-jährige Amelie van de Laan handelt. Sie ist mir nicht unbekannt. Ihre liebsten Träume sind die, in denen sie fliegen kann. Solch einer soll es auch heute werden. Mit meinen langen Fingern streiche ich mir noch eine Strähne meiner kurzen schwarzen Haare aus dem Gesicht und klopfe anschließend mögliche Fussel von meiner faltenfreien Kleidung. Ein wenig Perfektionismus kann schließlich nicht schaden. Auf einen langen Arbeitstag gefasst, öffne ich die erste Tür. Ich beginne damit, mir das große weite Universum vorzustellen, setzte nach und nach die einzelnen Planeten hinein und zu guter Letzt die kleine Amelie und ihren geliebten Plüschhund. Vergnügt lachend saust sie, Kuschel den Hund an der Hand, um die Sterne und Planeten. Die Träume der Kleinsten sind immer die schönsten. So harmlos, kreativ und unschuldig. Ich könnte ihr ewig dabei zusehen.

Plötzlich stört das Geschrei einer schrillen Sirene die harmonische Atmosphäre. In einer gewöhnlichen Schicht zerreißt es für gewöhnlich hunderte Male die Stille. Ich sehe auf mein Medaillon. Jeder der Oneiroi – unsere Mitarbeiter – hat solch ein Medaillon. Ist es nichts weiter als ein silbernes Medaillon, hat jeder die Aufgabe seiner gewohnten Arbeit nach zu gehen. Leuchtet es grün wie so oft, hat die Person dessen Nummer darauf steht einen Klartraum, den er selbst kontrollieren kann und ist es rot...

Oh oh...

Jedes Jahrhundert gibt es gerade einmal fünf Fälle des roten Lichts. Ich stürme aus der Tür und lasse die kichernde Amelie hinter mir. „Wo ist er?" frage ich Mosos, der vor der Tür auf mich gewartet hatte. „Halle 7; Philipp Thatcher; 23 Jahre alt; geboren und lebt in Großbritannien; unerfahrener Träumer." „Also Zufall?" „Scheint so."

Wir hasten zu Halle 7, das rote Licht als unseren stetigen Begleiter. „Philipp muss in dem Traum, den er hatte, aufgefallen sein, dass es ein Traum ist. Dann fand er durch Zufall die Tür und trat aus Neugierde hindurch." „So muss es gewesen sein" bestätigt er meine Aussage. Endlich erreichen wir die Anderen. Ratlos stehen sie in guter Entfernung zu ihm und warten auf meinen Befehl. „Und du bist wirklich tot?", fragt er einen der Himmelsmenschen. „Ja, das sagte ich doch bereits", wiederholt dieser genervt. Wir müssen solche Fälle mit Vorsicht behandeln. Erfahren sie, dass die Traumfabrik tatsächlich existiert und sie nicht träumen, könnte dies schwere Folgen haben, wenn sie nach den üblichen zwei Tagen verblassen und in ihre Welt zurück kehren. Unser Ass im Ärmel: Sie denken noch immer, dass sie träumen und kaufen dir alles ab, was du erzählst.

,,Willkommen Philipp" begrüße ich ihn freundlich. ,,Du hast bestimmt Hunger." Das Glänzen in seinen Augen und das Knurren eines vermeintlichen Bären, welches jedoch seinem Magen zuzuordnen ist, bestätigt meine Theorie. ,,Ihr habt nicht zufällig Pizza und Apfeleis da?" Der Funken in seinen Augen scheint zu einer flackernden Flamme zu werden, doch ich muss mich beherrschen, um ihn nicht angewidert anzusehen. Ich wusste ja, dass diese Menschen keinen Geschmack haben, aber enttäuscht bin dennoch. ,,Natürlich. Folge mir einfach in die Küche", beantworte ich seine Frage. Mit staunenden Blicken betrachtet er die abertausend bunten Türen. ,,Da wären wir. Es ist direkt hier", erzähle ich ihm und zeige auf die Tür mit türkis-farbener Lackierung. Darauf die Zahl 1602.
,,Sogar in meiner Lieblingsfarbe!", bemerkt er begeistert.

Meine Hand hat sich bereits um den eisernen Türknauf geschlossen, als er noch eine Frage stellte.
,,Wofür stehen all diese Zahlen auf den Türen?", forscht er neugierig nach. ,,Nuuuuun jaaaaaaa...", druckse ich herum, langsam die Tür öffnend. ,,Das würde ich dir zwar gerne beantworten, aber ich muss jetzt dringend weiter arbeiten." Dann schubse ich ihn geradewegs durch den hölzernen Türrahmen in das ungewisse Schwarz. ,,Bis dann", trällere ich zum Abschied hinterher. Für ihn wird es nur als wirren Traum in Erinnerung bleiben, falls er sich überhaupt daran erinnert. Als ich die Tür schließe und mich zu meinen Mitarbeitern umdrehe, kichern diese. ,,Was ist da so lustig?", herrsche ich sie an, aber kann mir ein Lachen selbst nicht verkneifen.

Nachdem sich die Aufregung gelegt hat, gehe ich wieder meiner Arbeit nach. Mal sehen, was ich dich heute Nacht träumen lasse.

Entventskalender 2019Where stories live. Discover now