Am Abend hat sich eine wohlige Ruhe über das Hotel gelegt. Die Gäste, welche den Tag über auf der Skipiste verbracht haben, gehen früh zu Bett und Familie Hunter und Williams hat sich auch nicht mehr zum Abendessen blicken lassen, was auf den Jetlag dieser zurückzuführen ist. Mit ihnen sind dann auch die letzten Gäste für die Weihnachtszeit angekommen und wir sind komplett ausgebucht.
Einige Gäste sitzen nach dem Abendessen noch in der Bar, trinken Kakao und unterhalten sich miteinander. Unter ihnen ist auch Finley Stuart, ein älterer Herr, welcher vor ein paar Tagen hier angereist ist und wie viele andere hier, jedes Jahr hierher zurückkehrt, um Weihnachten zu feiern. Ich persönlich wäre ja lieber bei meiner Familie, aber Stella hatte mir erzählt, dass seine Frau vor Jahren gestorben wäre und seine Kinder und Enkel an Weihnachten immer in warme Länder verreisen würden. Da Mister Stuart aber Winter und Weihnachten liebt, weigert er sich mitzukommen, was ihn mir persönlich sehr sympathisch macht.
Stella und ich sitzen beide mit einem Kakao mit Sahne in der Hand bei der Rezeption und beobachten die funkelnden Lichter des Weihnachtsbaumes und das Glitzern der goldenen Kugeln. „Ein Glück, dass Madame Mercier heute noch in die Stadt musste. Wie sie dich herumscheucht, macht mich ganz unglücklich. Du bist doch noch ein Kind."
Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse und nehme einen weiteren Schluck aus der weiß-goldenen Tasse. „Nur weil ich kleiner als der Durchschnitt bin, heißt es nicht, dass ich ein kleines Kind bin."
„Ich weiß. Übrigens. Wusstest du, dass der ET für Baby am 24.12. ist? Sie ist bestimmt winzig und süß. Und dann kann ich ihr kleine Schleifchen anziehen und sie in süße Kleidchen einkleiden und mit ihr in einem Kinderwagen spazieren gehen."
Ich hebe meine Augenbraue und sehe mich um, ob es irgendetwas zu tun gibt, was mich davon abhält Stella zu sagen, dass ihr Baby ein echter lebendiger Mensch ist und keine Puppe. „Ja. Das hast du schon zwei oder drei Mal erwähnt."
„Habe ich dir auch schon die App gezeigt, welche mir jeden Tag anzeigt, wie groß Baby ist und welche Fortschritte sie macht?"
„Ich wusste gar nicht, dass Amnesie teil einer Schwangerschaft ist", stöhne ich leise und stelle die Tasse auf meinem Schoß ab.
Stella legt den Kopf schief und grinst. Dann wendet sie sich dem Computer zu und öffnet das Emailfach des Hotels. „Du brauchst gar nicht so frech zu sein. Wenn du schwanger bist, erinnere ich dich daran."
„Also wenn hier jemand keine Kinder haben wird, dann bin ich das", pruste ich los und bin froh, dass das Telefon klingelt, als Stella gerade zu einer Antwort ansetzt. Schnell nehme ich den Hörer vom Schnurtelefon auf drücke ihn Stella in die Hand.
„Guten Abend Mademoiselle Dupont", meldet sie sich und bedeutet mir mit einem Wink, aufzustehen,„ Aber natürlich kann ihnen ein Tee auf ihre Zimmer gebracht werden. Ellie wird sofort losgehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend."
Stella legt den Hörer auf die Gabel und sieht mich auffordernd an. „Mademoiselle Dupont. Zimmer 73. Teewasser."
Ich hebe meine Hände und verschwinde aus der Rezeption hinaus in die Bar. Vorallem an Tagen, an denen neue Gäste aus anderen Ländern gekommen sind, läuft die Küche auch Nachts noch auf Hochtouren. Viele bestellen sich dann noch Essen auf das Zimmer, weil sie nach der anstrengenden Anreise noch geschlafen haben. Bei der Vorstellung, dass sich Jade und Ruby Williams gerade Käsenachos bestellt haben, muss ich schmunzeln. Wahrscheinlich haben sie doch eher einen fettfreien Salat bestellt, damit sie auch weiterhin in weißer Kleidung dünn aussehen.
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An Zimmer 73 angekommen, klopfe ich zwei Mal und rufe laut „Zimmer-Service." Sofort wird mir die Tür geöffnet und Mademoiselle Dupont erscheint im Türrahmen.
„Ah Ellie, komm doch herein." Mademoiselle Dupont bewohnt eine Zwei-Zimmer-Suite, welche die gleiche Aussicht wie mein Zimmer hat. Alles ist sehr gemütlich eingerichtet und überall liegen Skizzen und Stoffteile herum, was daran liegt, dass sie dieses Zimmer schon bewohnt hat, bevor ich mein Praktikum hier angefangen habe. Sie ist eine berühmte Modedesignerin, welche, genau wie Gabrielle Chanel, sich dazu entschieden hat, nicht mehr ein eigenes Heim zu besitzen, sondern nur noch in einer Hotelsuite zu leben. „Möchtest du auch einen Tee?", fragt sie mich freundlich und nimmt mir die Teekanne aus der Hand.
