09.01.2018
Ich zähle zwar immer noch Kalorien, aber ich habe die Kalorienmenge jetzt schon wieder erhöht von 1.200-1.500 auf 1.700-1.800 kcal. Ich habe Angst vor dem Zunehmen, aber so wenig Kalorien, wie ich die letzten Monate zu mir genommen habe, sind einfach nicht gesund. Das macht mich so schwach. Ich hoffe, dass sich der Selbsthass nicht verschlimmert. Mein Ziel sind dann 1.850-2000 kcal und dann will ich mit dem Kalorienzählen aufhören.-----------------------------------------------------------------------
So ganz an den Plan habe ich mich dann doch nicht gehalten, sondern ich bin sofort ins kalte Wasser gesprungen. Die App zum Kalorienzählen benutzte ich ein paar Wochen nicht mehr, weil ich lernen wollte, auf mein Hungergefühl zu hören und ich dadurch viel Zeit einsparte, die ich in Hausaufgaben und Sport investieren konnte.
Mit meinem Essverhalten war ich nun endlich auf dem richtigen Weg, aber das hielt nicht lange an, denn mal wieder fühlte ich mich ohne die App, als würde ich die Kontrolle verlieren. Außerdem wog ich immer noch Lebensmittel wie Haferflocken und Nüsse ab, da diese in meinen Augen zu viele Kalorien hatten und ich davon nicht zu viel essen wollte. Also lernte ich leider doch nicht richtig, auf mein Hungergefühl zu hören. Weiterhin stand restriktives Essen im Vordergrund.
Aber wenigstens wusste ich, dass mein Essverhalten nicht gesund war.05.02.2018
Lenni, ich weiß nicht, wie ich da rauskommen soll.
Immer weiter versuchen, das Essen so zu perfektionieren, dass es gesünder nicht sein kann. Immer mehr Schritte. Immer mehr Kalorien verbrennen. Immer mehr Selbstzerstörung mit der eigentlichen Intention, sich selbst etwas Gutes zu tun, indem man sich gesund ernährt und Sport macht. Und dann immer wieder in Fressanfälle verfallen, weil die täglich aufgenommene Energie anscheinend zu wenig war und der Körper nun nach dem verlangt, was er so dringend benötigt. Nahrung. Aber was soll man unternehmen, wenn genau diese zum Feind wird? Warum fällt es mir so verdammt schwer, genau das zu essen, worauf ich wirklich Lust habe und genauso viel zu essen, wie ich es wirklich benötige?
Ich weiß gar nicht mehr wirklich, auf was ich Lust habe und wie ich auf die Signale meines Körpers höre. Zu lange habe ich sie schon ignoriert.Immer diese Angst, man könnte wieder zunehmen und damit den bestehenden Selbsthass verstärken. Immer dieses Streben danach, die Zahl auf der Waage stetig sinken zu sehen. Immer das Ziel vor Augen haben, nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen, da es mir das Bild von Leichtigkeit, Schwerelosigkeit und das Abschütteln von Weiblichkeit und Ballast vermittelt. Ich wünschte dieser Zwang würde aufhören. Er zerstört mich. Er stresst mich. Er bringt Chaos in meinen Kopf. Er bringt mich zum Verzweifeln.
Ich habe mich gezwungen, über eine Stunde Sport zu machen. Warm Up, eine halbe Stunde HIIT, 18 Minuten Springseil springen, Cool Down. Eigentlich bin ich immer noch krank, war echt schwach beim Sport und hatte null Bock, aber irgendwas in mir hat geschrien, dass ich Sport machen soll, damit ich weiter abnehme. Immer wieder habe ich an meinen Bauch gefasst. Zu dick. Zu viel Fett. Zu viel Ballast. Ich brauche Leichtigkeit. Ich habe angefangen zu weinen, während ich mich durch die anstrengenden Übungen gequält habe, aber ich durfte nicht aufhören. Ich war erst zufrieden, als ich mit dem Sport fertig war. Naja, was heißt zufrieden? Zufrieden bin ich erst, wenn ich die 40 auf der Waage sehe. Zahlen, Zahlen, Zahlen.
Alles dreht sich immer nur um Zahlen.
Schritte, Kalorien, Gewicht, Größe, BMI, Körperfettanteil, Maße, Noten.
Zahlen, damit man seine Ziele genau definieren kann.
Ich weiß selber, dass ich mich von dem Zwang befreien muss, aber ich weiß nicht wie. Ich kann nicht loslassen.
Wenn das nächste Mal ein Mathelehrer sagt, dass das Leben aus Zahlen besteht, dann werde ich laut schreien, meinen Tisch umschmeißen und am besten noch Stühle nach ihm werfen.
Aber das gilt wahrscheinlich als unhöflich.-----------------------------------------------------------------------
Die Schule stresste mich immer mehr, weil ich meine Aufgaben möglichst perfekt erledigen wollte, um möglichst perfekte Noten zu erzielen. Also wurde es zeitlich eng, neben dem Sport und Kochen, was beides schon mächtig Zeit fraß, meine übrigen Kapazitäten für die Schule herzugeben.
Zwar weiß ich immer noch nicht zu 100% woran es lag, doch Ende 2017 entwickelte sich auf meiner Kopfhaut auffallende Schuppenflechte (Psoriasis), die mich überaus belastete. Auch auf meinem Rücken und auf meinen Unterarmen befanden sich rote, schuppige Stellen.
Meine Vermutung ist, dass es an dem gewaltigen Stress lag, dem ich mich selber aussetzte und an meinem Ernährungsverhalten. Mein Körper hatte gar nicht die Voraussetzung, sich dagegen wehren zu können.
Ein anderer Grund kann auch das Testogel sein, dass ich mir seit November 2017 täglich auf die Arme schmiere. Wahrscheinlich war es eine Kombination aus allen Faktoren.
Die Schuppenflechte war mir ein Dorn im Auge, weil diese Erkrankung nicht in mein Idealbild passte und mich das ständige Spannungsgefühl und die Schmerzen auf meiner Kopfhaut fertig machten.
Ich machte mich im Internet über die Krankheit schlau und las mir Geschichten von Betroffenen durch, die ihre Schuppenflechte lindern oder sogar heilen konnten. Mein veganer Lebensstil war schonmal ein Schritt in die richtige Richtung. Doch im Frühjahr 2018 stellte ich meine Ernährung noch weiter um.
Es schienen einige Lebensmittel zu sein, die Psoriasis verschlimmern konnten. Hochverarbeitetes wie Zucker und Weißmehl flogen komplett raus. Gluten auch (was eigentlich nur Sinn macht, wenn man wirklich glutenintolerant ist). Nachtschattengewächse wie Tomaten, Kartoffeln, Paprika, Auberginen und Chilis auch. Meine Ernährung beschränkte sich hauptsächlich auf Obst, Gemüse und ein paar Hülsenfrüchte und Nüsse, also erstellte ich mir eine Liste mit den erlaubten Nahrungsmitteln, die meine Kopfhaut wieder ins Reine bringen sollten.
Obst:
Äpfel, Bananen, Ananas, Granatäpfel, Erdbeeren, Himbeeren, Birnen, (getrocknete) Pflaumen, Datteln, (getrocknete) FeigenGemüse:
Spinat, Zwiebeln, Brokkoli, Karotten, Kürbis, Gurken, Rote Beete, Erbsen, grüne Bohnen, Zuckerschoten, Knoblauch, Lauchzwiebeln, Porree, ChampignonsKräuter:
Schnittlauch, Petersilie, Basilikum
Fette:
Leinsamen, Chiasamen, Kakao(nibs), Hanfsamen, Sesam, Sesammus, Avocado
„Getreide":
Quinoa, Buchweizen
Hülsenfrüchte:
Kichererbsen, Kidneybohnen, LinsenEin Teil von mir war nicht zufrieden mit dieser Einschränkung, doch der andere Teil freute sich regelrecht über diese Reduktion der Lebensmittel, da ich nun einen guten Grund hatte, weniger zu essen. Also nahm ich noch mehr ab und erreichte schließlich ein Gewicht von 48 kg. An den meisten Tagen zählte ich wieder Kalorien, um mir sicher zu sein, auch wirklich abzunehmen. Es waren zwar mehr, als bei meinen ersten Kalorienreduktionen, aber 1.700 bis 1.800 Kalorien waren für mich zu wenig, nicht nur wegen des Sports, sondern auch, weil ich mich durch die Hormonbehandlung in einer zweiten Pubertät befand und ich Energie für meine Entwicklung brauchte. Und ich freute mich wirklich wie ein kleines Kind, als ich die Hormontherapie endlich beginnen konnte, doch wichtiger war für mich, wie immer, die Gewichtsabnahme.
Dafür musste ich unangenehme Nebenwirkungen in Kauf nehmen.
Ich fror vermehrt, auch wenn es nicht kalt war, ich war schlecht gelaunt, meine Verdauung war nicht optimal, ich war gestresst und stand ständig unter Strom. Hinzu kam ständiger Hunger, der sich durch den leckeren Duft von frischgekochten Speisen und verlockendem Gebäck verschlimmerte. Das war nicht nur fast jeden Tag in der Schule der Fall, wenn die Köche in den Küchen die schmackhaftesten Gerichte zubereiteten, sondern auch zu Hause, wenn meine Mutter kochte. Wenn ich ausgelaugt von der Schule kam und mich für den exzessiven Sport mental vorbereiten musste, brachte mich dieser Geruch von Essen auf 180 und das bekam meine Mutter zu spüren. Sie erlebte mich oftmals aggressiv und voller Wutausbrüche, die meistens auf meinen Hunger zurückzuführen waren. Das Essen musste nicht einmal lecker riechen (jedes Essen riecht lecker, wenn man starken Hunger hat). Es musste einfach nur der Duft nach Essbarem sein, der die Aggressionen in mir auslöste. Denn ich durfte es schließlich nicht essen und war neidisch auf alle Personen, die etwas essen konnten, sobald sie nach einem anstrengenden Tag nach Hause kamen.
Zu Hause aß ich ausschließlich das, was ich selber zubereitete, aber das musste ich mir erst durch den Sport verdienen.
Lenni machte sich Sorgen wegen meiner Ernährungsweise und ich schrieb daraufhin wieder einen kurzen Text in unser Tagebuch.22.02.2018
Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich mich richtig ernähren soll. Mein Verdauungssystem macht mich fertig. Meine Schuppenflechte macht mich fertig.Am liebsten hätte ich keinen Hunger mehr, damit ich nicht mehr essen muss. Aber ich WILL so gerne einfach „normal" essen können. Ohne Verdauungsprobleme. Ohne Angst vor der Gewichtszunahme. Ohne Angst davor, zu viel gegessen zu haben. Ohne Angst davor, dass sich die Schuppenflechte verschlimmert.
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Wenn ich Fressanfälle hatte, dann mit Obst (meistens Bananen oder Birnen) undSesammus.
Ich war sehr konsequent, was die erlaubten und verbotenen Lebensmittel betraf,also hielt ich mich genauestens an den Plan und aß nur noch die erlaubten Lebensmittel.
Wirklich verbessert hat sich die Schuppenflechte in den vier Monaten aber nicht. Zwar hatte ich in dem Zusammenhang auch gelesen, dass die Schuppenflechte erst schlimmer wird, bevor sie sich bessert und zurückgeht, aber nach vier Monaten glaubte ich nicht mehr dran.
Die Frage, die ich mir stellte war, was ich nun noch weglassen konnte, aber ich hatte die Hoffnung schon so gut wie aufgegeben, dass ich dieses lästige Problem in den Griff bekommen könnte, also baute ich nach und nach wieder Lebensmittel ein, die „nicht erlaubt" waren. Hochverarbeitetes aß ich dennoch kaum, weil mein Körper nicht mehr danach verlangte. Doch ich hatte Angst, wieder zuzunehmen, wenn ich wieder Haferbrei zum Frühstück aß oder Nudeln zum Abendessen.Mit der Zeit ging die Schuppenflechte sogar etwas zurück, als ich wieder Kartoffeln und Co. in meinen Speiseplan einbaute. Die Schuppen auf meiner Kopfhaut wurden nicht mehr so groß, wie sie normalerweise waren, das Spannungsgefühl ließ deutlich nach und auf meinen Unterarmen und auf meinem Rücken entwickelte sie sich komplett zurück (bis auf eine ganz kleine Stelle auf meinem Rücken).
Die Schuppenflechte verschwand nie komplett, aber die deutliche Besserung war ein kleiner Erfolg.
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Wer nicht (auf seinen Körper) hören will, muss fühlen
RandomEine sehr persönliche Geschichte, die durch sämtliche Höhen und Tiefen einer Essstörung und deren Genesung geht. Realitätsnah. Emotional. Echt. (TRIGGERWARNUNG: Gewicht, Kalorien, Depressionen, Selbsthass)