❄️ 16. Dezember ❄️

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„Wieso zur Hölle singt mein nerviger Bruder Love is in the air? Gibt's da was, was du mir sagen willst?!“, empfange ich Marie am Montagmorgen in der Schule. Okay, eigentlich wollte ich ihr das nicht erzählen, aber irgendwie ist es dann doch aus mir herausgeplatzt.
Sie öffnet den Mund, schließt ihn wieder und ihre Wangen verfärben sich rosa. Beste Freundinnen verstehen sich ohne Worte. Ich mache wahrscheinlich so große Augen wie Lebkuchen Herzen und umarme Marie glücklich. „Wow, echt?“

„Ja. Irgendwie fühle ich mich mit ihm so schwerelos. Mir ist völlig egal, wie kitschig das klingt...“

„Das klingt ja wie in einem Buch“, sage ich und ziehe meinen Mathe Ordner hervor. Maries Blick fällt darauf und sie verzieht das Gesicht.

„Mist, sag bloß wir hatten übers Wochenende Hausaufgaben...“

Kichernd schiebe ich ihr das Blatt zum Abschreiben hin und verkneife mir eine Bemerkung, als sie schnell die Formeln in ihr Heft kritzelt.

Mein Blick fällt aus dem Fenster auf das Schneegestöber im Schulhof. Bald ist wieder Weihnachten, bald endet dieses Jahr und das nächste beginnt.
Bald reist Gabriel zurück nach England. Allein der Gedanke daran löst einen Kloß in meinem Hals aus.

„Alles klar bei dir?“, Marie stupst mich an. Ich nicke abwesend und versuche, mich auf was anderes zu konzentrieren, doch vergeblich.

Als könnte sie meine Gedanken lesen, legt sie ihren Arm um mich.

„Ich würds trotzdem versuchen. Es gibt WhatsApp. Instagram. Flugzeuge. Telefone. Austauschangebote.“

Ich ziehe mir die Earpods aus den Ohren und öffne den Rucksack, nur um festzustellen, dass der Haustürschlüssel fehlt. Na super, auch das noch! Jakob spannt mir wahrscheinlich gerade meine beste Freundin aus, meine Eltern arbeiten noch und Gabriel hat keinen Schlüssel und müsste jeden Moment vom Eishockeytraining hier ankommen.

Frustriert durchsuche ich jedes Fach des Rucksacks ein zweites Mal, werde allerdings immer noch nicht fündig.
Na toll. Meine Nase fühlt sich an wie ein Eiszapfen und die dicken Schneeflocken bleiben in meinen Haaren hängen. Ich versuche, Jakob anzurufen, der allerdings nicht ans Handy geht. Gabriel biegt um die Ecke und hebt eine Augenbraue, während er die Trainingstasche von der Schulter nimmt und sich die Mütze tiefer in die Stirn zieht.

„Baby it's cold outside!“, singt er grinsend, während ich Schnee auf der Veranda zusammenkratze und ihm als Schneeball entgegenwerfe.

„Sehr witzig!“

„Und was machst du dann hier draußen?“, fragt er skeptisch, fast schon besserwisserisch und ein kleines Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Wie peinlich das jetzt wird... „Ich hab den Schlüssel vergessen!“

„Wow, you're pretty lost“, grinst er.

„Ich bin überhaupt nicht lost! Eigentlich habe ich immer alles im Griff“, verteidige ich mich entrüstet.
Gabriel tut so, als würde er mir nicht glauben. „Little lier !“

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu, ehe ich überlege, was ich jetzt tun kann, dass ich nicht noch zum Schneemann werde. Gabriel ist immer noch damit beschäftigt, sich über mich kaputtzulachen.

„Lass uns doch einfach was machen. In ein Café gehen?“, schlage ich vor.
Gabriel grinst immer noch vor sich hin und nickt. Wenigstens habe ich heute nichts mehr zu tun und zu einer heißen Schokolade könnte ich nicht nein sagen. Also verstaut Gabriel die Trainingstasche unter dem Gartentisch und wir stapfen durch den Schnee die Straße hinab in Richtung U-Bahn.

„Vielleicht sollte ich dich lieber festhalten, dass du nicht verloren gehst“, witzelt Gabriel. „Sehr witzig!“, murre ich, muss mir allerdings ein Lächeln verkneifen.

Er sieht mich von der Seite an, ehe er seine Hand in meine legt. Mein Herz setzt aus und ich versuche, nicht auf unsere Hände zu schauen. Wow.
Was allein die Berührung seiner Hand in meiner in mir auslöst.

„Besser?“

„Zumindest finde ich jetzt den Weg“, grinse ich und höre sein Lachen, das sich mit dem Geräusch des knirschenden Schnees unter unseren Schuhen vermischt.

Die dunkle heiße Schokolade in meinem Lieblingscafé ist wie eine zimtige, schokoladige Wolke, die auf der Zunge zerschmilzt. Zum Glück war am Fenster noch ein Sofa frei und Gabriel und ich sitzen nebeneinander und genießen stumm unsere Schokolade. Zwischen uns ist noch so viel Platz, dass ich mich im Schneidersitz hinsetze. Gabriels Blick wandert zu meinen Doc Martens und den Weihnachtsmannsocken und er schmunzelt. Die Socken waren ein Geschenk von Marie. „Du bist irgendwie so anders als ich erst gedacht habe“, sagt er und seine Augen funkeln mich an.

„Wow, das sagst du sicher immer. Jule, Mary, Amelie, du bist ja soo anders als ich gedacht habe!“

Er schüttelt den Kopf. „Mary war meine erste und einzige Freundin. Neben einer Kindergartenbeziehung mit fünf“, gesteht er. Ich versenke den Blick in der Kakao Tasse, um die Überraschung zu verbergen.

„Ich dachte eben immer, dass das noch nicht das wahre ist. Erst bei Mary hat es sich ein bisschen schöner angefühlt. Aber das ist auch Vergangenheit“, sagt er ehrlich und seine braunen Augen sehen aus wie der Kakao in der hellblauen Tasse in meiner Hand. „Geht mir auch so“, sage ich. „Aber ich glaube schon, dass es diese Gefühle irgendwo gibt.“

Gabriel schaut mich an und ich versuche, nicht wegzusehen. Wieder ist da etwas zwischen uns, wie gestern in der Küche. Die süße Schokolade vermischt sich mit einem warmen Kribbeln, als er den Mund öffnet, um was zu sagen.

Seine Lippen sehen weich aus. Wie es wohl wäre, ihn zu küssen?

„Ich auch“, sagt er und senkt den Blick auf den Kakao. „Rein hypothetisch, glaubst du, dass du bald so fühlen wirst?“

„Vielleicht“, meine Stimme klingt dünn, zittrig, als ich spüre, wie die Wärme in meine Wangen steigt.

„Me too“, sein Blick verfängt sich in meinem. Auf einmal sehe ich, dass er auch für mich fühlt. Da ist dieses Flackern in seinem Blick. Mein Herz klopft stärker und ich fühle mich wie im Traum. Wie in einer Parallelwelt.

„I am already feeling“, sagt er sanft, ehe er mich vorsichtig mustert. Gar nicht mehr so selbstsicher. Sondern eher so, als hätte er Angst, etwas falsches zu tun. Oder als würde er auf meine Reaktion warten.
Ich verstecke mein Lächeln hinter der Kakao Tasse und spüre, wie mein Herz laut gegen meine Brust schlägt. In dem Moment ist es mir egal, dass er in wenigen Tagen zurück im Flugzeug nach Sussex sitzen wird. Da ist etwas zwischen uns, das gerade erst anfängt.

„Süß, wie lost du bist“, sagt Gabriel schmunzelnd, als wir Abends an der Haustür klingeln. Ich strafe ihn mit einem bösen Blick. Es hat aufgehört zu schneien und der Himmel ist dunkel. Seine Wangen sind leicht rosa von der Kälte und sanfte Bartstoppeln sprenkeln sein Gesicht. Die Konturen seiner Wangenknochen kommen so nur noch mehr zur Geltung. Auch er ist mit seinen braunen Augen an mir hängengeblieben. Ich frage mich, wie es wäre, ihn zu küssen. Wie sich seine Arme um mich anfühlen würden, seine Lippen auf meinen und seine Körperwärme in der kalten Winterluft. In dem Moment schwingt die Tür auf und holt mich zurück in die Gegenwart.

Meine Mutter winkt uns ins Warme und ich versuche, nicht allzu offensichtlich rot anzulaufen.

„Wir haben uns schon gefragt, wo ihr wart. Es gibt Raclette!“

„Ich bin gar nicht lost!“, zische ich Gabriel zu und streife mir die Doc Martens von den Füßen.

„Dann sag bloß du hast deine Socken absichtlich falsch rum an!“, kichert er. Jetzt ist mir auch klar, warum er im Café darauf gestarrt hat. Okay, das ist jetzt echt peinlich. Er schüttelt grinsend den Kopf, ehe ich ihm in die Küche folge, wo Jakob gerade den Tisch deckt. „Pauline, wieso hast du deine Socken falsch rum an?!“

„Das gehört so!“, schnaube ich und ignoriere Gabriel, der im Türrahmen steht und sich einen abkichert.

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