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Während ich durch den Tunnel ging, kniff ich die Augen zu einem dünnen Spalt zusammen, in der Hoffnung so erkennen zu können, wohin mein Weg mich führte. Leider konnte ich kaum etwas sehen, daher bemerkte ich auch erst zu spät, dass direkt vor meinen Füssen Geröll lag, über welches ich stolperte. Beim Fall riss ich die Augen auf und bemerkte, dass ich alles klar sehen konnte, obwohl nirgends eine Lichtquelle war. Deshalb konnte ich mich auch rechtzeitig abrollen, bevor ich mit voller Wucht auf dem Boden aufgeprallt wäre. Ich richtete mich wieder auf & wischte den Schmutz von mir. Da ich seltsamerweise alles klar sehen konnte, kniff ich beim Weitergehen auch nicht mehr die Augen zusammen. Aufmerksam betrachtete ich den Weg, der vor mir lag. Die Wände waren wie in dem Raum von vorhin, ähnlich einer Schlossmauer mit dem kleinen Unterschied, dass sich hier nirgends Fackeln befanden. Das einzige, was man erkennen konnte, war Moos. Es war sehr feucht in diesem Tunnel und Moos benötigte ja nicht zwingend viel Licht.

Während ich meinen Weg fortsetzte, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, in der ich demselben Weg immer weiter geradeaus folgte. Meine Gedanken hatten sich wieder einigermassen gelegt. Ich würde schon früh genug erfahren, wo ich mich hier befand. Und ich würde Antworten auf meine Fragen erhalten.

Schon bald erreichte ich das Ende des Tunnels. Vor meinen Füssen begann eine steinerne Treppe. Zögernd setzte ich einen Fuss vor den anderen und schritt Stufe für Stufe nach oben. Je weiter ich ging, desto mehr konnte ich einen kühlen Windstoss spüren. Ein Ausgang musste ganz nah sein. Wo würde ich rauskommen? Nur noch wenige Stufen waren zu bewältigen.

Vor mir sah ich ein Licht. Ich beschleunigte meinen Gang und hastete die letzten Stufen hinauf.

Ein milder, süsslicher Duft stieg in meine Nase. Es roch nach wilden Blumen und das Rascheln von den Blättern der Bäume war überdeutlich zu hören. Ich war in Freiheit. Freiheit... Ich war frei... Doch wo war ich nur?

Ich befand mich in einem Wald, stellte ich fest, aber mehr gab es zu meinem Aufenthaltsort auch nicht an Anhaltspunkten. Ich ging einige Schritte und entfernte mich von der Steintreppe. Durch das Blätterdach, das sich über meinem Kopf befand, schimmerten einige Sonnenstrahlen hindurch. Ich konnte nicht sagen, welche Uhrzeit es war, aber das war jetzt auch nicht wichtig. Was für mich eine Rolle spielte war, herauszufinden, wo ich war.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich stehengeblieben war, deshalb setzte ich mich wieder in Bewegung, doch nicht für lange. Denn hinter mir hörte ich etwas vorbei rauschen. Augenblicklich drehte ich mich um, aber konnte nichts entdecken. Ich drehte mich wieder um und fiel rückwärts zu Boden vor lauter Schreck. Vor mir befand sich ein fremder, gross gebauter Kerl. Er hatte schwarze Haare und eisblaue Augen. Seine Schultern waren breit, seine Arme muskulös und sein Shirt spannte sich über seinem Oberkörper. Die Arme hatte er vor seiner Brust verschränkt und er sah auf mich mit einem schiefen Lächeln hinab.

"Wer bist du?", hörte ich eine Stimme sagen.

"Es scheint alles funktioniert zu haben. Fantastisch", sagte der Kerl.

"Du hast meine Frage nicht beantwortet", erklang die Stimme erneut und ich merkte, dass es meine Stimme war, die so fremd klang.

"Erinnerst du dich denn nicht an mich?", antwortete er und setzte einen gespielt verletzten Gesichtsausdruck auf.

"Nein. Sollte ich?", beantwortete ich seine Frage.

"Wie es scheint hat es doch mehr Nebenwirkungen gehabt, als ich erwartet habe", sagte er kühl.

"Weichst du jetzt ständig meinen Fragen aus?", sagte ich und sah ihn finster an, während ich mich wieder auf die Beine stellte und den Dreck abwischte.

"Woran kannst du dich erinnern?", fragte er und wich erneut meiner Frage aus. Ich schüttelte den Kopf und seufzte genervt.

"Ich kann mich an rein gar nichts erinnern", sagte ich trocken und verschränkte die Arme vor der Brust.

"An absolut gar nichts? Nicht einmal an deinen Namen?", fragte er und sah mich ungläubig an.

Mein Name? Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.

Wie heisse ich?

Es wollte mir nicht einfallen.

"Tut mir Leid, es fällt mir nicht ein", sagte ich und sah verlegen zu Boden.

"Es muss dir nicht Leid tun", antwortete er.

"Ich kenne ihn. Und habe ihn nie vergessen", fügte er hinzu.

Ich richtete meinen Blick auf ihn und sah ihn verwirrt an.

"Du verstehst gerade nicht wirklich, was hier vor sich geht, oder?", fragte er und legte den Kopf schief wie ein Hund.

Ich schüttelte den Kopf.

"Ich werde dir alles erklären, aber nicht hier. Komm mit", sagte er und streckte mir seine Hand entgegen. Sein Gesicht hatte einen sanften Zug angenommen.

Zögernd legte ich meine Hand in seine und er umschloss sie mit seinen grossen Fingern. Dann zog er mich mit einem Ruck an sich und legte seinen Arm um mich. Ich war darauf nicht vorbereitet, daher spürte ich, wie die Schamröte mir ins Gesicht stieg.

"Halt dich gut fest", sagte er und zog mich noch ein wenig enger an sich.

Und dann stiess er sich mitvoller Kraft vom Boden ab.

Am Anfang der EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt