Aus der Bar dringt Weihnachtsmusik in die Lobby und Stella, welche mir freundlicherweise einen kleinen Schokonikolaus mitgebracht hat, lehnt sich gemütlich in ihrem Schreibtischstuhl zurück. „So lässt es sich leben. Die Gäste sind alle beim Nikolausessen im Restaurant und wir können uns so richtig entspannen. Nach allem, was mir in den letzten Tagen so zu Ohren gekommen ist, hast du es ja eigentlich am meisten nötig, Ellie."
Erschrocken fahre ich zusammen. „Wie bitte?"
„Du bist jetzt aber nicht mit offenen Augen eingeschlafen oder?" Stella lacht und streicht über ihren Bauch, welcher sich heute ganz besonders unter der weißen Bluse spannt.
„Nein, natürlich nicht." Ich verschränke meine Arme vor der Brust und ziehe eine Augenbraue hoch. Natürlich kann ich ihr nicht erzählen, dass ich an Lenny und seine blauen Augen gedacht habe und wie traurig sein Gesicht ausgesehen hatte, als Ruby und Jade ihn bedrängt hatten. Seitdem sind zwei Tage vergangen und er hat meines Wissens nach die Suite nicht mehr verlassen. Nicht, dass es mich interessieren würde. Er ist ja einfach nur ein Gast des Hotels.
„Ja klar. Ich sehe doch, dass dir was auf dem Herzen liegt. Ich habe doch jetzt den Mutterinstinkt schon vergessen?"
Kurz lache ich auf. „Es ist nicht zu übersehen. Außerdem hast du mir einen Nikolaus mitgebracht, weil es sonst niemand anderes tun würde. Und du hast mich als Kind bezeichnet und nicht als gleichwertigen Erwachsenen."
„Du bist ja auch noch ein Kind, Schatzi. Mit siebzehn ist man noch lange nicht erwachsen", kommt es von ihr zurück. Und obwohl ich mittlerweile angefangen habe, mich in der Lobby umzusehen, höre ich heraus, dass sie dabei grinst. „Und außerdem ist man für Schokonikoläuse niemals zu alt, verstanden."
„Yes Ma'am." Ich salutiere vor ihr, was uns beide zum lachen bringt.
„Ellie!" Mit Tränen in den Augen sehe ich auf und blicke in Madame Merciers ernstes Gesicht. „Was ist 'ier los?" Als sie keine Antwort von Stella, welche sich sofort wieder dem Computer zugewandt hat, oder mir, der das Lachen im Halse stecken geblieben ist, bekommt, winkt sie ab. „Ach was, es ist mir auch eigentlich egal. Du musst sofort mitkommen."
„Natürlich Madame", flüstere ich und stehe auf. Ihre große, schmale Hand packt mich am Blusenärmel und sie zieht mich hinter sich her in den Vorraum der Küche.
Als ich durch die Tür trete bleibe ich, trotz Madame Merciers Zerren, stehen. Vor mir sitzt, in einem Bischofsgewand und einem langen goldenen Stab der Nikolaus. Freundlich lächelt er mich an und ich schüttele seine weiß behandschuhte Hand, welche er mir entgegenstreckt. „Du musst Ellie sein."
„Und sie wird den Engel für die Nikolausfeier überne'men", fügt Madame Mercier hinzu, welche mich mittlerweile losgelassen hat. Ihr Kopf dreht sich zu mir. „Lilli, dieses ungeschickte Ding, sie 'at sich eine von diesen ekel'aften Magen-Darm Krank'eiten ge'olt. Und nun 'ängt sie über der Angestelltentoilette und kommt nicht mehr 'eraus. Aber da du ja immer da bist, kannst du das überne'men."
„Aber ich bin kein Engel", sage ich verdutzt und zeige an mir hinunter. Der Nikolaus fängt an zu lachen und Madame Mercier zieht eine ihrer Augenbrauen hoch.
„Ich 'offe, dass diese Aussage nicht ernst gemeint war." Sie drückt mir eine Kleidertüte in die Hand und zeigt auf die Männertoilette. „Du gehst dich jetzt sofort umzie'en und dann wirst du den besten Engel spielen, den du dir jemals selbst vorstellen könntest, compris?"
Zögerlich gehe ich auf die Männertoilette zu. Aus der Damentoilette kommt ein lautes Würgegeräusch und ich verziehe angewidert das Gesicht. Ich hasse es, wenn kranke Menschen sich auf einer öffentlichen Toilette übergeben, wenn sie eigentlich noch von anderen Mitarbeitern genutzt wird.
Mit dem Rücken stoße ich die Tür auf und schließe sie dann ab. Während ich meine Weste und die Bluse aufknöpfe sehe ich in den Spiegel. So sieht definitiv kein Engel aus. Die Weste und Bluse lasse ich auf den Boden fallen und sehe in die Kleidertasche, welche ich an die Türklinke gehangen habe.
Wenigstens hat diese Lilli an alles gedacht, was ein Engel benötigt und so ziehe ich neben dem Kostüm auch noch eine Dose mit goldenem Glitzerstaub ,goldene Engelsflügel und einen goldenen Haarschmuck heraus, welcher aus kleinen Monden und Sonnen besteht.
Das Engelskostüm besteht aus einem bodenlangen, weißen Kleid mit goldenen Nähten und einem goldenen Gürtel. Da ich glücklicherweise hautfarbene Unterwäsche trage, werfe ich das Kleid nur über und ziehe es mit dem Gürtel so fest, wie es nur geht, um das Kleid wenigstens ein bisschen zu taillieren. Meine Haare öffne ich zum ersten Mal heute und fahre mit den Fingern durch meine Locken, welche mir voluminös über die Schultern fallen. Dann verteile ich das Glitzer ein wenig auf meinen Wangen und meinen Augenlidern. Lilli hat anscheinend auch passende Schuhe in die Tasche gepackt und als ich sie herausziehe, bleibt mir die Luft weg.
Ein Engel mit weiß glänzenden hohen Boots? Ich blicke auf die alternative an meinen Füßen, als Madame Mercier gegen die Tür klopft. „Ellie, kommst du jetzt? In zwei Minuten müsst ihr da drinnen sein und unseren Gästen eine gute Vorstellung liefern."
„Ja sofort", rufe ich und zerre mir den Rock und die schwarzen Schuhe, welche ich noch unter dem Kleid anhatte, herunter. Dann streife ich mir die Boots über, welche, Gott sei Dank, genau meine Größe haben.
Meine Kleidung stopfe ich in die Kleidertasche und lasse sie in der Toilette liegen. Hier wird sie schon nicht wegkommen. Nachdem ich auch noch den Haarschmuck auf meinem Kopf platziert habe, öffne ich die Tür und sehe dem Nikolaus entgegen, welcher anerkennend nickt und mir dann sein goldenes Buch in die Hand drückt. „Du bist einer meiner schönsten Engel, bereit?"
„Oh vielen Dank", antworte ich und mein Herz beginnt zu rasen. Nicht, weil ich ein Kompliment von einem älteren Herren bekommen habe, sondern weil ich jetzt vor die Gäste des Hotels treten und ihnen den Engel an der Seite des Nikolaus spielen muss. Und immer, wenn ich spielen soll, bin ich aufgeregt.
Meine Zunge fährt über meine Zähne, da ich jetzt die ganze Zeit lächeln muss und bestimmt nicht ein Stück Schokolade auf meinen Zähnen kleben haben will. Madame Mercier schiebt uns zur Tür hinaus in den Flur. „Ellie muss bereit sein, sie müssen nämlich jetzt da rein."
Der Nikolaus lächelt mich noch einmal an und strafft seine Schulter. „Na komm Engelchen Ellie. Geben wir den Kindern ein schönes Nikolausfest."
Die Servicemitarbeiter öffnen uns die Doppeltür und wir betreten das Restaurant, in dem eine rege Stimmung herrscht. Ich sehe mich um und lächele in die Gesichter unserer Hotelgäste, welche sich beim Essen unterhalten und alle in langen Abendkleidern und Anzügen gekleidet sind. Madame Mercier schreitet zu der kleinen Bühne, welche neben der Bar aufgebaut wurde und nimmt das Mikrofon. „Liebe Gäste und vor allem liebe Kinder, ein ganz besonderer Gast ist gerade vorgefa'ren. Für die, die nicht wissen, wer der Nikolaus ist. Er wird es euch gleich selbst erzä'len, aber vorab möchte ich i'nen noch eine schönen Abend wünschen", sagt sie deutlich und breitet einladend die Arme aus, während der Nikolaus und ich zu ihr auf die Bühne gehen und auf den schon hingestellten Stühlen Platz nehmen.
Interessiert werden wir von allen Seiten beobachtet und nachdem das Klatschen nach Madame Merciers Einführung abgeebbt ist, nimmt der Nikolaus das Mikrofon. „Hallo liebe Kinder. Auch von mir eine herzliche Begrüßung. Ich war heute den ganzen Tag unterwegs auf der Welt, um an Weihnachtsfeiern teilnehmen zu können und bin froh, dass ich meinen Abend nun mit euch verbringen kann. Mein Engel Ellie und ich freuen uns über eure Gastfreundschaft und werden euch nun eine kleine Geschichte erzählen."
Als ich dem Nikolaus sein goldenes Buch überreiche, lasse ich meinen Blick durch den Raum gleiten und sehe in Lennys grinsendes Gesicht. Und obwohl ich eh schon ein Dauerlächeln auf den Lippen habe, wie sich das für einen Engel gehört, muss ich noch ein wenig mehr lächeln.
Der Nikolaus schlägt sein Buch auf und holt tief Luft. Dann beginnt er die Geschichte des Nikolauskindes und während er erzählt schweift mein Blick auf die großen Fenster. Draußen hat es wieder begonnen zu schneien. In dicken Flocken fallen die Schneeflocken vom Himmel und legen über alles eine weiße Decke.
'Was für ein schöner Nikolausabend', denke ich.
18 Tage bis Weihnachten.
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Under The Mistletoe - Adventskalender 2019
RomanceDie kalten Wintertage haben begonnen, Mistelzweige hängen von den Türrahmen und die Luft ist erfüllt von Zimt. Die Weihnachtsstimmung ist aber nur für die Gäste des Hotels, denn die Jahrespraktikantin Ellie hat alle Hände voll zu tun diese in der Ad...