| 30 |

882 62 43
                                    

Zeit für ein Raphael-Kapitel, oder? Wünsche euch viel Spaß damit :)

Raphael ließ schwer seufzend das Smartphone in seiner Hand sinken und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. Sein Blick schweifte über die Dächer Wiens. Draußen war es bitterkalt, doch es hatte nicht geschneit. Die Weihnachtstage hatte er zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester bei seinen Großeltern verbracht, während Edita bei ihren Eltern gewesen war. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, sich an Weihnachten von ihr zu trennen, doch heute – einen Tag vor dem Jahreswechsel – gab es keine Ausreden mehr.

Seine Wohnung kam ihm nach den besinnlichen Tagen im Kreis seiner Familie nahezu erdrückend vor. Er hatte das Gefühl, dass sich die Wände auf ihn zubewegten, als er seinen Blick von den Dächern der Stadt abwandte. Er zog abermals an der Zigarette, fiel angespannt auf die Wohnzimmercouch und spielte nachdenklich mit seinem iPhone. Sein Magen schmerzte und obwohl er die Heizung aufgedreht hatte, hatte er das Gefühl zu frieren.

Noch immer wusste er nicht, ob er Malia noch einmal schreiben sollte. Er konnte ihr nicht verübeln, dass sie fürs Erste nicht mehr mit ihm sprechen wollte. Er wusste, dass er es verbockt hatte.

Er hatte sie belogen und vor ihr behauptet, sich von Edita getrennt zu haben. Er hatte gewusst, dass das nicht richtig gewesen war, doch er war sich bewusst gewesen, dass Malia einem Treffen unter anderen Umständen niemals zugestimmt hätte. Und er hatte sie unbedingt sehen wollen.

Er hatte es sich lang nicht eingestanden, doch seine Beziehung zu Edita basierte lediglich auf seinen tiefen Schuldgefühlen ihr gegenüber; Schuldgefühlen, die einem Mann galten, der er schon lang nicht mehr war. Er hatte ich weiterentwickelt, hielt diese unnahbare, kalte Fassade nur noch für jene aufrecht, um sein wahres Ich vor jenen zu verbergen, die ihm fremd waren. Edita gehörte nicht dazu, und doch fühlte es sich nach all der gemeinsamen Zeit so an. Er hatte ihr etwas vorgemacht; ihr und vor allem sich selbst. Dabei hatte er tatsächlich Gefühle für Edita entwickelt. Doch sie reichten nicht aus für eine gemeinsame Zukunft; das wusste er jetzt.

Er wusste, dass das ein Ende haben musste; nicht nur, weil seine Heimlichkeiten rund um Malia und ihre Affäre aufgeflogen waren. Weder Edita noch Malia verdienten, dass er zweigleisig fuhr. Trotz seiner Schwierigkeiten mit Edita und dem Tief ihrer Beziehung war sie eine tolle, warmherzige und starke Frau; nur einfach keine Frau für ihn.

Doch es ging nicht ausschließlich um Malia und Edita, sondern vor allem um ihn selbst. Er konnte nicht länger mit Edita zusammenbleiben und versuchen, eine Beziehung mit ihr zu führen, die zum Scheitern verurteilt war. Er war nicht glücklich mit ihr. Die Erkenntnis, dass er es nie wirklich gewesen war, sondern sich stets in die Vorstellung geflüchtet hatte, es zu sein, brannte quälend auf seiner Seele. Es schmerzte zu erkennen, dass die Frau, von der er geglaubt hatte, mit ihr alt zu werden, die er sogar seinen Großeltern vorgestellt hatte, nicht die Richtige gewesen war.

Er zog nochmal an seiner Zigarette, dann schaute er erneut auf das Display seines Smartphones. Natürlich hatte Malia ihn nicht zurückgerufen. Wirklich erwartet hatte er es nicht. Er konnte verstehen, wie wütend und enttäuscht sie von ihm war, hoffte aber, dass sie ihm die Chance geben würde, all das eines Tages wiedergutzumachen. In seiner Verzweiflung hatte er gestern John angerufen und ihn um Rat gebeten, doch der verbrachte gerade das Wellness-Wochenende mit Cassie, welches Malia ausgerechnet wegen ihrer heimlichen Affäre abgesagt hatte. Also war der Zeitpunkt für einen Ratschlag denkbar schlecht gewesen.

Seufzend tippte er auf dem Display herum, klickte sich in seine letzte Unterhaltung mit Malia zurück. Sie glich vielmehr einem Monolog, denn auf seine Nachrichten hatte sie nicht reagiert.

„Ich treffe mich jetzt mit Edita, um mich von ihr zu trennen", tippte er in das kleine Nachrichtenfeld, doch statt die Nachricht abzusenden, starrte er auf den blinkenden Cursor. Die Vorstellung, innerhalb der nächsten halben Stunde mit Edita schlusszumachen, fühlte sich unwirklich an.

Er schluckte hart, als er das Kratzen des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür hörte. Er löschte die Nachricht an Malia, schob das Handy in die Tasche seiner Jogginghose zurück und stand auf. Nervös wie eine Raubkatze tigerte er in den Flur. Die Anspannung wurde zu groß, dass ihm speiübel wurde, während sein Magen sich krampfhaft zusammenzog.

Sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber traf ihn unvermittelt tief ins Herz, als sein Blick nun in ihr Gesicht fiel. Edita nahm sich gerade die Mütze vom Kopf, als sie ihn bemerkte.

Trotz der bedrückenden Umstände musste er sich eingestehen, dass sie atemberaubend aussah.

Ihr kupferrotes Haar fiel in leichten Wellen über ihre Schultern, als sie ihre Winterjacke auszog und ihre gute Figur zum Vorschein kam, die sie heute mit einem schwarzen Rollkragenpullover und einer High Waist Jeans betonte.

Ihre von einem dichten, dunklen Wimpernkranz umrandeten smaragdgrünen Katzenaugen funkelten seltsam, als sie ihn ansah, und ihre leicht glänzenden Lippen kräuselte. Ihre Wangen waren rosig, vermutlich von der Kälte. Sie war wirklich eine schöne Frau. Möglicherweise verdiente er sie tatsächlich nicht.

„Hey...", begrüßte sie ihn unschlüssig. Auch ihr war nicht entgangen, dass er sich in den vergangenen Tagen kaum bei ihr gemeldet und sich seltsam verhalten hatte. Auch sie hatte nur das Nötigste von sich hören lassen, aber ihm hatte das nichts ausgemacht; im Gegenteil. Je weniger er sich mit ihr hatte beschäftigen müssen, desto mehr waren seine Gewissensbisse zumindest für eine gewisse Zeit in den Hintergrund gerückt, sodass er die Zeit mit seiner Familie hatte genießen können. Als er jetzt in Editas Augen schaute, holte ihn die Realität jedoch schneller wieder ein, als ihm lieb war. Sein Hals zog sich schmerzhaft zusammen, während sein Mund trocken wurde. Der Moment war gekommen. Es gab kein zurück mehr. Er war erleichtert, dass Edita ihn nicht wie erwartet mit einem Kuss begrüßte, sondern lediglich unschlüssig vor ihm stehenblieb und ihm enttäuscht ins Gesicht schaute. Sein Herz wurde schwer, während er das Gefühl hatte, dass seine Atmung vollends aussetzte. Für einen Moment glaubte er, sich übergeben zu müssen, doch er tat es nicht.

„Was ist los?"

„Ich habe dich betrogen, Edita."

Ja, sieht so aus, als hätte er endlich mit der Wahrheit herausgerückt. Wie würdet ihr an ihrer Stelle reagieren? Ich finde ja, dass sie das nicht verdient hat; ganz egal, wie unglücklich er mit ihr gewesen ist. Immerhin fühlt er sich selbst schlecht damit. Ich hoffe, ihr seid jetzt zufrieden :p 

Waiting for Christmas | AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt