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Oben angekommen lege ich mich einfach auf die Matratze vor dem Kamin, in welchen kein Feuer mehr brennt und schaue in die graue Asche. Genauso fühle ich mich jetzt. Ausgebrannt und nutzlos. Grau und durch einen Hauch zu zerstäuben. Das Pfeifen ist verklungen. Mein Kopf ist vollkommen leer.

War das alles umsonst gewesen? Was würde Ben wohl sagen, wenn er mich hier so sehen würde. Bäuchlings auf einer dünnen Matratze mit entblößten und verletzten Hintern. Eine Irre. Ja vielleicht hat er recht. Vielleicht hätte ich einfach mein normales Leben mit ihm weiterführen sollen. Allein bei dem Gedanken daran wird mir übel. Ich schüttele den Kopf.

Der Gedanke verschwindet, doch ein neuer Film drängt sich an seinen Platz: Ich sehe ihn, wie er die Rothaarige von den Klötzen hebt und küsst. Mein Herz zieht sich zusammen. Nein, bitte, jede von den Mädchen da unten, nur nicht sie. Nicht sie! Ich kralle meine Finger in mein Haar und ziehe daran. Besser physischer Schmerz als psychischer.

Ich erhebe mich, beschließe mich abzulenken, bis ich die Reise nach Hause antreten muss. Mein Weg führt mich ins Badezimmer. Im Spiegel über dem Waschbecken blickt mir eine geschlagene Frau entgegen, zerzauste Haare und rot geweinte Augen. Keine Schönheit.

Ich ziehe mir das Kleid über den Kopf. Drehe mich um und betrachte meine Rückseite. Sie sieht grausig aus. Ein Schlachtfeld. Dennoch ein beeindruckendes Farbspektrum. Von schwarz über tief rot zu gelb zu grau. Der Schmerz ist abgeklungen. Er ist jetzt nur noch dumpf pochend unter meiner Haut. Morgen werde ich ihn erst richtig spüren. Morgen. Morgen werde ich wohl wieder an den Vorlesungen teilnehmen müssen. Das Geschehene wird verblassen und zu einem meiner vielen perversen Träume werden. Vielleicht ist es auch besser so.

Draußen wird die Tür geöffnet. Im nächsten Moment auch die zum Badezimmer. Lovita fällt mir in die Arme. Aus irgendeinem Grund sieht auch sie aus, als hätte sie geweint. Sie drückt ihren Kopf erst an meine Brust, dann sieht sie mich an: „Es tut mir so leid für dich!" Sie schnieft, tritt einen Schritt zurück und sieht mich mit großen traurigen Augen an. Ein bisschen sieht sie dabei aus wie ein schmollendes Kind. Jetzt stampft sie auch noch mit dem Fuß auf. „Es war doch aber auch so unfair! Du wurdest gestern schon so zugerichtet und dann sollst du sowas heute gleich wieder aushalten? Das kann doch nun wirklich keiner erwarten. Du sollst doch hierbleiben! Du-" Ich unterbreche sie, indem ich beide Hände sanft auf ihre Schultern lege. „Lovita ganz ruhig." Sanft sehe ich sie an und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. „Es war doch nur ein Spiel." Was für eine Lüge. Wenn es nur ein Spiel gewesen wäre, warum fühle ich mich dann gerade so elend?

„Wo ist Lycos? Und wie geht es jetzt für mich weiter?" Ich stelle die Fragen so schnell ich kann, um von dem unangenehmeren Thema abzulenken. Lovita scheint nichts bemerkt zu haben. „Lycos bespricht deine Abholung. Er müsste aber auch gleich-" Wieder öffnet sich die Tür. „Wenn man vom Teufel spricht." Lovita versucht sich nun ebenfalls an einem Lächeln, als Lycos den Raum betritt. Das Ergebnis ist jedoch eher kläglich.

Ohne Umschweife kommt er zur Sache: „Du wirst in einer Stunde abgeholt. Im Wohnzimmer steht der Beutel mit deinen Sachen. Lovita, komm, wir müssen unten beim Aufräumen helfen." Ich sehe, dass sie zu einem Widerspruch ansetzt, doch mein Begleiter packt sie am Arm und zieht sie ohne mich auch nur noch einmal anzuschauen hinaus. Die Tür fällt ins Schloss. „Ciao Lovita," flüstere ich.

Bedrückt schleppe ich mich ins Wohnzimmer. Da liegt der Sack mit meinen Kleidern, den ich erst gestern abgegeben hatte. Obenauf mein Handy. Mit einem Seufzer ergreife ich das Ding und werfe es auf die Matratze. Dann ziehe ich mich an. Schwarz. Eigentlich meine Lieblingsfarbe. Doch wäre mir rot oder auch nur weiß in diesem Moment weit aus lieber gewesen.

Ich verzichte auf meine Unterwäsche. 

Zuletzt nehme ich schweren Herzens das Halsband ab. Lege es sanft auf den leeren Sack.

Ich gehe zu meinem Nachtlager und setze mich, greife nach dem Smartphone und scrolle durch die Nachrichten: Valerie, die fragt, wo ich denn stecke. Stimmt ja. Heute ist Montag.

Grüße von meinen Eltern, wie immer.

Zuletzt eine Nachricht von Ben. Ich tippe sie an. Will er mir erneut sagen, wie blöd ich doch bin? Ich verdrehe die Augen.

>Lisi, ich weiß nicht wie ich anfangen soll...Du hast schreckliche Dinge getan und ich habe aber viel schrecklichere Dinge gesagt. Es tut mir leid und ich vermisse dich so sehr. Lass uns doch noch einmal reden, ja? Ich kann gar nicht ohne dich. Du bist das Beste in meinem Leben. Ich liebe dich. Also können wir uns noch einmal sehen?<

Fassungslos starre ich die Nachricht an. Ist er denn jetzt verrückt geworden? Ich habe ihn offensichtlich betrogen sowie beleidigt und er will es noch immer weiter mit mir versuchen? Ist er denn wirklich so verzweifelt? Er tut ja gerade so, als wäre ich die einzige Frau auf dieser Welt. Ich kann nur den Kopf schütteln. Das ist einfach nur armselig. Gut, dass ich das beendet habe. Aus diesem Grund fällt meine Nachricht auch knapp aus.

>Nein.<

Seinen Account blockieren und damit das Kapitel Ben in meinem Leben endgültig abschließen. Traurig bin ich kein bisschen.

Ich will gerade das Handy auf den Boden legen, da erhalte ich eine neue Nachricht. Mein Herz beginnt wie verrückt zu rasen, als ich sehe, von wem sie ist: Der Fuchs. Ob es Abschiedsworte sind? Das würde ich kaum ertragen. Nur zögernd traue ich mich deshalb, die Nachricht zu öffnen. Es muss einfach sein. Es ist schließlich die Letzte, die ich je von ihm erhalten werde.

>Meine Wohnung. Sofort!<

Ich schnappe nach Luft. Gänsehaut rast über meinen Körper. Mein Kopf ist mit einem Mal wieder vollkommen leer. 

Es scheint eine Art Automatismus zu sein, dass mein Körper sich dennoch ganz von allein erhebt und den Weg zu seiner Wohnung zurücklegt.

Erst als meine zur Faust geballte Hand gegen die Tür klopft, kehrt mein aktives Bewusstsein zurück. Ich werde gleich vor ihm stehen. Ich, die Verliererin. Was wird er mit mir anstellen? Er ist sicher böse auf mich. Meine Knie zittern ein klein wenig. Es ist wie damals, als ich mit einem Ball das Fenster der Nachbarin zerbrach und auf den Ärger wartete.

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