„Nein, vielen Dank. Madame Mercier war beim letzten Mal nicht sehr begeistert, dass ich so lange bei ihnen hier oben war."
„Zufälligerweise weiß ich aber, dass Madame Mercier gerade außer Haus ist. Also setz dich hin, du hattest heute bestimmt einen anstrengenden Tag. Ich habe gesehen, dass diese schrecklichen Amerikaner heute gekommen sind. Erzähl mir alles. Ist Mrs. Williams noch immer so besessen von Edelsteinen?" Sie hält mir eine ihrer feinen, mit Blumenranken verzierten Teetassen hin und ich nehme auf der schwarzen Couch Platz.
„Ihre Hände und ihr Hals waren auf jeden Fall damit bestückt."
Mademoiselle Dupont setzt sich auf die gegenüberstehende Couch und nimmt sich einen der kleinen Kekse, die immer auf einem Teller bereit stehen. Außen sind sie knusprig und innen haben sie eine weiche Füllung aus Schokolade. „Sie hat ihre Kinder nach Edelsteinen benannt. Sagt das nicht so wirklich alles über diese Frau aus? Außerdem benimmt sie sich wie ein kleines, trotziges Kind, wenn sie nicht das bekommt, was sie haben will. Und von ihren Töchtern will ich gar nicht anfangen."
„Das Einzige wofür sie sich heute Nachmittag interessiert haben, waren Bilder vor dem Weihnachtsbaum. Ich habe nichts gegen Bilder vor einem Weihnachtsbaum, aber die Beiden waren wirklich extrem."
Vorsichtig puste ich auf den dampfenden Ingwertee und lehne mich in die weichen Kissen zurück.
Mademoiselle Dupont lacht auf. „Die beiden haben letztes Jahr wirklich den Mut gehabt mich zu fragen, ob ich ihnen ein Weihnachtsballkleid nähen könnte. Sind sie wieder mit der Schwester von Mrs Williams hier? Und diesem armen Kind mit dem schrecklichen Namen? Wie war der noch gleich?"
„Jeremy-Pascal?"
„Ja, genau. Wie soll das Kind später ernst genommen werden? Also zu meiner Zeit hat man sich über solche Namen lustig gemacht."
„Oh, heute auch noch, glauben Sie mir."
Kopfschüttelnd nimmt Mademoiselle noch einen Schluck aus der Teetasse. Dann wedelt sie mit der Hand in der Luft rum. „Erzähle mir doch etwas über diese Familie, die gestern angereist ist. Ich habe sie heute morgen nur ganz kurz beim Frühstück sehen können."
Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sie dort sitzt und heimlich über den Rand ihrer Modezeitschriften sieht, welche nur ihre Mode zeigen, und die Gäste des Hotels beobachtet.
„Familie O'Neill? Die Familie mit den drei Kindern?"
„Ja, genau die. Erzähl mir was über die."
Eigentlich darf ich keine Informationen über Gäste herausgeben, aber da Mademoiselle Dupont eigentlich sowieso hier wohnt und es früher oder später alles selbst herausfindet, ist es nicht so schlimm. Hoffentlich. „Also Familie O'Neill sind mit sechs Personen in die Suite 2 gezogen und bleiben den ganzen Dezember über. Dazu gehören auf jeden Fall Levia und ihr Mann Thomas. Er ist Wissenschaftler. Die beiden haben drei Kinder names Louie, Lilou und Teddy. Außerdem ist da auch noch dieser Lenny. Er ist der Bruder von Levia. Ich kenne seinen Beruf aber auch nicht. Das einzige, was ich bisher weiß, ist, dass er in New York wohnt und unglaublich blaue Augen haben. Irgendwie kommt er mir auch bekannt vor, aber ich weiß nicht woher. Das versuche ich schon seit gestern Abend zu ermitteln."
„Und dieser Lenny ist nichts für dich? Er wirkte so, als wäre er in deinem Alter", zwinktert mir Mademoiselle Dupont zu und ich verschlucke mich an dem Keks, welchen ich gerade in meinen Mund geschoben habe.
„Natürlich nicht. Mit Gästen des Hotels darf nichts angefangen werden, Mademoiselle Dupont."
„Sehr schade."
20 Tage bis Weihnachten.
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Under The Mistletoe - Adventskalender 2019
Lãng mạnDie kalten Wintertage haben begonnen, Mistelzweige hängen von den Türrahmen und die Luft ist erfüllt von Zimt. Die Weihnachtsstimmung ist aber nur für die Gäste des Hotels, denn die Jahrespraktikantin Ellie hat alle Hände voll zu tun diese in der Ad...