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buntebuchwelt

Ich träumte davon Ballerina zu sein…

Ich träumte davon eine Ballerina zu sein. Als Kind wollte ich nie tanzen lernen. Ich weigerte mich Tanzstunden zu nehmen. Das letzte was ich wollte war Ballett zu tanzen. Ich wollte Polizistin werden. Wollte Fußball spielen. Mich mit den Jungs prügeln und ab und zu in meinem Zimmer mit meinen Barbiers spielen. Schon als kleines Kind habe ich Musik geliebt.  Doch vom Tanzen wollte ich nie etwas hören. Dabei sind Musik und Tanz so eng miteinander verbunden. Wer Musik hört will sich automatisch im Takt bewegen. Möchte sich von der Musik leiten lassen. Eins mit der Musik werden. Wie auf einer wunderschönen Welle reiten. Sich fallen lassen. Wer tanzt hat die volle Beherrschung über seinen Körper. Er hat Disziplin, Kraft und weiß genau wie er jedes einzelne seiner Körperteile bewegen muss. Doch ohne Musik würde sein Tanz nicht funktionieren. Die perfekte Harmonie zwischen Takt und Tanz, zwischen Melodie und Bewegung, zwischen fallen lassen und beherrschen würde aus dem Gleichgewicht geraten. Genauso verhält es sich, wenn man Musik hört ohne sich dazu zu bewegen. Auch die schönste Melodie macht keinen Spaß, wenn man sich nicht von ihr tragen lassen kann. Wenn man seinen Körper nicht mit der Melodie fließen lassen kann. Wer sitzt schon stocksteif während Musik läuft? Heute bin ich traurig darüber, dass ich den engen Zusammenhang von Musik und Tanz nicht begreifen konnte als ich klein war. Als kleines Mädchen habe ich mich geweigert tanzen zu lernen. Als Teenager weigerte ich mich aus Prinzip gegenüber meiner Mutter den Standardtanz zu erlernen. Als junge Erwachsene begriff ich, dass das Ballett die einzig wahre Art war zu tanzen. Die perfekte Mischung, das perfekte Zusammenspiel aus Musik und Tanz. Zarte klänge zu scheinbar schwerelosen Bewegungen. Präzise Töne zu exakten Bewegungen. Perfektion der Musiker zu perfekter Körperbeherrschung. Ein Kraftakt, der auf jahrelangem Training beruhte und dennoch so leicht wirkte, wie ein Schmetterling, der an einem sonnigen Sommertag über eine Blumenwiese fliegt. Als junge Erwachsene begriff ich, dass der Zeitpunkt verstrichen war. Ich war zu alt, zu steif um noch mit dem Tanzen zu beginnen. Als Erwachsene besuchte ich häufig das Ballett um doch wenigstens dem Anmut und der Perfektion anderer beizuwohnen. Immer in der Hoffnung an etwas teilzuhaben bei dem ich den Start versäumt hatte. So oft setzte ich mich in einen Park. Stellte die Musik an und schaute in den Himmel. Ich träumte. Ich träumte eine Ballerina zu sein. Zu tanzen zwischen den Wolken Federleicht. Wie eine Elfe. Grazil, anmutig, beweglich und vor allem glücklich, das einzig Perfekte dieser Welt gefunden zu haben. Es für mich beanspruchen zu können. Was würde ich dafür geben noch einmal jünger zu sein. Jung genug um mit dem Tanzen zu beginnen. Mein ganzes Leben würde es verändern. Ich könnte anmutig durch die Gegend schreiten, weil ich es geschafft hatte. Ich hatte die perfekte Körperbeherrschung erreicht. Ich vereinte Musik und Tanz. Ich war grazil, elegant und hingebungsvoll. Ich bewegte mich im Rhythmus der Musik. Ich folgte dem Takt und dennoch würde es wirken, als gäbe ich ihn vor. Der perfekte Augenblick. Zugänglich für jeden, der sich nur traute. Für jeden der im richtigen Moment entschied mit dem Tanzen zu beginnen. Für mich ging es dabei nicht um Erfolg. Ich wollte tanzen. Tanzen nur für mich alleine. Meine Version des Himmels auf Erden. Schweben, wie eine Feder. Springen, wie ein flacher Stein auf dem Wasser. Fliegen, wie ein Schwan. Nun bin ich alt. Ich sitze vor dem Theater und beobachte die jungen Ballerinen. Sie haben alle so eine tolle Gabe. Sie nutzten ihre Chance und widmeten sich dem besten, was die menschliche Kultur hervor gebracht hatte. Der perfekten Verknüpfung von Musik und Tanz. Doch wirkten sie glücklich? Nein. Sie waren müde. Sie hatten sich hervorgetan unter so vielen anderen. Sie hatten ihr Talent bewiesen. Sie gehörten zu einer kleinen Elite. Doch sie beschwerten sich über Blasen. Alles was sie wollten war ein Menü in irgendeinem fettigen Fast-Food Imbiss. Sie schwärmten von fettigem Essen. Von freien Tagen. Ohne Trainer. Ohne Musik. Ohne Tanz. Ich lauschte ihnen. Wie konnten sie so begnadet sein und nicht einmal ahnen, was für ein Glück sie hatten dieser Tätigkeit nachgehen zu können? Sie waren jung, die Welt lag ihnen zu Füßen und sie träumten davon frei zu sein. Ich war alt und träumte davon frei zu sein. Ich träumte davon eine Ballerina zu sein.

Entventskalender 2019Where stories live. Discover now