xii Rachel

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Fakt ist: Adam hat seit jener Nacht kein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich weiß nicht, in was für einen schlimmen Unfall die Freundin von ihm verwickelt ist. Es könnte ja solch ein Ausmaß erreicht haben, dass er unter Schock steht und ein paar Tage braucht, um sich zu erholen. Deshalb versuche ich wirklich, verständnisvoll zu sein und ihm die Entscheidung zu überlassen, wann er bereit ist, darüber zu reden. Ich will nicht aufdringlich rüberkommen. Aber so langsam reißt mein Geduldfaden. Ich würde schon behaupten, dass wir romantisch miteinander verwickelt sind. Ich meine, nachdem wir um ein Haar Sex gehabt hätten? Es hat sich nicht wie eine einmalige Sache angefühlt.

Wen willst täuschen, Rachel? Vielleicht hat er es genau als einen One-Night-Stand geplant. Er ist verdammt noch einmal Scheidungsanwalt. Ihm wurde verdammt noch einmal das Herz von der Liebe seines Lebens gebrochen. Glaubst du ernsthaft, du könntest die zerbrochenen Stücke wieder zusammen flicken? Ausgerechnet du, in der er die ganze Schulzeit über nur eine Freundin gesehen hat?

Gott, Rachel, du bist keine naive 18 Jahre mehr, sondern verdammte 30! Du hast dich schon einmal von ihm das Herz brechen lassen, jetzt soll das ganze Drama erneut vonstattengehen?

Ich starre auf den Bildschirm vor mir. Es ist schon das x-te Mal, das ich abgeschweift bin. Normalerweise brauche ich weniger als drei Tage, um eine Akte durchzuarbeiten. Nun sitze ich bereits seit fünf Tagen an dieser einen fest. Seufzend massiere ich mir die Schläfen, als mich der Klingelton meines Handys beinahe aufspringen lässt. Im Nu fängt mein Herz zu rasen an. Völlig absurd, denn es handelt sich um eine unbekannte Nummer. Ich verberge meine Enttäuschung und nehme den Anruf mit meiner üblichen professionellen Stimme entgegen.

"Rachel Clarke, guten Tag."

"Hi Rachel! Hier ist Merle. Erinnerst du dich? Wir sind uns ein paar Wochen zuvor in deiner Kanzlei begegnet."

"Oh hi, Merle", erwidere ich überrascht. Gleichzeitig lehne mich in meinem Sitz zurück, "wie kann ich dir helfen?"

Während sie spricht, lasse ich den Blick durch mein Bürozimmer schweifen.

Es mag zwar nicht supergroß zu sein, aber die schlichte und edle Einrichtung kompensiert dafür mehr als genug. Die Hälfte der Wand, an dem auch mein weißer, glänzender Schreibtisch steht, wird zur Hälfte von einem bodentiefen schwarzumrahmten Fenster eingenommen. Zwei schwarze Lederstühle befinden sich auf den anderen Seite des Schreibtisches. Hinter mir breitet sich ein riesiges dunkelbraunes Einbauregal aus, das mit Ordnern, Zeitschriften und Gesetzesbüchern vollgestopft ist. Das Wand gegenüber ist mit zwei bunten Gemälde geschmückt. Irgendwo im Leben braucht man ja ein wenig Farbe.

"Ich treffe mich später mit ein paar Mädels aus der Oberstufe, Mona, Elisa, Christina ... Wie sieht's aus, hast du Lust, uns anzuschließen? Wird bestimmt lustig, wir haben uns seit Abi nicht mehr gesehen."

Ich überlege kurz. Zugegeben, ich kannte kaum Leute aus der Oberstufe, weil ich zu beschäftigt war mit Büffeln.

"Hört sich gut an, schickst du mir die Adresse?"

Es würde komisch und arrogant rüberkommen, wenn ich nicht zusagen würde. Außerdem würde es mir nach diesem tagelangen Unruhig-Sein definitiv gut tun, und nicht zu vergessen - ablenken.

"Na klar, dann bis später", legt sie lächelnd auf.

_

Nachdem ich um sechs nach Hause gefahren bin, um in ein clubtaugliches Outfit zu wechseln, fahre ich in die belebte, jungenhafte Gegend der Stadt. Sobald ich den mir besagten Nightclub betrete, höre ich auch schon jemanden meinen Namen rufen. Ich hebe den Kopf. Merle und andere bekannte Gesichter sitzen in der oberen, privateren Etage des Clubs und winken mir zu. Ein Mitarbeiter führt mich nach oben.

"Rachel! Hi, na? Wie geht's?" Elisa fällt mir als erste um den Hals.

"Elisa! Wow", bringe ich überrumpelt hervor, "du siehst fantastisch aus!"

Elisa und ich hatten uns gut verstanden. Sie war mit ihren blonden Locken und großen glasblauen Augen stets umrundet von Jungs und Mädchen. Nicht nur sah bzw. sieht sie hübsch aus, gleichzeitig ist sie aber auch super witzig. Ihr kümmert es nicht, ob du von ruhiger oder ernster Natur bist, sie bezieht dich einfach immer in irgendwelchen Spaß ein. Sie hat sich praktisch mit jedem, dem sie über den Weg gelaufen ist, angefreundet. Ich habe sie so bewundert.

"Danke!", strahlt sie fröhlich und zieht mich am Arm, so dass ich neben ihr Platz neben kann. Ich nicke den anderen Mädels freundlich zu. Nachdem wir uns gegenseitig Komplimente zu unserem Äußerlichen gemacht haben, bestellen wir diverse Drinks.

Als Anna, die einer Karriere als Model nachgegangen ist, gerade von der letzten Fashion Week erzählt, brummt mein Handy in meiner Tasche.

Mein Herz zieht sich wieder unwillkürlich zusammen. Verdammter Mist. Ich versuche es zu ignorieren, scheitere natürlich. Ich hole es hervor und entsperre den Bildschirm.

   Bin erst seit einem Tag in der Stadt und schon treffen wir uns. Wenn das nicht Gottes Werk ist ...

Verwirrt blicke ich um mich herum. Schließlich entdecke ich ihn auf der schräg gegenüberliegenden Seite von uns. Um ihn herum sitzen elegant gekleidete Männer und Frauen. Träge hebt er eine Hand und winkt mir zu. Ich tippe eine Nachricht:

   Nah, eher Werk des Teufels.

Ich beobachte, wie er auf sein Handy schaut und grinst. Dann erhebt er sich und macht Anstalten rüberzukommen.

"Rachel."

"Dean", sagen wir beide gleichzeitig. Ich schüttele schmunzelnd den Kopf und wir fallen in eine freundschaftliche, vertraute Umarmung.

Die Mädels betrachten uns neugierig.

"Leute, das ist Dean. Und das sind Freunde aus der Schule", stelle ich alle gegenseitig vor.

"Hi." Dean schenkt allen ein charmantes Lächeln, wobei seine Grübchen hervorblitzen. Ich beobachte, wie alle sich unauffällig aufrichten oder an die Haare zupfen, um ihre beste Seite zu präsentieren. Innerlich verdrehe ich die Augen. Jup, das war während unserer Beziehung auch so. Egal wo wir unterwegs waren, ständig machten Frauen Dean schöne Augen. Der Nachteil eben, wenn man einen gutaussehenden Typen datet. Das Schlimmste war jedoch, dass Dean zurückflirten musste. Er meinte, er fühlte sich dazu verpflichtet. Das ist dermaßen dreist und respektlos. Ich weiß nicht, wie ich das damals so lange dulden konnte.

Dean machte kurz Smalltalk, bevor er sich entschuldigt und wieder zurück zu seiner Lounge geht. Er sei mit einigen Businesspartnern da.

"Wow, der Typ ist umwerfend. Läuft da was zwischen euch?", fragt Merle mit leuchteten Augen.

Ich führe das Weinglas zum Mund und nehme einen weiteren Schluck. "Nein", antworte ich klipp und klar. Meine Umgebung dreht sich bereits ein wenig. Gott, wie viel Wein habe ich getrunken?

"Dann hast du sicherlich nichts dagegen, wenn ich ihn mir schnappe?"

"Nur zu."

Merle gibt mir einen dicken Schmatz auf die Wange. Wenig später sehe ich, wie die beiden sich eng umschlungen auf der Tanzfläche unten bewegen.

Ein Anflug von Wehmut überkommt mich. Hätte ich während der Schulzeit den Mut gehabt, Adam meine Gefühle zu gestehen, hätte alles anders ausgehen können. Vielleicht wären wir ein Paar geworden und wir würden heute genauso eng umschlungen miteinander tanzen.

Frustriert kippe ich mir ein Glas Wein nach dem anderen hinunter, bis mein ganzer Körper in Flammen steht. Mir wird übel. Sobald ich spüre, wie das ganze Alkohol droht hochzukommen, ergebe ich mich mit wackeligen Beinen in Richtung Toilette.

"Woah, langsam." Ein paar starke Arme fängt mich auf, bevor ich stürze. 

warum nicht wir beideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt