Zuckerwattenträume

570 29 77
                                    

pt. 2

Wir rannten und lachten, bis Boris mich am Ärmel zog und wir in einen dieser vorgefertigt und schon möblierten Räume stolperten. Wir ließen uns auf das breite Doppelbett fallen, noch immer kichernd, und ich sah nur die dunkle Bettwäsche um uns herum, rießen  Kissenberge, schwarze Monsterdecken, dunkelgraue Lacken. Und zwischen all dieser Dunkelheit sah ich ihn aufleuchten, Boris, Boris, Boris, wie ein Leuchtturm auf dem schwarzen Ozean, wie ein aufblitzendes Feuerzeug in kalter Nacht, wie ein Mondstrahl, der ins Zimmer fällt und dich aus deinen Albträumen weckt. Das war Boris, dachte ich, das Licht in all der Dunkelheit, blas und bleich zwar, aber noch immer leuchtender als alles andere, ein Licht, nicht unbedingt ein Gutes - vielleicht sogar ein Irrlicht - und trotzdem würde ich ihm immer folgen, blind vertrauen, dem Licht nachgeben, mich in die Irre führen lassen, ja, sogar verrückt werden würde ich - mit ihm.
Ich boxte ihm gegen den Oberarm und er warf sich auf mich, wir rollten übers Bett, er war direkt über mir, sein wunderschönes Gesicht und ich sah nur Licht, Licht, Licht, verwirrendes Licht, das mich vom Weg abbrachte, das mich unkonzentriert werden ließ, das mich schwach werden ließ und mir jede Selbstbeherschung raubte.
Und als wir uns ein weiteres mal gedreht hatten, und er jetzt unter mir lag, da konnte ich nicht anders, senkte meinen Kopf und legte meine Lippen auf seine und ich schloss die Augen, weil er mich blendete und trotz geschlossenen Augen war es so hell, und er so warm, seine Lippen so echt und er so nah. Ich spürte ihn nah an mir, und um uns herrum die Leichtigkeit. Ich spürte ihn nah an mir, und um uns herum die Wolken. Ich spürte ihn nah an mir, und um uns herum das Glück, dass an meinen Armen und Beinen zerrte und uns schweben ließ.
Ich küsste ihn nicht zum ersten Mal. Wir hatten uns schon zuvor geküsst, aber nie tagsüber. Nicht wenn wir bei rechten Sinnen waren, nicht, wenn wir mehr als bloß unsere Umrisse erkennen konnten.
Wir küssten uns Nachts, wenn wir betrunken und bekifft waren, wir küssten uns, wenn Nebel und Rauch zwischen uns hing und alles unkenntlich machte,  wir küssten uns, wenn die Welt jegliche Farbe verloren hatte, wenn alles grau war, dann küsste ich ihn, und es war noch immer dunkel, aber dann schmeckte ich die Farben wenigstens, dann konnte ich sie spüren, das Rot, das Gelb, das Grün, das Blau, an meinem ganzen Körper konnte ich es dann prickeln spüren, die Farben, seine Farben und sie überdeckten das verdammte Grau.
Am nächsten Morgen hatten die Küsse keine Bedeutung mehr für ihn, glaube ich, denn ansprechen tuen wir sie nie, es ist als wären sie nie geschehen, als wäre es nur ein Traum, und vielleicht, so dachte ich manchmal, wenn sich unsere Hände tagsüber berühren, war es das ja auch, ein Traum, unreal und ohne Bedeutung.

Doch diesesmal war es anders. Diesmal war es Tagsüber. Wir hatten nichts getrunken.
Dies hier war kein Traum, soviel stand fest.
Als er seine Hände auf meine Brust legte und mich sanft von ihm wegdrückte, hörte ich, wie er nach Luft schnappte.
Ich öffnete meine Augen nicht, ich würde meine Augen nie wieder öffnen, glaubte ich. Ich spürte wie mein Gesicht warm wurde und mir die röte ins Gesicht schoss. Ich konnte meine Augen nicht öffnen. Bei Nacht, machte es keinen Unterschied ob ich meine Augen offen hatte oder nicht, ich konnte eh nichts sehen, da war nur dieses hektische Tasten, bis sich unsere Münder endlich gefunden hatten, die Erleichterung im Schutz der Dunkelheit. Wir waren nur Schatten, nicht ganz wir selbst, nur das was von uns übrig blieb, wenn die Lichter ausgingen, wenn unsere Albträume an der Tür klopften.
Das war der Teil in mir der Boris Küssen wollte, redete ich mir ein: der Teil, der alleine war, der gebrochene Teil, der sich unendlich nach Liebe zehte, egal von wem.
Doch jetzt musste ich mir einstehen, dass ich mich in diesem Punkt wohl geirrt hatte. Es war nicht nur der dunkle Teil in mir, der sich nach Boris sehnte. Es war alles in mir. Jede einzelne Faser in meinem Körper schrie nach Boris, nie wollte ich ohne ihn sein, nie wollte ich ein anders Haar als seines unter meinen Händen spüren, wiederspenstig und gelockt, nie wollte ich eine andere Hand in meiner Spüren, schlank und mit feinen weißen Narben übersehen, nie wollte ich andere Lippen küssen, als seine, aufgerissen und trocken und nie wollte ich in andere Augen schauen, als in seine, voller Abgründe und Tiefen.
Aber jetzt traute ich mich nicht, meine Augen zu öffnen, jetzt hatte ich Angst in seine zu gucken, Angst vor den Abgründen in denen ich mich verirren könnte, Angst, dass seine Augen mich voller Abscheu anschauten, Angst davor, wie er reagieren würde.
Ich hatte das Gefühl ich würde nackt und ungeschützt da liegen, alle meine Geheimnisse, all meine Uhrängste vor mir ausgebreitet.
Boris sagte nichts, ich hörte ihn nur schwer atmen. Was hast du zu verlieren?, hatte ich vorhin gedacht und jetzt wusste ich es.
Alles. Alles. Alles. Alles. Boris.
Boris war alles was ich hatte, Boris war alles was Bedeutung hatte, Boris war das, was leben von existieren unterschied. Ich hatte gewonnen, als ich Boris als Freund bekommen hatte. Und ich hatte verloren, weil ich mehr wollte. Ich war so undankbar.
Ich rollte mich zur Seite, runter von Boris, rollte mich zusammen wie ein Embryo, kniff die Augen zusammen und versuchte zu verschwinden.
Ich stellte mir vor, wie meine Zellen auseinanderfielen, wie ich in hunderttausend Teile zerbrach und zu etwas neuem zusammengefügt wurde, am besten zu etwas ohne Bewusstsein, etwas das nicht leiden konnte. Ich wollte Wasser werden, dunkle wilde Wellen, schwarzer Ozean. Ich wollte Rauch werden, leicht und körperlos und verformbar.
Doch dann spürte ich zwei Hände auf meinem Rücken, zwei bekannte Hände, und alle Teilchen in mir fügten sich wieder ineinander, es war als würden sich millarden Kompassnadeln in meinem Körper in seine Richtung ausrichten.
Er zog mich an den Schultern zurück, sodass unsere Gesichter gegenüber voneinander lagen. Ich hielt die Augen geschlossen.
Und dann küsste er mich.
Es war helligter Tag. Wir waren nicht bekifft. Wir lagen in einem Bett in einem öffentlich zugänglichen Möbelkaufhaus.
Und Boris fucking Pavlikovsky küsste mich.
Das Glück drohte mich zuzerreißen.
Er löste seine Lippen von meinen.
„Potter.", raunte er, „Öffne deine Augen."
„Hmpf.", protestierte ich schwach. Ich wollte bloß, dass er mich wieder küsste. „Nie wieder!"
„Bitte, Potter. Ich will sie sehen."
Es kribbelte in meinem Körper.
„Küsst du mich wieder, wenn ich sie öffne?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Deal.", antwortete Boris.

wind, sand und sterne // boreo Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt