13. Dezember

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Morgens begrüßt mich Madame Mercier an der Rezeption. Ihr strenger Dutt zieht ihre hohe Stirn straff nach hinten und der Haaransatz ist dadurch schon ein Stückchen weggerissen.

„Guten Morgen Ellie. Ich 'offe, dass es dir 'eute besser geht. Ich möchte nicht, dass die Gäste denken, du würdest deine Bakterien 'ier überall verteilen, compris?"

„Nein natürlich nicht, Madame", antworte ich schnell und streiche mit der Hand über meinen Magen, welcher schon wieder die ganze Nacht hindurch rumort hat.

„Sehr gut. 'ör zu. Ich möchte, dass du 'eute Morgen ein wenig beim Ausschank an der Bar mit 'ilfst. Du musst nur Orangensaft in die Gläser schütten und sie auf ein Tablett stellen, das wirst du doch bestimmt 'inbekommen, nicht wa'r? Und danach kommst du wieder zurück an die Rezeption, da Stella deine 'ilfe wirklich benötigt."

„Ja Madame." Natürlich kann ich Orangensaft aus einer Flasche in ein Glas schütten, mit siebzehn Jahren sollte man den Dreh zum Einschütten eines Getränks wirklich mal draufhaben. Denkt sie wirklich, dass ich so dumm bin? Meine Füße gehen wie von selbst in das Restaurant, in welchem ich von einem der Barkeeper begrüßt werde, welche hier jeden Morgen das Frühstück mit den Servicearbeitern vorbereitet.

„Hey, ich bin Ellie. Madame Mercier hat mir gesagt, dass ich dir heute helfen soll", beginne ich und stelle mich neben ihn hinter die Theke.

Seine blonden Haare fallen ihm fransig in über die Augen und berühren seine ebenso blonden Wimpern. Von seiner Arbeit sieht er nicht einmal hoch, während er im perfekten Winkel den Orangensaftkrug von seinem Körper hält und mit den weiß behandschuhten Händen das Tablett festhält. „Ja, ich weiß Bescheid. Madame Mercier war eben hier. Ich bin Bobby. Du kannst dir einen der Krüge nehmen und in die Sektgläser füllen. Kannst du so etwas?"

Mit leicht zusammengekniffenen Augen sehe ich ihn an und greife nach einem der Krüge. Wie unfreundlich ist das denn? Sehen mich hier alle als unbegabt oder ist das Eingießen eine Meisterleistung, die so schwierig zu erlernen ist? Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse und schiebe mich an ihm vorbei, um zu einem der vorbereiteten Tabletts zu gelangen. „Ich denke, dass ich das schon hinbekommen werde."

Um es diesen Menschen so richtig zu beweisen schaffe ich es, das Glas perfekt zu treffen, ohne auch nur einen einzigen orangen Tropfen zu verschütten. Annerkennend sieht Bobby mich dann auch endlich an. „Tut mir Leid, dass ich dich so angeranzt habe. Die meisten der Hilfskräfte haben nämlich so überhaupt kein Gefühl dafür und bringen meinen Zeitplan komplett durcheinander."

„Schon in Ordnung", ein wenig echtes Lächeln kommt über meine Lippen. „Ich bin übrigens keine Aushilfskraft. Ich bin Jahrespraktikantin und schon seit einiger Zeit hier."

„Nun, das tut mir Leid. Du scheinst eine anständige Person zu sein, die auch mal anpacken kann und ich freue mich deine Bekanntschaft zu machen." Seine Handschuhhand schiebt sich in mein Blickfeld, da ich weiterhin die Gläser befüllt habe.

Ich stelle den schweren Krug ab und ergreife seine Hand. Sein Händedruck ist genau richtig. Nicht zu feste, aber auch nicht so labbrig, wie die mancher Ärzte im Krankenhaus. Schon jetzt zieht meine Schultermuskulatur, doch die fehlende Kraft in den Armen wird mich nicht daran aufhalten, den Gästen einen perfekt eingefüllten Orangensaft zu servieren.

Mit einem netten Lächeln lässt Bobby meine Hand los und stellt sich eins der Tabletts auf die Hand. Dann umrandet er die Theke und verteilt die Gläser auf jedem einzelnen Platz der schon eingedeckten Tische. Die ersten Gäste betreten den nach Croissants riechenden Raum und begeben sich mit lautem Geschnatter zu den Plätzen. Als hätte ich nichts anderes erwarten müssen, ist es natürlich Familie Williams und Hunter, welche uns am frühen Morgen schon die Ehre erweisen. Jade und Ruby, heute sehr mysteriös in schwarz, lassen sich auf den weichen Stühlen nieder und schlagen demonstrativ synchron ihre Beine übereinander. Beide haben eine halbe Blutorange vor sich, welche sie langsam und bewusst in kleine Stückchen teilen und dann mit einem Löffel herauslöffeln.

„Wie kann man nur so verbohrt sein?", kommt es hämisch neben mir und ich drehe überrascht meinen Kopf zu Bobby, welcher das erste Tablett schon verteilt hat. „Jeden Morgen, wenn ich die Töchter Williams sehe, kommt in mir eine gähnende Langeweile hoch. Jeden Morgen essen sie eine halbe Blutorange und die Hälfte eines Croissants. Und währenddessen schießen sie Bilder voneinander und versuchen diesen Lenny O'Neill anzumachen, welcher überhaupt nicht darauf eingeht."

Grinsend halte ich mir die Hand vor den Mund und nicke. Irgendwo hat er bestimmt recht. Es ist ja nicht einmal wirklich so, als würden sich die beiden in irgendeiner Weise miteinander unterhalten. Wahrscheinlich schreiben sie miteinander.

-

Nach der Schicht an der Theke, gefolgt von der an der Rezeption betrete ich Nachmittags mein Zimmer. Das Blinken meines Handys kündigt eine neue SMS an. Offensichtlich ist es Jonas wirklich wichtig sich mit mir zu treffen und eigentlich habe ich auch Lust darauf heute noch etwas zu unternehmen.

„Auch wenn du mir seit gestern nicht antwortest, was ich absolut nicht nachvollziehen kann, werde ich heute früher das Café verlassen und dich auf den Weihnachtsmarkt entführen. Ich hole dich um 17:30 Uhr ab. Jonas"

Ein Blick auf die Uhr versetzt mich sofort in Panik. Es ist 17:02 Uhr und ich habe ihm weder geantwortet, noch mich irgendwie darauf vorbereitet, was man in solchen Situationen anziehen sollte. „Okay, ganz ruhig, Ellie", flüstere ich mir selbst zu und springe, nachdem ich Jonas eine Zusage geschickt habe, zu der kleinen Kommode in meinem Zimmer.

Jede Schublade wird aufgezogen und jedes einzelne Teil, welches ich schon lange nicht mehr angezogen habe, wandert auf mein Bett. Am liebsten würde ich mich jetzt mit einem Nervenzusammenbruch und einem Buch in die kleine Nische zwischen den Fluren verkriechen und nicht mehr herauskommen, aber da ich es Jonas versprochen habe und ich mich nicht von ein paar Kleidungsstücken aus dem Konzept bringen lasse, entscheide ich mich schlussendlich für eine enge Jeans, meine Winterstiefel und einen weißen Rollkragenpullover mit Schneeflocken und Rentieren. Um wenigstens ein wenig festlich herüber zu kommen und mich endlich einmal auf die Weihnachtszeit einlassen zu können, tupfe ich mir mit dem Finger noch etwas roten Lippenstift auf und ziehe eine rote Bommelmütze an.

Zufrieden sehe ich in mein Spiegelbild und werfe mir den schwarzen Mantel über, welcher mich Zuhause schon so einige eiskalte Winter hat überleben lassen. Schnell schnappe ich mir noch die kleine rote Umhängetasche und meinen Geldbeutel, um dann aus dem Zimmer hinaus, die Treppen hinunter zu laufen und am Dienstboteneingang zu stehen.

Offensichtlich kennt Jonas sich hier ziemlich gut aus, denn sein Auto, auf welchem dick die Werbung für sein Café prangert, steht schon vor der Tür.

Jonas schiebt sich aus dem Auto und es ist das allererste Mal, dass ich ihn ohne seine grüne Schürze sehe, was einerseits verwirrend, aber ihn auch andererseits nur noch besser aussehen lässt, als er es sowieso schon ist. Seine grünen Augen blitzen auf und er öffnet mir, wie ein richtiger Gentleman die Beifahrertür. Vorsichtig lässt er sie zufallen und läuft schnellen Schrittes vorne um sein Auto herum. Die Fahrertür öffnet sich und Jonas lässt sich neben mich auf den Sitz fallen. Ich beiße mir auf die Wangen, damit ich nicht allzu sehr grinse und verknote mein Hände im Schoß miteinander.

„Hey Ellie", grinst er und legt einen Arm auf die Mittelkonsole, während er mich mit einem Blick ansieht, der mir eine Gänsehaut über den Körper jagt.

„Hey." Meine Stimme ist ganz leise, aber die Art wie er grinst verunsichert mich so sehr, dass ich nicht wirklich einen Satz hervor bringen kann.



Noch 11 Tage bis Weihnachten.





Under The Mistletoe - Adventskalender 2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt