❄️ 13. Dezember ❄️

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Die Send a rose Aktion ist jedes Jahr ein viel zu großer Aufriss für ein paar Karten. Marie und ich erfüllen nicht das klassische Klischee eines Mädchens im Film. Wir bekommen eine Karte. Und die ist von der besten Freundin. Ja, Marie und ich schicken uns gegenseitig Karten, um uns nicht so doof zu fühlen. Und, weil es einfach zu witzig ist, das Gesicht der Anderen zu sehen, wenn sie die Karte liest. Als heute die ersten Karten zu kaufen sind, stelle ich mich also total busy an, um den Anschein zu erwecken, ich hätte eine wichtige Mission zu erledigen. Ich hänge meinen Gedanken nach und versinke wieder im Halbschlaf. Viel zu lange habe ich gestern wachgelegen, weswegen ich heute wie ein Weihnachtszombie durch die Schule laufe. Als jemand mir auf die Schulter tippt, zucke ich erschrocken zusammen.

Nico runzelt die Stirn und stellt sich neben mich. „Müde oder was?", fragt er mit einem Seiten Blick auf mich. Ich nicke müde.
Ich denke daran, dass ich Gabriel nicht ewig aus dem Weg gehen kann, nach der letzten Filmnacht.
Es ist irgendwie wie Verrat, dass ich in wenigen Tagen so viel an jemand anders denke, wenn ich monatelang nur Nico im Kopf hatte.
Ich verstehe ja nicht einmal selbst, was in mir vorgeht. Geschweige denn, was ich für Gabriel empfinde.

„Und für wen kaufst du dieses Jahr eine?", fragt er. „Wieder für Marie ?"
Entrüstet starre ich ihn an.
„Ähm. Nein. Wie kommst du da drauf?" Ähm, doch.
Nico grinst mich wissend an. „Das weiß jeder. Ist doch niedlich."
Ich sehe ihm an, dass er uns für ziemlich verquer und armselig halten muss. Er ist ja auch jedes Jahr gefragt als Briefkasten für Kärtchen und Rosen. Schweigen breitet sich über mir aus, ehe wir an der Reihe sind.

„Zwei Karten", rutscht es mir heraus, ehe ich darüber nachdenken kann. Nico mimt einen Anfall aus Überraschung. Ich muss mir ein Schmunzeln verkneifen. Als ich bezahlt habe, hält er mich am Jackenärmel fest. „Für wen ist die denn?"

„Auf jeden Fall nichts für deine Fanpost", sage ich schnell und mache mich aus dem Staub. Na toll. Das waren jetzt zwei überflüssige Euro für eine Karte, die ich nie abschicken werde.

Ich versuche seit Stunden, Mathe zu lernen, was mich allerdings nur frustriert, da ich den Stoff einfach nicht kapiere. Schon wieder.
Ich atme tief ein und schiebe den Stuhl beiseite, um mir in der Küche einen Kakao zu holen.
Als ich an Jakobs Zimmer vorbeikomme, höre ich eine ziemlich aufgeregte Stimme.
Es ist erkennbar Gabriel, der Englisch spricht. Ich unterdrücke den Impuls zu lauschen und will mich gerade von der Tür entfernen, als Gabriel mit seinem Handy herausstürmt. Sein Mund öffnet und schließt sich, ehe seine Wangen sich rot verfärben. Ich stammle eine Entschuldigung, doch er schüttelt den Kopf. „No problem. It's just messed up. My whole life is messed up, although I'm in Germany."

Ich weiß nicht wirklich was ich sagen soll, weil ich ihn nicht bedrängen will, aber er lächelt mich müde an.

„Wanna talk?", frage ich also und er nickt. Ich folge ihm in die Küche und löffle Kakaopulver in die Milch.
Zum Glück sind noch die Plätzchen von gestern übrig, die ich jetzt gut gebrauchen kann, ebenso wie Gabriel.

„It was my ex best friend."

Er fängt an, einen Keks zu zerkrümeln. „Wir waren in der gleichen Theatergruppe."

Gabriel spielt auch noch Theater? Okay, wow. Jetzt fühle ich mich unproduktiv. Ich setze mich auf die Küchenplatte und zerkrümele ebenfalls ein Plätzchen.

„Wir waren gut befreundet und ich dachte es würde so bleiben. Irgendwann bei der letzten Theateraufführung habe ich dann mein Kostüm in der Garderobe vergessen. Als ich da ankam, stand er dort und knutschte mit meiner Freundin. Damn, es ist so beschissen, wenn der beste Freund und das Mädchen, das du für die Liebe deines Lebens hältst, dich ausschließen. Wenn du beide verlierst."

Mir muss auf die Stirn geschrieben stehen, wie ungläubig ich bin. Wie kann man seinen Freund so verraten? Auf einmal wirkt Gabriel auf mich viel zerbrechlicher als zuvor. Ich frage mich, warum er mir das erzählt.
Und wieso ich ihm so konzentriert zuhöre. Es muss unheimlich weh tun, jemanden so zu verlieren wie er Mary. Ich beiße mir auf die Lippe, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, ohne dass es sich irgendwie gezwungen anhört. Ich meine, ich kann mich nicht in ihn hinein versetzen. Ich weiß gar nicht, wie er sich fühlt. Er lehnt sich gegen den Tresen und kaut ebenfalls auf seiner Lippe herum.

„Although die beiden sich immer wieder entschuldigt haben, wollte ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben.
Deshalb habe ich mich für den Austausch mit Deutschland angemeldet. Damit ich da rauskomme."

„Aber nach Weihnachten musst du wieder zurück. Was soll das ändern?"

Gabriel fährt sich verzweifelt durch die Haare. „Nothing, I think. Aber ich wollte mal was für mich. Und das Problem ist... Das Theaterstück für Ein Sommernachtstraum ist morgen. Und ich sollte mitspielen. Alle sind ziemlich sauer auf mich."

Die Verzweiflung ist ihm so deutlich anzusehen, dass ich mich neben ihn stelle und vorsichtig seine Schulter berühre. „Und du? Wolltest du mitspielen?"

„I don't know. Ich fühle mich nur so mies, weil ich alle im Stich lasse."

„Aber du wurdest verletzt. Und irgendwann muss man entscheiden, was man selbst will. Jetzt kannst du es nicht ändern. Du bist diesem Idioten keine Rechenschaft schuldig."

Gabriel senkt den Blick und ich sehe genau, dass ich ihn zum Lächeln gebracht habe. Sofort spüre ich, wie meine Mundwinkel wie von selbst nach oben wandern. „Du kannst es nicht ändern. Vielleicht solltest Du Dich jetzt mal ablenken."

Er nickt und trinkt den Kakao aus, ehe er ihn in die Spüle stellt. „Thanks, Pauline!", er lächelt mich an und wirft mir dann noch einen letzten funkelnden Blick zu, ehe er die Küche verlässt.

„Du hast einen Milchbart", flüstere ich gegen die geschlossene Tür, „nur falls du es wissen wolltest."

Mein Herz klopft schneller, als ich die Send a Rose Karte aus der Tasche ziehe, die ich überflüssigerweise gekauft habe. Ich habe eine Idee, was ich mit der Karte machen kann. Ich lege sie auf den Küchentisch, hole einen Stift hervor und schreibe die Karte an Gabriel.

Eine Rose als Heilung gegen gebrochene Herzen :)
Deine Pauline

Lächelnd schaue ich auf die Buchstaben und denke daran, wie viele Gefühle eigentlich mittlerweile dahinterstecken. Ein bisschen zweifle ich kurz, ob ich sie wirklich abschicken soll, dann stelle ich mir aber vor, wie sein Gesicht sich erhellt, wenn er die Karte bekommt. An seine funkelnden Augen und die Lippen, die sich zu einem Lächeln verziehen. Mir wird warm als ich mir vorstelle, wie er die Karte liest und ich spüre ein Lächeln auf meinen Lippen.

Christmas Calendar Prince ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt