Ohne zu klopfen, gehe ich schnurstracks in das Büro meiner Kollegin hinein, mein Blick auf den Ordner in meiner Hand gerichtet. "Claire, ich bräuchte mal kurz-"
Ich breche inmitten des Satzes ab, als mein Blick auf sie landet, die gegenüber Claires massivem, dunklen Schreibtisch sitzt.
"Rachel Clarke, bist du das?" Sie steht auf, wirft ihre seidig glänzenden, kupferfarbenen Haare zurück und kommt lächelnd auf mich zu. In ihren großen, grünen Augen liegt ein Ausdruck der Überraschung.
"Merle", stammele ich und presse die Lippen zu einem Lächeln zusammen. Meine Finger umklammern den Ordner fester.
Gott, selbst nach all diesen Jahren sieht sie atemberaubend aus. Wie kann ihre Figur exakt so schlank sein wie vor zwölf Jahren? Ich muss stets höllisch auf meine Ernährung achten, um die Pfunde fernzuhalten. Im Studium war das nahezu unmöglich, ich stand wirklich konstant unter Stress.
Merle umarmt mich. Ihr Parfüm steigt mir in die Nase. Ja, es könnte jeden Mann verführen, wenn es mich, eine heterosexuelle Frau, schon tut.
"Gott, wie lange ist es her, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben? Zehn Jahre?", sie fragt ungläubig.
"Ist lange her", krächze ich ein wenig unbeholfen. Es ist wahr, sie schüchtert mich ein mit ihrem Supermodel-Gesicht und ihrer Supermodel-Figur. Schon immer .
"Ich lasse euch dann mal weiterreden. Tut mir leid für die Unterbrechung." Ich wende mich zum Gehen.
"Wir können uns ja mal verabreden", schlägt Merle vor.
"Klar", ich lächle leicht und schließe die Tür hinter mir. Erleichtert atme ich aus.
In der Schule haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wäre ein Treffen nicht ein wenig gekünstelt?
Ich kehre zurück in mein Bürozimmer und nehme mir aus den Bergen an Akten, die sich auf meinem Schreibtisch türmen, die nächste vor. Für jene brauche ich Claires Expertise.
Natürlich kann ich mich nicht konzentrieren. Merle sitzt bei Claire im Büro. Claire Cox, meine Kollegin, meine beste Freundin und ... eine der gefragtesten Scheidunganwältinnen der Stadt.
Der einzige Grund für die Anwesenheit von Merle hier ist also, dass sie rechtliche Beratung braucht. Und das ausgerechnet bei einer Scheidungsanwältin.
Ich starre auf die Aufschrift des vor mir liegenden Aktenordners.
Ehekrise.
Stecken Merle und Adam etwa in einer Ehekrise?
Ist diese bereits dermaßen eskaliert, so dass sie sich scheiden wollen?
Großer Gott.
Ich stehe abrupt auf und beginne, im Raum auf und ab zu gehen. Regentropfen prasseln gegen das bodentiefe Fenster. Die Wolkenkratzer und Straßen scheinen, als ob sie von dem grauen Himmel konsumiert werden.
Warum zum Teufel bin ich so aufgewühlt? Es ist nicht so, dass es mich das etwas anginge. Adam und ich haben seit jener Nacht, in der er Merle vor dem Glashaus unserer Schule einen Heiratsantrag machte, keinen Kontakt mehr, beziehungsweise ich habe den Kontakt abgebrochen - was wirklich scheiße war, gebe ich mittlerweile zu. Wir waren immerhin sehr gut befreundet.
Ein Klopfen ertönt. "Mittagessen?", fragt Claire an der Tür.
"Lass mich kurz meine Sachen zusammenpacken."
Es ist Dienstag, also steht indisches Essen auf dem Programm. Claire und ich haben vor einem Jahr einen Wochen-Essen-Ausgehplan gemacht, weil unsere Meinung, wo wir zum Essen ging, ständig auseinanderfällt.
"Sorry, dass ich eben einfach so reingeplatzt bin. Ich war völlig in dem Fall vertieft", entschuldige ich mich, nachdem der Kellner mit unserer Bestellung entgegengenommen hat.
Claire winkt ab. "Du und Merle Scott, woher kennt ihr euch?"
"Schule."
Sie mustert mich mit ihren dunklen Augen argwöhnisch. "Ihr habt eine Vergangenheit, das habe ich bereits in meinem Büro gerochen."
"Wie kommst du darauf?" Ich weiche ihren eindringlichen Blick aus und nehme hastig einen Schluck Wasser.
"Dein Ernst, Rachel? Wir kennen uns seit einem Jahrzehnt, ich weiß, was es bedeutet, wenn deine Antworten knapp ausfallen oder wenn sich dein Körper versteift. Also schieß los."
Ich seufze. "Wir besuchten nur den gleichen Kunstkurs."
"Und??", drängt sie.
"Warum bist du so neugierig heute?"
"Wechsele nicht das Thema."
Ich verdrehe die Augen. "Und sie war die Freundin von einem guten Freund, auf den ich stand."
Sie zieht die Augenbrauen hoch. "Aber er wusste nichts von deiner Zuneigung? Und du hast auch nichts unternommen, um ihm das wissen zu lassen?"
"Nö, wusste er nicht. Ich war im Begriff, meine Liebe zu gestehen, aber da kam Merle." Die Erinnerung löst einen bitteren Geschmack in meinem Mund aus. Es war an jenem Nachmittag in der Schule. Alle waren schon weg bis auf Adam und ich. Ich stopfte meine Sachen in meine Tasche, während ich mir die Worte im Kopf zurecht legte, die ich ihm sagen wollte. Da rief das wunderschöne Mädchen seinen Namen. Sie stand an der Tür. Adam strahlte, als er sie sah. Er schlenderte auf sie zu, zog sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich.
"Ich verstehe nicht-"
"Am Tag des Abschlussballs ging er vor ihr auf die Knien und machte ihr einen Heiratsantrag", beende ich meine Geschichte über meine erste Liebe, die ein trauriges Ende nahm.
"Oh." Einsicht dämmert ihr. Claire griff nach meiner Hand. "Ach, Süße, bist du etwa immer noch nicht über diesen Typen hinweg?"
Ich zucke die Schultern.
"Nein, nein, nein. Das lassen wir nicht zu. Du musst wieder anfangen zu daten. Wann ist das letzte Mal, das du mit einem Typen aus warst? Vor'nem Jahr? Wir gehen dieses Wochenende so was von aus."
Ich weiß, dass das nicht passieren wird, weil Liam, Claires Ehemann und vom Beruf Pilot, dieses Wochenende ausnahmsweise nicht Langstrecke fliegen muss. Da besuchen sie typischerweise mit ihrem Sohn Leo den Zoo oder gehen auf Spielplatz oder was auch immer den Kindern gefällt. Und am Abend haben Claire und Liam dann Date Night.
"Na klar tun wir das", entgegne ich sarkastisch.
Da wird unser Essen gebracht.
"Warum kam Merle zu dir?", frage ich zwischen den Bissen.
"Du weißt, Rachel, Verschwiegenheitspflicht. Ich würde es dir erzählen, aber ihr kennt euch", bemerkt Claire.
"Nicht wirklich."
"Mach dir keine Hoffnung. Der Typ ist es nicht wert." Sie blickt finster drein.
Tausende Fragen brennen mir auf der Zunge, aber ich halte mich zurück. Sie hat ja Recht, Verschwiegenheitspflicht und ich sollte mich aus den Geschäften anderer raushalten. Wenn ich mehr über Adam wissen will, muss ich einfach Merles Einladung zum Treffen annehmen.
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Hi Du! Lass es mich doch wissen, was verbesserungswürdig ist :) Ich würde mich riesig freuen!
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warum nicht wir beide
Romance[beendet] Am Tag des Abschlussballes machte Adam Harris seiner Freundin einen Heiratsantrag. Das brach Rachels Herz. Zwölf Jahre später trifft sie Adam wieder. Er ist erfolgreich, unverschämt sexy und - UNVERHEIRATET.