Kapitel 1

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15. August 1925

Small Heath; Birmingham

Arthur fuchtelte wie wild mit den Händen in der Luft herum, John katapultierte durch seine hektischen Handbewegungen seine Zigarre fast aus der Hand und Sophie versuchte beide zu beruhigen während Thomas seelenruhig den weißen Schimmel mit den Augen verfolgte. Die schöne Stute galoppierte über die Rennbahn. Sie überholte ein Pferd nach dem anderen, bis sie schließlich nach einigen Sekunden als erste die Ziellinie in einer Staubwolke überschritt. "Schaut sich den Gaul mal einer an. Das ist unserer. Unsere Stute. Habt ihr das gesehen?", brüllte Arthur. John zog an seiner Zigarre und lächelte. Arthur hob Sophie hoch und jubelte. Sophie lächelte zwar aber schaute sich beschämt um. "Arthur lass sie runter. Die Leute schauen schon. Wir müssen jetzt zurück nach Small heath.", nuschelte Thomas Shelby durch seine Zigarette hindurch. Er rückte seine Peaky Mütze zurecht und blickte noch kurz auf die andere Seite der Tribüne, als ob dort jemand stand, den er erkannt hatte. Die anderen Zuschauer setzten sich nun auch langsam in Bewegung um noch etwas trinken zu gehen, ihre Wettgewinne abzuholen oder um ihren Heimweg anzutreten. Auch die drei Shelbys und Sophie mischten sich ins Getümmel.
Die Shelbyfamilie bestand aus Elisabeth Grey (geb. Shelby ) die jedoch jeder nur Tante Polly nannte, den vier Shelby Brüdern, Arthur, Thomas, John und den jüngsten Finn , deren Mutter an einer Lungenentzündung starb als Finn noch ganz klein war und der Vater sich dann aus den Staub gemacht hatte. Zu den vier Brüdern gehörte noch eine Schwester. Ada Shelby, die sich jedoch mit ihrem Mann und ihrem Kind von der Familie abgekoppelt hat, da sie empfand ihre Brüder seien kein guter Umgang für ihre Tochter. Als letztes war da noch Großonkel Charlie Shelby, der unten an den Docks wohnte, arbeitete und sich um die Pferde kümmerte.

Thommy schloss die Tür des Wettbüros in Small heath auf. Sofort kam ihm Tante Polly mit erwartungsvoller Miene entgegen. "Und?", fragte sie einfach nur und zog an ihrer Zigarette. Thommy nickte und versuchte zu lächeln. Wie immer gelang es ihm nur kläglich. "Unsere Stute hat gewonnen?", fragte Finn und kam die Treppen herunter die zur Shelby-Wohnung führte. Abermals nickte Thommy. "Endlich mal eine gute Nachricht im Hause Shelby!" freute sich Polly. Hinter Thommy fingen nun die anderen an zu drängeln , denn noch immer stand Thomas in der offenen Tür. "Jetzt lass uns doch mal ins Haus Thommy. Oder steht dir was im Weg?", pöbelte John. Thommy steckte sich eine Zigarette an und betrat nun vollständig das Haus. Die anderen stürmten an ihm vorbei , Arthur direkt in die kleine Eckküche und holte ein paar Bier aus einer Kiste. Er warf John eins entgegen das er fing, an der Tischkante geschickt öffnete und sich auf einen Stuhl fallen ließ. Während sich alle über das erfolgreiche Pferderennen, dass sie nach Wochen endlich mal mit ihrem Pferd für sich entschieden hatten unterhielten ging Thommy die Wetten auf der Schiefertafel an der Wand durch. Nach dem Krieg, zurück in den Slams Birminghams waren Thommy , Arthur und John bereit, sich als gefürchtete und zugleich bewunderte Gang sich mit Gewalt durchzusetzen. Mit Pferderennen, illegalen Wetten und Schwarzmarkthandel wollte Thomas seiner Familie Reichtum und Ansehen verschaffen.
In die Gespräche der aufgeregten Familie platze plötzlich Finn , als er die Tür auf riss und ins Zimmer gestürmt kam. Völlig außer Atem versuchte er zu erklären was passiert war:" Sie ist tot! Man hat sie umgebracht. Ihr den Hals aufgeschlitzt. Thommy sie ist tot!" Die Gespräche verstummte aprubt und alle Augen waren auf Finn gerichtet. Thommy musterte ihn und fragte dann:" Wer Finn? Wer ist tot!" Finn schluckte:" Die Stute. Sie liegt verblutet im Stall unten am River Rea!" Thomas' Augen weiteten sich, hastig schnappte er sich seinen Mantel vom Stuhl , fegte an allen ohne einen Ton vorbei und knallte hinter sich die Tür zu. Der lockere Putz rieselte von der Wand.
Polly fand als erstes wieder ihre Sprache. "Finn setz dich und sag was passiert ist!", forderte sie Finn zögerlich auf. Er nickte , rückte quietschend den Stuhl neben John zurück und setzte sich. "Ich war unten bei Charlie im Hof als wie jeden Monat die Leute von der Rennbahn mit dem Anhänger die Stute brachten. Sie haben sie in den Stall gebracht und sind wieder gefahren. Kurz danach wirrte sie wie verrückt. Als Charlie und ich im Stall ankamen lag sie da schon auf dem Stroh überall Blut und niemand zu sehen!", erklärte Finn , langsam wieder bei Atem. Einige Sekunden blieb es still. Sophie kam aus der Küche, lächelte schräg und stellte Finn eine Tasse Tee vor die Nase. Bevor er die Tasse ergreifen konnte drückte ihm Arthur ein Bier in die Hand. "Der Junge braucht keinem Tee der braucht ein Bier!", sagte Arthur. Polly nahm es ihm wieder weg und mahnte:" Der Junge bekommt kein Bier. Und nun Finn sag ist dir was an den Männern von der Rennbahn aufgefallen?"
Finn schüttelte zunächst den Kopf sagte aber dann:" Mir fiel nur auf das es nicht die gleichen wie die letzten Male waren. Es waren andere Männer." Polly wurde lauter:" Wie andere Männer? Du musst Klartext mit uns sprechen! Wie sahen sie aus?" "Normal. Anzug, Schnauzer.", stotterte Finn. Polly schlug auf den Tisch sodass die Bierflaschen klapperten und der Tee der vor Finn stand aus der Tasse schwappte:" Ist dir was besonderes aufgefallen meine ich." Finn schüttelte den Kopf. "Denk nach da muss doch was sein was dir aufgefallen ist!-", Polly wurde von John unterbrochen. "Polly! Wenn ihm aber doch nichts aufgefallen ist. Nicht jeder hat doch ein Namensschild umhängen!" Polly atmete tief durch und nickte dann. John stand auf:" Los Arthur. Wir gehen zu Thommy! Er braucht uns vielleicht!" Arthur knallte seine Bierflasche auf den Tisch sodass der Tee abermals verschüttet wurde, zog seine Mütze auf und folgte John nach draußen. Sophie setzte sich neben Finn und schob ihm die Teetasse hin. "Hier trink den Tee!", sagte sie leise. Die Familie hatte anfangs Schwierigkeiten gehabt Sophie anzunehmen als neues Familienmitglied. In gesamt Small heath war man nicht gut auf sie zu sprechen und ihre Vergangenheit. Doch mittlerweile wusste man dass Sophie zu den Peaky Blinders gehörte und fast niemand verspottete sie mehr. Auch die Familie hatte sie akzeptiert. Nur Polly fiel es schwer , und noch immer nach 7 Jahren seitdem Sophie bei ihnen wohnte behandelte Polly sie manchmal mit etwas Abscheu.
"Lass mich doch mit deinem Tee zufrieden. Ich will deinen verfluchten Tee nicht Sophie!", rief Finn , schlug die Tasse vom Tisch die klirrend am Boden zerbrach. Sophie zuckte zusammen als der Tee sich auf ihr Kleid ergoss. Polly warf Sophie böse Blicke zu während sie die Scherben vom Boden aufhob , ihn wischte und sich die Treppen nach oben begab.
Die Shelby Familie hatte große Augen gemacht, als Thommy vor sieben Jahren nach einer geschäftlichen Angelegenheit aus Birmingham zurück nach Small Heath nicht alleine kam. Er war in Begleitung eines kleines Mädchen, nicht älter als zehn Jahre. Dieses kleine Mädchen war Sophie. In Birmingham war sie mit Thommy zusammen gestoßen, auf der Flucht vor einem Streifenpolizisten der sie beim Stehlen erwischt hatte. Nichts untypisches für ein Kind der Straße. Waisenkinder gab es in England wie Sand am Meer. Deshalb kümmerte es die meisten Menschen nicht um sie. Doch aus irgendeinem Grund hatten Sophies Blicke, als sie Thommy mit ihren blauen, hilfesuchenden Augen angestarrt hatte, etwas in ihm ausgelöst. Er hatte etwas verspürt, was er nach dem Krieg ewig nicht mehr gefühlt hatte. Zunächst hatte er nur vorgehabt ihr etwas zum Essen und zu trinken zu kaufen und sie für eine Nacht mit ins Hotelzimmer zu nehmen. Er selbst war nicht in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und wusste wie es war von wenig leben zu müssen. Und als er sie dort so liegen sah, zusammen gekauert in ihren dreckigen Kleidchen auf dem weißen Bettlagen hatte er beschlossen sie bei sich auf zu nehmen. Es war eine nicht genau überdachte Entscheidung gewesen aber er wusste es war die richtige. Denn er tat dies auch um all die schlimmen Taten zu kompensieren die er vom Krieg gezwungen getan hatte. Sophie hatte sein Angebot mit zu kommen mehr als nur dankbar angenommen. Endlich weg von hier. Erst später hatte sie ein schlechtes Gewissen bekommen: Sie hatte die anderen Kinder zurück gelassen. Sophie hatte lange gebraucht sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Sie hatte lange nur das nötigste gesprochen, bis sie offener wurde, und ja mittlerweile fühlte sie sich als wäre sie Teil dieser Familie. Jeder hatte sie gerne um sich, vor allem Thommy merkte man es an, auch wenn er es nicht aussprach dass Sophie ihm ans Herz gewachsen war. Nur Tante Polly tat sich schwer. Sie war nicht gut auf Sophie zu sprechen, John und Arthur vermuteten dass es daran lag, das Sophie schon früh einen hohen Intellekt entwickelt hatte und früh über Dinge sprach von denen andere in ihrem Alter keine Ahnung hatten. Polly störte sich nicht direkt daran, sie hatte ehr bedenken dass sie auf Thommy einen Einfluss hatte und seine Entscheidungen beeinflusste. Aber am wenigsten konnte Polly es leiden, dass Sophie mit Thommy die einzige war die ihr Wiederworte gab. Obwohl Sophie nun schon seit vielen Jahren ein Mitglied der Familie war behandelte Polly sie manchmal mehr wie eine Haushaltshilfe. Polly war eine Frau die gerne alles unter Kontrolle hatte, den Überblick über eine Situation. Aber Sophie war wie ein leeres Blatt Papier. Weder wusste sie woher Sophie kam, noch wer sie eigentlich war. Sie hatte sich immer gewundert, woher ein kleines Mädchen von der Straße wusste, sich gesittet auszudrücken, woher sie die Manieren hatte, woher sie wusste sich zu benehmen und im Haushalt mit zu helfen. Polly mochte es nicht , nichts über sie zu wissen.

Thommy betrat rauchend den Stall.
Die schneeweiße Stute lag noch immer im blutgetränkten Stroh. Er kniete sich zu ihr und streichelte ihr durch die Mähne. Charlie hatte ihm das gleiche erläutert wie Finn den anderen gesagt hatte. Thommy erhob sich wieder und warf seine Zigarette nach draußen in eine Pfütze.
Die letzten Tage hatte es fast durchgängig geregnet und die Straßen in Small heath waren schlammig und in den Schlaglöchern stand das Wasser Zentimeter hoch. Thommy schaute sich im Stall um als John plötzlich angelaufen kam:" Thommy da kommen welche mit einem Auto angefahren." Thommy drehte sich um und lief gefolgt vom Charlie hinter John her. Arthur stand angelehnt an einem Pfosten und beobachtete als ein schwarzes Auto mit verdunkelten Scheiben langsam durch die Pfützen angerollt kam und knapp vor ihm stoppte. Die Beifahrertür wurde geöffnet und ein paar schwarze Lackschuhe zusammen mit einem Gehstock betraten den schlammigen Boden, gefolgt von Kniebundhosen einem weißen Hemd , mit Fliege am Hals, auf dem ein Kopf mit Schnauzer saß. Der Mann klopfte mit einer Zigarre in der Hand aufs Autodach und von der Rückbank stiegen zwei weitere Männer, ähnlich gekleidet aus. Der Fahrer blieb sitzen. Der Mann mit Schnauzer musterte alle vier von Kopf bis Fuß und ging dann ein Paar Schritte auf Arthur zu.
"Arthur Shelby?", fragte der Mann. Arthur drehte sich unsicher zu Thommy um. "Ich bin mir sicher, Sie wollen zu mir!", sagte Thommy. Der Mann wendete sich von Arthur ab , während Thommy auf ihn zu kam und ihm die Hand reichte. Der Mann nahm sie entgegen:" Thomas Shelby persönlich! Sehr nett sie endlich kennen zu lernen. Nur von Ihnen zu hören hat mich auf Dauer auf ihre Person neugierig gemacht!"
Thommy zündete sich eine Zigarette an und hob eine Augenbraue:" Und mit wem habe ich die Ehre?"
"Das werden Sie noch früh genug erfahren!", erwiderte der Mann der seinen Namen nicht nennen wollte eingebildet und strich sich über seinen Schnauzer. Thommy stieß Rauch aus seiner Nase in die Luft:" Viel sagt es natürlich nicht aus wenn Sie mir Ihren Namen nicht nennen Sir. Deshalb frage ich mich nun warum Sie mich aufgesucht haben!" Der Unbekannte zeigte in Richting des Pferdestalls:" Ihr Pferd war heute wirklich gut beim Rennen. Eine Stute habe ich Recht. Darf ich das tolle Tier denn mal sehen?" John und Arthur wechselten einen nervösen und zugleich verwirrten Blick. Thommy schüttelte den Kopf:" Zur Zeit nicht. Ein anderes mal vielleicht. Ich bitte Sie nun zu gehen ich habe noch Termine."
"Termine, oder ist ihrer Stute etwas nicht in Ordnung?", der Mann lachte auf. Thommy zückte seinen Revolver und richtete ihn direkt auf ihn. Zugleich erhoben die beiden Männer am Auto ihre Waffen und zielten auf Thommy. Arthur und John hatten im gleichen Moment ihre Waffen auf den Unbekannten gerichtet. Dieser lachte:" Kinder Kinder. Wir wollen das doch friedlich klären!" Thomas Shelby knirschte mit den Zähnen:" Das war meine beste Stute. Ein gutes Rennpferd!" Der Mann nickte:" Das weiß ich. Armes Tier muss ich schon sagen. Sie war schön. Ein Jammer nicht wahr." Der Mann sah Thommy und den anderen wohl ihre Verwirrung an da er fortsetzte:" Wissen Sie Mr Shelby. Ich besitze auch Pferde und nehme an Rennen teil. Sie trainieren ihre Pferde wirklich gut und haben Erfolg, was halten Sie davon wenn wir unsere Geschäfte zusammen tun? Das würde doppelte Chancen bedeuten!" "Nein Mr. Ich habe kein Interesse an einem Geschäft! Ich möchte jetzt dass Sie augenblicklich von meinem Hof verschwinden und sich nie wieder blicken lassen!",Thommy funkelte ihn, noch immer mit der Waffe auf ihn gerichtet, an. Der Schnauzbart schnippte darauf hin nur mit den Fingern und seine Männer packten ihre Revolver wieder in ihre Manteltaschen und setzten sich ins Auto. "Ich weiß sehr wohl, dass Sie hier in Birmingham bekannt sind. Die Peaky Blinders. Aber lassen Sie es ganz einfach mit den Pferderennnen sein. Das müssen sie nun so oder so. Ohne Pferd. Auf wiedersehen Mr Shelby. " Der Fremde lachte als er ins Auto stieg. Als der Fahrer drehte und vom Hof fuhr schoss Thommy ein paar mal, traf aber nur den Kofferraum. Er drehte sich um nahm seine Peaky Mütze vom Kopf warf sie von sich weg und brüllte in die Luft.

Am Abend fuhr er ins Wettbüro , holte Sophie ab und fuhr in sein Anwesen etwas außerhalb von Birmingham. Mit der Zeit, den Wetten , und dem Schwarzmarkt hatte er einiges an Geld zusammen geklaubt um sich ein kleines Anwesen mit Garten und einen Pub namens Garrison zu kaufen. Da er wusste, dass Polly seinen Schützling nicht gut leiden konnte hatte er sie zu sich genommen.
Zusammen mit ihr saß er an einer langen Tafel im Speisezimmer, und ein Dienstmädchen deckte den Tisch. Er hatte den Kopf aufgestützt und in den Händen vergraben. "Thommy?", fragte Sophie leise vom anderen Ende des Tisches. Thommy gab nur ein "hm" von sich. Sophie jedoch wusste das es ein Zeichen für sie war dass sie ihm wenn sie wollte auch ihr Herz ausschütten konnte. "Es tut mir wirklich leid wegen der Stute! Sie war ein wirklich tolles Pferd!", murmelte sie. Thommy steckte sich eine Zigarette an und stand auf:" Morgen ist eine Pferdeversteigerung. Wir fahren dort morgen hin. Geh deshalb nicht zu spät ins Bett wir werden früh los fahren!" Darauf hin ging er aus dem Zimmer und ließ Sophie alleine am Tisch sitzen. "Eine gute Nacht wünsche ich Mr Shelby.", murmelte sie ironisch. Sie war es jedoch bereits gewöhnt alleine zu Abend zu essen, da er oft einfach so aufstand und ging oder sogar garnicht zum Essen auftauchte. Trotzdem schätzte Sophie Thommy sehr so wie alle anderen in dieser Familie.

 Peaky  Blinders - Im Auftrag der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt