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"FASS SIE NICHT AN!", schrie ich ebenfalls und richtete mich auf die Knie.

"Nanu? Du scheinst ja etwas für dieses Menschenmädchen übrig zu haben?", stellte Amara amüsiert fest.

"Ein Grund mehr, sie aus dem Weg zu räumen! Worauf wartet ihr nutzlosen Lakaien eigentlich?!", knurrte sie ihre Handlanger an.

"Nein! Lass sie in Ruhe! Sie hat hiermit nichts zu tun!", keifte ich. Amara sah mich ungläubig an.

"Sie hat hiermit nichts zu tun? Das nehme ich dir nicht ab Ethan. Die Kleine steckt hier viel tiefer drin, als ihr eigentlich klar ist!" Amara warf Adriana einen äusserst giftigen Blick zu. Ich verstand jedoch nicht, was sie meinte.

"Du begreifst wohl nicht was ich meine, nicht wahr?" Widerwillig nickte ich.

"Die Kleine ist mein Untergang. Und das werde ich verhindern. Bringt sie weg."

Ich versuchte mit aller Kraft, die Fesseln zu lösen, aber je mehr ich mich wand, desto enger fühlten sie sich an. Zwei von Amaras Anhängern packten Adriana und wollten sie gerade davon tragen, als eine kleine Gasbombe in den Raum geworfen wurde.

"SCHAFFT SIE HIER RAUS! SOFORT! LASST SIE NICHT ENTKOMMEN!", schrie Amara durch die dicken Gaswolken. Plötzlich lösten sich die Fesseln um meine Handgelenke und Fussknöchel.

'Befrei du Adriana, ich kümmere mich um Holden und dann um Amaras Schergen!' Das war Cam! Sie hatten ihn also nicht erwischt. Ich beeilte mich, die beiden Anhänger zu finden, die Adriana mitgenommen hatten.

"LASST MICH RUNTER IHR TÖLPEL!", hörte ich Adriana schreien. Ohne zu zögern folgte ich ihrer Stimme und fand mich schon bald draussen wieder, in der freien Natur.

"FINGER WEG! LASST MICH ENDLICH LOS!!!", vernahm ich ein weiteres Mal Adrianas Stimme, diesmal näher als vorher. Ich folgte dem Klang weiterhin bis sie in Sichtweite war.

"ADRIANA!", schrie ich und wollte meine Hand nach ihr ausstrecken, um sie zu ergreifen, doch dann wurde ich zu Boden gedrückt.

"Hey lasst mich los! Ihr sollt runter von mir!" Ich versuchte mich zu befreien, aber Amaras Anhänger drückten mich mit voller Kraft runter, sodass ich mich kaum mehr bewegen konnte. Und dadurch entkamen natürlich die anderen beiden mit Adriana im Schlepptau. Ich wollte sie nicht verlieren, deshalb tat ich etwas, was äusserst gefährlich werden konnte, doch mir blieb keine andere Wahl. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich. Es dauerte nicht all zu lang, bis ich einen Teil meiner Seele in Adriana übertrug. Dadurch konnte ich Adriana finden und sie vor Amara und ihren Schergen retten. Als die beiden mit Amara verschwunden waren, liessen auch die Schergen locker, die mich aufhielten. Sie lösten sich in Luft auf und ich blieb zurück. Es kostete mich sehr viel Kraft, mich aufzurichten, aber ich musste zurück zum Militärhaus und nachsehen, ob Cam und Holden in Ordnung waren.

"Du siehst ja furchtbar aus!", sagte Cam, als er mir entgegen kam und mich stützte.

"Was ist geschehen?", fragte Holden, als Cam mich reinbrachte.

"Sie haben Adriana mitgenommen... Und damit ich sie... finden kann...", stammelte ich. Das Sprechen fiel mir äusserst schwer, denn ich fühlte mich sehr schwach.

"Du hast ihr einen Teil deiner Seele gegeben, nicht wahr?", beendete Cam meinen Satz und schüttelte seufzend den Kopf. Ich nickte.

Cam half mir, mich hinzusetzen, sodass es bequem für mich war.

"Du weisst genau, wie gefährlich das ist Ethan!" Cam sprach mit einer Panik in der Stimme, die ich bei ihm noch nie gekannt hatte. Ich nickte nur stumm.

"Dann dürfen wir keine Zeit verlieren und müssen Adriana so schnell wie nur möglich finden, bevor es zu spät ist", fügte Cam noch hinzu und ging nervös auf und ab. So ausser sich hat man ihn selten erlebt, denn für gewöhnlich war er die Ruhe selbst und nicht aus der Fassung zu bringen.

"Es bringt keinem von uns etwas, wenn wir jetzt die Nerven verlieren Cam... Besonders Ethan nicht und Adriana ist auch nicht geholfen, wenn wir keinen kühlen Kopf bewahren." Holden hatte Recht. Wir mussten einen kühlen Kopf bewahren, sonst waren wir Adriana keine grosse Hilfe.

"Ethan kannst du ungefähr ausmachen, wo sie sich befindet?", fragte Cam nach einer Weile, etwas beruhigter, aber dennoch ein wenig aufgewühlt.

"Das einzige... was ich sagen kann ist... dass sie... nicht hier ist...", sagte ich mit Pausen dazwischen, weil ich mich so schwach fühlte.

"Nicht hier, du bist mir ein Witzbold, das hätte ich auch selbst herausfinden können!", zischte Cam.

"Nein... Ich meine nicht, sie ist nicht hier bei uns... Sie ist... überhaupt nicht hier...", antwortete ich.

"Du meinst...? Sie ist...?", stammelte Holden und Cam sah mich verdutzt an. Ich nickte. Die beiden hatten verstanden wo sie war.

"In deinem Zustand ist die Reise da hin unglaublich gefährlich. Holden und ich müssen all unsere Kräfte zusammentun, damit wir dich einigermassen unbeschadet hinbringen können...", seufzte Cam, raffte sich dann aber schnell wieder zusammen.

Es herrschte eine Weile Ruhe. Cam schien nachzudenken, Holden ebenfalls. Und ich sass einfach nur geschwächt da und beobachtete die beiden. Gerade als ich etwas sagen wollte, durchzuckte mich ein stechender Schmerz und ich schrie auf.

Cam und Holden erschraken und sahen mich verwirrt an.

"Es ist... Adriana... sie... wird... gefoltert...", presste ich mit zusammengebissenen Zähnen zwischen den Schmerzschreien hervor.

"Wir müssen so schnell wie möglich zu ihr und sie aus Amaras Fängen befreien. Nicht nur um Ihretwillen sondern auch deinetwegen Ethan." Cam war steinernst, denn die Lage war es auch. Ich wusste, was mich erwarten würde, sobald ich Adriana einen Teil meiner Seele gab. Ich wusste, wie gefährlich es werden würde, aber ich musste es tun. Es war meine einzige Chance, denn ohne diesen einen Schritt, wüssten wir jetzt nicht, wo sie sich befindet. Amara hätte sie nämlich überall auf der ganzen Welt hinrichten lassen können, doch sie hat sie da hingebracht. Und dort mussten wir auch hin.

"Lasst uns... aufbrechen...", keuchte ich, während ich versuchte, mich von den Schmerzen zu erholen, so gut es ging.

"Wir versuchen es. Es wird uns eine Menge Konzentration abverlangen, dich unbeschadet hinzubringen Ethan", sagte Cam und ich nickte.

Normalerweise ist es für uns Genesis kein Problem uns irgendwohin zu teleportieren, aber wenn man, wie in meinem Fall, geschwächt ist, kann das äusserst gefährlich und schmerzhaft werden, wenn man es allein versucht. Und selbst mit Unterstützung von anderen Genesis ist es nicht völlig schmerzfrei.

"Ich bin bereit", sagte ich und bereitete mich auf die kommenden Minuten vor.

Es würde sich anfühlen als würde ich innerlich zerdrückt und äusserlich zerrissen, aber es musste sein, um Adriana zu retten.

"Also gut, es geht los", sagte Cam und atmete tief ein und aus, ebenso Holden wie auch ich. Die beiden konzentrierten sich darauf, mich für die Reise abzuschirmen, damit ich so wenig Schaden wie möglich davon trug. Ich spürte langsam, wie sich meine Umgebung zu verändern anfing und sich in meinem Innern ein Druck breit machte, während ich aussen ein Gefühl von Anspannung ausmachen konnte. Von Sekunde zu Sekunde wurden die Empfindungen stärker und schmerzhafter.

"Halte durch Ethan, es ist fast geschafft!", keuchten Cam und Holden mit zusammengepressten Zähnen. Ich biss meine Zähne ebenfalls zusammen, um den Schmerz wenigstens ein ganz kleines bisschen zu unterdrücken. Doch einen kurzen Aufschrei vor Schmerzen liess sich nicht vermeiden.

"Nur noch... ein kleines... bisschen!" Und dann waren wir da.

Ich sah mich um und was ich sah, liess mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich hatte schon vermutet, dass sich hier sehr vieles verändert hatte, seit ich vor Jahrhunderten von hier geflohen war, aber mit dem, was sich vor meinen Augen erstreckte, hatte ich niemals gerechnet. Es war grauenvoll. Überall lagen halb tote Genesis verteilt und man konnte ihnen ihr Leiden anhand des Gesichts ablesen.

"Lasst uns erst mal einen einigermassen sicheren Platz finden...", sagte Cam und verschnaufte.

Am Anfang der EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt