Am nächsten Morgen bin ich wie gerädert. Der Name Lenny O'Neill löste gar nichts in mir aus, aber dieses Gesicht und seine blauen Augen waren mir so bekannt vorgekommen, dass ich dachte ich würde einem alten Verwandten gegenüberstehen. Natürlich darf ich mir in solchen Momenten nichts anmerken lassen, aber ich habe gesehen, dass so etwas wie Angst durch seinen Blick ging.
Ich drehe mich noch einmal im Bett um und werfe wie schon die letzten 50 Minuten zuvor einen Blick auf meinen nur noch schwach leuchtenden Handybildschirm. Dadurch, dass ich eh nicht schlafen konnte, habe ich meine Familie nach langer Zeit nochmal kontaktiert, ihnen einen guten Start in die Weihnachtszeit gewünscht und ein paar Bilder der frostigen Berge geschickt.
Langsam verabschiedet sich mein Akku und da das Internet hier nicht ganz so gut ist, verwerfe ich den Gedanken den Morgen bis zu meiner Schicht im Bett zu verbringen und mir YouTube-videos anzusehen, wie ich es noch während meiner Schulzeit gemacht habe. Da anscheinend auch niemand meiner alten Freunde, die jetzt Studenten sind, die Güte hat mir zu antworten, beschließe ich schon früher aufzustehen und vielleicht ein wenig draußen spazieren zu gehen, bevor dann um 7:30 Uhr mein Arbeitstag beginnt.
Draußen ist es noch dunkel und das gefrorene Gras knirscht unter meinen Schneestiefeln. Fröstelnd ziehe ich meine dicke Winterjacke fester um meinen Körper und sehe meinem Atem dabei zu, wie er kleine Wölkchen bildet. Die kleine Runde, welche das Hotel umschließt, habe ich nach zehn Minuten beendet und da ich noch keine Lust habe in das Hotel zurückzukehren setze ich mich auf die Bank, welche neben dem Eingang vor dem Hotel steht.
„Ich liebe die kalte Winterluft. Alles ist so rein und klar, findest du nicht?"
Erschrocken fahre ich zusammen und sehe neben mir, ebenfalls im dicken Mantel, Schal und Mütze, Lenny O'Neill sitzen. „Äh, ja doch. Konnten Sie nicht mehr schlafen? Kann ich ihnen etwas bringen?"
„Nein, alles gut. Ich kann wegen des Jetlags noch nicht schlafen. Der Rest meiner Familie hat anscheinend gar kein Problem damit, aber da ihr Schlafrhytmus durch das Baby zerstört ist, wundert mich das auch nicht wirklich. Und als ich dann ich gesehen habe, dass hier draußen noch eine andere verlorene Seele herumgeistert dachte ich, dass es gut wäre ein wenig Gesellschaft zu haben. Es ist ja noch ziemlich früh oder?"
Ich schiebe meine Handschuhe ein wenig nach unten und sehe auf die Uhr. „Mittlerweile 5:30 Uhr, Mister O'Neill."
„Danke." Seine blauen Augen sehen mich von der Seite an und ich bin froh, dass mein Gesicht durch die Kälte des kommenden Winters schon rot ist. Bewusst versuche ich seinem Blick auszuweichen und der kleine Faden an meinem Mantel ist wirklich sehr interessant. „Und was verschlägt dich so früh nach draußen? Offensichtlich arbeitest du ja gerade nicht."
Ich atme tief ein. Ich habe von ihren Augen geträumt und sie kommen mir so unfassbar bekannt vor. „Ach das liegt einfach daran, dass ich immer sehr früh aufstehe", sage ich stattdessen leise und ziehe meine Schultern hoch, sodass mein Schal noch mehr als die Hälfte meines Gesichtes verdeckt.
„Ach ja das kenne ich. In New York, dort wo ich lebe, ist immer etwas los. Dort kann man nicht einfach mal sitzen und alleine sein." Wieder wandern seine Augen zu mir und ich drehe mich zur Seite um ihn ansehen zu können. Es ist einfach zu unhöflich, wenn man eine Person während eines Gespräches nicht ansieht. „Entschuldige bitte meinen Redefluss, meine Schwester redet nur von Teddy, ihr Mann ist generell nicht so der Gesprächigste und mit den Kindern kann man sich jetzt nicht wirklich über Bob der Baumeister-Niveau unterhalten."
„Schon in Ordnung", lächel ich und stehe auf, „ich muss mich jetzt aber leider entschuldigen. Meine Schicht fängt gleich an. Und da darf ich natürlich nicht zu spät erscheinen."
DU LIEST GERADE
Under The Mistletoe - Adventskalender 2019
RomanceDie kalten Wintertage haben begonnen, Mistelzweige hängen von den Türrahmen und die Luft ist erfüllt von Zimt. Die Weihnachtsstimmung ist aber nur für die Gäste des Hotels, denn die Jahrespraktikantin Ellie hat alle Hände voll zu tun diese in der Ad...