Am 17.02.2015 kam ich in die Seepark-Klinik in Bad Bodenteich, da ich mit meiner Therapeutin über den Wunsch sprach, mich erstmal in einer psychiatrischen Klinik behandeln zu lassen.
In der Klinik erwähnte ich im Vorgespräch mit meinem Therapeuten, der mich nun in der Klinik-Zeit begleiten sollte, auch mein Essproblem. Dazu wurde mir aber nur gesagt, dass ich keine Essstörung hätte, also wurde dort nur die Depression und die Sozialphobie behandelt. Ich kam mit 51 Kilogramm in die Klinik und verließ sie am 05.04.2015 wieder mit 53 Kilogramm.
Gegessen wurde im Speisesaal. Man saß mit seiner Therapie-Gruppe zusammen an einem Tisch.
Beim Frühstück und Abendessen saßen die essgestörten Patienten schon eine halbe Stunde eher als die anderen an ihren Tischen. Wenige Plätze im Saal waren auch schon vereinzelt besetzt. Am Tisch meiner Gruppe saß manchmal noch keiner, wenn ich zum Frühstück kam. So konnte ich alleine in Ruhe essen. Denn niemand sollte mich für meine Portionen verurteilen, wenn ich mal mehr aß, als ich eigentlich Hunger hatte.
Doch jedes Mal, wenn eine Patientin mit Anorexie/Bulimie an meinem Platz im Speisesaal vorbeiging, habe ich mich ertappt gefühlt. Ich stellte mir vor, was in ihren Köpfen vorging, wenn sie mich essen sahen.
„Der braucht doch gar nicht so viel. Nicht einmal ich brauche so viel."
Aber es war wie ein Zwang. Der Zwang, alles zu essen, wonach ich Lust hatte. Alles zu essen, was mir am Buffet zusagte. Ich wollte kein Geschmackserlebnis verpassen, solange ich in dieser Klinik war. Dort konnte ich es mir doch schließlich gut gehen lassen. Dort durfte ich Energie tanken.
Grundsätzlich waren es keine riesigen Portionen, die mir Magenschmerzen bereiteten, aber es ist nicht notwendig, zum Frühstück eine Schüssel Müsli, ein Brötchen mit Marmelade und Nuss-Nougat-Creme und danach noch eine Schüssel Fruchtjoghurt zu essen. Das tat ich auch nicht jeden Morgen, da in den meisten Fällen noch andere Patienten aus meiner Gruppe mit mir am Tisch saßen und es mir somit schwerer fiel, in Ruhe zu essen. So aß ich dann oftmals nur eine Schüssel Müsli und dazu eventuell noch ein Brötchen oder einen Joghurt.
Mittags gab es nach einer sättigenden Portion oftmals noch einen Nachtisch.
Fast jeden Abend aß ich drei Brote, meistens bestrichen mit reichlich Kräuterfrischkäse. Die Gewichtszunahme war bei meiner Klinik-Ernährung also vorauszusehen.
Nach einigen Mahlzeiten im Beisammensein mit den anderen, wurde das gemeinsame Essen für mich angenehmer, da wir uns von Mal zu Mal besser verstanden und ich Vertrauen aufbaute. Wir lachten zusammen, tauschten uns über die gemeinsamen Therapien aus, sprachen über anstehende Aktivitäten und ließen auch oft genug den Dampf ab, wenn in der Therapie etwas mal nicht so lief wie erhofft.
Irgendwann war es sogar schade, wenn ich alleine am Tisch saß, denn der soziale Aspekt beim Essen war mir nun wichtig geworden. Einfach, weil ich mich in meiner Gruppe wohl fühlte.
Ich erinnere mich daran, mir an einem Tag viel Süßkram gekauft zu haben, um es anschließend im Zimmer heimlich zu essen. Wenn ich dachte, die Luft ist rein und mein Zimmergenosse sei nicht in der Nähe, holte ich mir etwas aus der vollen Schublade. Einmal hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Sofort verstaute ich den Süßkram wieder in der Schublade und kaute den letzten Bissen so schnell ich konnte. Als die Tür aufging, versuchte ich, so unschuldig wie möglich zu wirken, und schien dabei wahrscheinlich eher verdächtig, da ich immer noch am Kauen war, hastig etwas an der Schublade veranstaltete und mein Gesicht vor Scham errötete. Vor einem Patienten mit Magersucht will ich nicht den Anschein machen, als würde ich mich vollfressen. Generell habe ich nicht vor, vor irgendeiner Person als jemand aufzufallen, der die Kontrolle verliert.
Wieder allein, aß ich trotzdem weiter. Weil ich es musste. Den Zwang konnte ich nicht ausschalten. Den Müll lagerte ich ganz unten im Mülleimer unter dem anderen Müll, um meine Spuren zu verdecken.
Zwar ging es mir während ich in der Klinik war, besser, sogar trotz der Gewichtszunahme, aber als ich Anfang April wieder zu Hause war, ging es mir direkt wieder schlechter. Ich vermisste es, unabhängig von meinen Eltern klarzukommen. Die Schule machte mich fertig, ich aß hin und wieder viel zu viel (mehr als in der Klinik), um die Leere in mir zu füllen und von meinen Eltern fühlte ich mich nicht verstanden. Ich arbeitete auch nicht weiterhin daran, meine Ängste zu überwinden, denn ich wusste nicht, mit welcher Kraft und mit welchem Selbstbewusstsein ich das tun sollte.
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Wer nicht (auf seinen Körper) hören will, muss fühlen
RandomEine sehr persönliche Geschichte, die durch sämtliche Höhen und Tiefen einer Essstörung und deren Genesung geht. Realitätsnah. Emotional. Echt. (TRIGGERWARNUNG: Gewicht, Kalorien, Depressionen, Selbsthass)