xiv Rachel

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Am nächsten Tag wache ich auf dem Boden auf. Ich musste wohl zwischen den ganzen Heulereien eingeschlafen sein. Alles tut weh, selbst das Atmen.

Mühsam schleppe ich mich ins Bad. Der Anblick von mir ist gruselig genug, dass ich keiner weiteren Schminke bedarf, um in einem Horrorfilm spielen zu können. Verschmierte Mascara und dicke, geschwollene Augen. Meine Haare sehen so aus, als ob ich mich tagelang durch heftigste Stürme gekämpft habe.

Ich unterdrücke den Drang, erneut zu weinen. Stattdessen ergreife ich mit zittriger Hand meine Zahnbürste, um mir die Zähne zu putzen. Anschließend reinige ich mein Gesicht und gehe unter die Dusche.

Ich bin schon immer ein rationaler Mensch gewesen. Ich weiß, dass es im Leben noch andere Sachen außer der Liebe gibt, denen ich mich widmen kann. Teilweise sind diese sogar wertvoller. Meine Arbeit zum Beispiel. Ich werde mich nun vollends in meine Arbeit stürzen und allen Typen aus dem Weg gehen.

In Bademantel eingewickelt, mache ich mir einen Kaffee und ein Sandwich mit Avocado und Ei. Kraftvoll in den Tag starten. Nach dem Frühstück ziehe ich mein teuerster Anzug von Prada, das einerseits businesstauglich ist, andererseits alle meinen Kurven an der richtigen Stelle betont. Anschließend binde ich meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und schminke ich mich sorgfältig, um meine geröteten Augen zu vertuschen.

Bevor ich die Wohnung verlassen, betrachte ich mich im großen Spiegel im Flur. Ich sehe so aus, als wäre nichts passiert.

Sieh, Adam, du bist mir genauso egal, wie ich dir egal bin.

_

Den ganzen Vormittag über war ich so produktiv gewesen, wie lange nicht mehr. Ich habe eine Akte vollständig durchgearbeitet und bin nun bei der zweiten. Das Telefon klingelt.

"Ms Clarke, hier wartet ein Mr Dean Palmer, der Sie sprechen möchte", benachrichtigt meine Sekretärin.

"Schicken Sie ihn bitte in mein Büro", erwidere ich.

Wenige Minuten später klopft es an der Tür. Meine Sekretärin führt Dean in mein Bürozimmer. Bevor sie die Tür wieder schließt, fragt sie Dean, was er trinken wolle. "Kaffee, bitte."

"Hat sich ja nicht viel geändert hier", kommentiert er und nimmt mir gegenüber Platz.

"Was soll sich auch großartig geändert haben." Ich wende den Blick von dem Computerbildschirm ab und schenke ihm meine volle Aufmerksamkeit.

"Schieß los."

Dean erzählt von seinem Großvater, der in seinem Testament nicht all seine Kinder als Erbfolgen bestimmt hat und es deswegen zu heftigen Streiten innerhalb der Familie gekommen ist. Ich berate ihn, wie er vorgehen könnte und verspreche, später zu recherchieren und ihm ein umfassendes Gutachten zu liefern.

"Ich kann dir nicht genug danken." Er trinkt seinen schwarzen Kaffee aus. "Kann ich dich zum Mittagessen einladen?"

Ich werfe einen Blick auf die Uhr und in den Kalender. "Klar", sage ich, "aber ich habe noch zwei Anrufe zu tätigen. Würdest du kurz warten?"

Er zuckt die Schultern. "Nimm so viel Zeit, wie du brauchst. Ich hab's nicht eilig."

Zuerst wähle ich die Nummer einer alten Kollegin, die vor zwei Jahren die Kanzlei gewechselt hat, und anschließend die des Mr Atkinson.

"Guten Tag Mr Atkinson, hier spricht Rachel Clarke."

Er begrüßt mich freundlich.

Ich hole tief Luft. "Es tut mir sehr leid. Ich kann leider nicht mehr an Ihrem Fall weiterarbeiten. Machen Sie sich aber keine Sorgen, ich habe bereits eine Kollegin gefragt, Alice Young - sie ist Partnerin der Kanzlei Thompson & Young und spezialisiert in Familien- und Erbrecht - und sie ist mehr als bereit, den Fall zu übernehmen. Ich habe bereits ihre Kontaktdaten an Sie geschickt, sie können Ms Young jederzeit anrufen."

warum nicht wir beideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt