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Ein schrilles Geräusch drängt sich in meinen tiefen und traumlosen Schlaf. Ich grummele genervt vor mich hin und drücke ein Kissen auf mein Ohr, doch noch immer ist es zu laut, um einfach weiter zu schlafen. Mit zunehmender Wachheit wird mir schließlich klar, was dieser unausstehliche Lärm zu bedeuten hat: Jemand steht vor meiner Tür und klingelt Sturm.

Ich lasse mich aus dem Bett gleiten, wie zäher Sirup auf Brot und gehe gähnend zur Tür. Durch den Türspion linsend, kann ich erkennen, dass es Ben ist, der mich geweckt hat. Sein Oberkörper ist kaum zu sehen, da er einen riesigen Strauß gelber Tulpen in der Hand hält. Ich hasse gelb.

Kurz überlege ich, ob ich nicht einfach wieder ins Bett verschwinde und ihn da vor meiner Tür stehen lasse. Doch die gute Seite in mir überwiegt und ich öffne ihm.

In dem Moment, als er mich schließlich ganz sehen kann, werden seine Augen untertassengroß und er lässt den Blumenstrauß fallen. „Was starrst du mich denn so an?", frage ich mit noch vom Schlaf kratziger Stimme. „Geht es dir gut?", stellt er mir eine besorgt klingende Gegenfrage.

Ich sehe an mir herab. Erst jetzt wird mir klar, dass ich ja nackt vor ihm stehe. Seit gestern Abend fühlt sich das so natürlich an. Mir kommt es jetzt sogar komisch vor, dass es vorher anders war.

Nacktheit ist schließlich das Natürlichste am Menschen. Wie also konnte ich mich vorher nicht wohlfühlen in meiner Haut? Dazu kommt, dass ich ja gar nicht vollkommen nackt bin. Ich berühre mein Halsband.

„Lisi, hörst du mir überhaupt zu? Was ist mit dir passiert?" Anscheinend war ich so in meinen eigenen Gedanken versunken, dass ich ihn doch tatsächlich überhört hatte. Ich sehe ihn verwirrt an. „Was soll denn mit mir passiert sein? Was meinst du, Ben?" „Schau doch mal in den Spiegel! Du bist völlig zerzaust, dein Make-up ist verschmiert und du hast überall blaue Flecke, die garantiert nicht von mir sind. Dann trägst du dieses Hundehalsband, als wärst du irgendein...Tier! Bitte erkläre mir das!"

Ich bin erstaunt. Mit einer solch zornerfüllten Stimme hatte Ben noch nie mit mir gesprochen. Dennoch könnte er sich ein wenig zügeln. Was sollten denn die Nachbarn denken?

Ich greife seine freie Hand und ziehe ihn in die Wohnung. Wir gehen schweigend durch den Flur zu meiner Wohnküche. Er setzt sich an den Küchentresen. Ich suche nach den Zutaten für einen Kaffee. Den würde ich brauchen, für das, was jetzt unvermeidlicher Weise kommen würde. Ich hatte Ben betrogen. Nun folgten die Konsequenzen. Einfache Rechnung.

Ben legt die hässlichen Blumen auf die Theke und sieht mich traurig aber auch wütend an. „Jetzt sag's schon. Was hast du getan?" Während ich Wasser in den Kocher fülle, sehe ich ihn an. Keine Lügen mehr.

„Ein Mann war gestern hier...Er hat das mit mir gemacht." Ben springt tatsächlich auf. Tränen der Wut glänzen in seinen Augen.

„Er hat mit dir geschlafen? Woher kennt ihr euch?" Seine Stimme ist fast ein Fauchen. Keine Lügen mehr.

„Ich kenne ihn nicht. Ja er hat mit mir 'geschlafen'." Das letzte Wort passt so gar nicht zu dem, was der Fremde tatsächlich mit mir angestellt hat. Doch ich muss Ben ja nicht noch wütender machen, als er ohnehin schon zu sein scheint.

„Du kennst den Kerl nicht einmal?" Jetzt schreit er sogar. Kommt ein paar Schritte auf mich zu. „Du schläfst mit irgendeinem Fremden? Schlimmer noch! So wie du aussiehst, hat dich der Typ misshandelt. Geschlagen und wer weiß, was sonst noch! Dann trägst du dieses Ding!" Er zeigt mit zitterndem Finger auf meinen Hals. „Was ist bloß los mit dir? Schau dich doch mal an! Du siehst aus wie das Opfer einer Vergewaltigung! Das kannst du doch nicht wirklich gewollt haben." Der letzte Satz ist fast eher eine Frage und in ihr schwingt tatsächlich Mitleid mit.

„Das ist ja genau das Problem Ben!" Nun habe auch ich Tränen des Zorns in den Augen. Sie verschleiern meine Sicht, was gut ist, weil ich ihn somit nicht direkt ansehen muss. „Du verstehst mich einfach nicht!" Er schlägt mit der rechten auf die Arbeitsplatte.

„Wie denn auch? Wie soll irgendjemand das verstehen? Kein geistig vernünftiger Mensch würde wollen, dass ihm so etwas angetan wird!"

„Du hältst mich also für verrückt?" Ich bin fassungslos. Wie kann man nur so engstirnig sein. Seine Stimme wird etwas sanfter: "Nein...vielleicht bist du momentan nur etwas...verwirrt. Du solltest dir eventuell professionelle Hilfe holen...oder rede mit deinen Eltern." Nun bin ich es die ihn anschreit. Er tut ja gerade so, als wäre ich die Einzige auf diesem Planeten, die sich zu diesem dunklen Spiel hingezogen fühlt.

„Du kannst es nicht verstehen, Ben, weil du einfach nur ein Schlappschwanz bist!" Jetzt ist es raus. Kein zurück mehr. Ben starrt mich an. Er steht da wie eingefroren. Die flache Hand vom Schlag noch immer auf der Arbeitsplatte. Die Zeit steht still. Erst nach einer kleinen Ewigkeit, schüttelt Ben langsam den Kopf. Sein Blick ist ausdruckslos.

„Lieber ein Schlappschwanz als eine Irre." Seine Worte bohren sich wie Glasscherben in mein Herz. Schneiden mir die Luft ab. Seufzend sieht er mich ein letztes Mal an. Suchend nach dem Mädchen, welches er noch vor einer Woche so gut zu kennen glaubte. Dann geht er ohne ein weiteres Wort. Die Tür fällt zu. Ich bin allein.

Eine ganze Weile stehe ich einfach nur da. Nackt. Wirklich verletzt diesmal. Das Wasser hat schon längst zu Ende gekocht. Seine Worte schmerzen mehr als die Schläge. Ein wenig betäubt, schaue ich zu dem Strauß Blumen auf der Theke. Sie liegen da, mit ihrem furchtbaren Gelb. Unschuldig und matt glänzend, als sei nichts passiert. Und vielleicht haben sie auch recht. Es ist nichts passiert.

Ich atme tief durch und wische mir die Tränen von den Wangen. Das Spiel geht weiter.

Urplötzlich überkommt mich eine unerwartete Leichtigkeit. Ohne Ben hält mich nichts mehr davon ab, mich ganz dieser neuen Seite an mir hinzugeben. Ich schaue zur Zimmerdecke, um neu aufkommende Tränen zurück zu halten. Ich schließe kurz die Augen und atme erneut durch. Besser. Ich nehme den Straus Blumen von der Theke und stopfe sie alle samt in den Müll. Ich bin keine freundliche Tulpe mehr. Ich bin eine Rose.

Red Rose GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt