Manchmal, ganz unerwartet und aus dem nichts kommend, überfiel Theo dieser Schmerz. Diese ungeheure Last, dieser Schatten, der sich leise über sein Herz legte. Ohne das er etwas dagegen tun konnte liefen ihm dann die Tränen über die Wangen. Gerade jetzt war so ein Moment. Er war allein im Haus. Sein Dad und Xandra waren schon seit drei Tagen nicht mehr zu Hause gewesen und Theo glaubte nicht, dass sie bald zurück kommen würden. Und Boris war bei Kotku. Theo glaubte auch nicht, dass er bald zurückkommen würde. So saß er allein am Rande eines Pools und ließ seine Füße in das kalte Wasser eintauchen. Er erinnerte sich noch gut daran, wie das Wasser in seiner ersten Nacht hier geleuchtet hatte. Grünlich in der schwarzen Nacht. Damals hatte es noch Poolbeleuchtung gegeben, aber irgendwann hatte sein Dad die Stromrechnungen vermutlich nicht mehr bezahlen können. Jetzt lag der Pool schwarz und unergründlich vor Theo und ihn überkam das Gefühl, dass es sich so vielleicht mit allem in seinem Leben verhielt, dass alles zuerst glitzerte und wertvoll erschien und dann doch in der Dunkelheit verschwand, dass alles was einst golden und wertvoll war, in der Dunkelheit an Glanz verlor, alles was einst groß und Wichtig war verschwand, wenn Theo es brauchte. So war es mit seiner Mutter gewesen und jetzt - auch wenn er sich scheute diesen Vergleich zu ziehen - war es so auch mit Boris. Seine Mutter und Boris, beide, waren Konstanten in seinem Leben gewesen und dann von einem Tag auf den anderen, waren sie verschwunden. Mit dem Unterschied, dass seine Mutter nichts dafür konnte, und das Boris sich ausgesucht hatte ihn zu verlassen und jetzt bei seiner Freundin Kotku war. Theo starrte auf den Pool. Er konnte nicht erkennen wie tief er war, er hörte bloß das leise Plätschern, immer wenn eine Welle leise gegen den Beckenrand traf. Theo seufzte. Es war kein oberflächliches Geräusch, sondern eines ganz tief aus seiner Seele, eines das man nur machen konnte, wenn man ganz alleine war. Er spürte wie die Traurigkeit ihn packte, wie sie aus dem dunklen Pool gekrochen kam, sich an seinen nackten Beinen hochzog, wie sie sich durch sein Tshirts sog, wie sie sich auf seine nackte Haut legte, wie sie seine Augenlieder verklebte. Das waren diese Momente in denen er sich fragte, ob es sich lohnte zu Leben. Es waren diese Momente in denen er Angst vor der Zukunft hatte. Er war jetzt sechzehn. Siebzehn kam noch. Achtzehn, ja klar. Aber dann? Was dann? Dann war man erwachsen. Dann war das hier vorbei. Die beste Zeit hatte er dann hinter sich. Danach würde er arbeiten müssen. Er würde arbeiten müssen und am Abend würde er angestrengt und müde nachhause kommen und sich in sein Bett legen, er würde einen belanglosen Film im Fernsehen gucken an den er sich am nächsten Morgen nicht mehr würde erinnern können, genauso wenig wie an den Traum den er gehabt hatte und dann, am nächsten Tag, würde er wieder zur Arbeit gehen. Und vielleicht würde er eines Tages eine nette Freu kennenlernen, keine die er liebte, um Gottes Willen, aber eine, die er aushalten konnte, eine, die nicht schnarchte und ganz gute kochen konnte und das war dann das Leben, oder? War es so? Es machte Theo Angst. Er hatte Angst gefühllos zu werden, Angst davor, zu vergessen, was Kinder und Jugendliche einfach zu wissen schienen: welch einen Zauber es auslöste, wenn sich der eigene Blick mit dem eines anderen Menschen traf, zwei verwandte Seelen in einem Raum voller Fremder, das Wissen, dass Worte Welten verrücken konnten und dass es sich lohnte am Morgen aufzustehen, nur um am Abend die Stenre zu sehen. Theo hatte Angst zu vergessen, dass alles was Menschen erbaut haben auch wieder eingerissen werden kann und das auf Massengräbern wieder Blumenwiesen wachsen können. Er hatte Angst, dass er eines Tages, mit mitte dreißig, in Anzug und Krawatte und mit gescheitelten Haaren aufzuwachen und vergessen zu haben, das all das hier, lachen und Licht und lesen doch Wunder waren, über die es sich zu wundern galt, jeden einzelnen Tag.
Noch war er ein Teenager, noch lebte er die besten Jahre, aber irgendwann würde er arbeiten müssen, er würde Dinge im Griff haben müssen, Dinge, die er tun wird, Sätze, die er sagen wird, müssen Sinn ergeben. Davor hatte Theo Angst, so sehr, dass er jetzt die nassen Beine aus dem Pool zog, so sehr, dass er sie an seinen Bauch zog, so sehr, dass er sich zusammenrollte wie ein Baby und leise vor sich hin schluchzte. Er schloss die Augen. Er spürte wie seine Glieder schwach wurden, spürte, wie er hier und jetzt in den Kacheln versinken wollte. Er spürte wie seine Augenlieder schwer wurden. Er wollte einschlafen, hier und jetzt, und wann er aufwachen würde, wusste er nicht. Er driftete ab, seine Gedanken verliefen nicht mehr gerade, sondern verloren den Weg, spalteten sich auf, wuchsen krumm, führten ihn auf Nebenwege, durch Wälder und auf zugefrorene Seen. Er befand sich in Dunst, in ewiger Leere tappend, mit nassen Füßen, mit roter Farbe am Körper - und er konnte sich nicht erinnern woher sie kam - als sich ihm eine warme Hand auf die Schulter legte. Er öffnete seine Augen, drehte sich um, und sein Blick, von Dunst getrübt, klärte sich schlagartig, als sein Blick auf Boris fiel. Als wäre Boris von anderer Beschaffenheit, als der Rest der Atome auf diesem Planeten, brannte er sich warm und klar auf Theos Augapfel ein. "Potter. Warum auf dem Boden liegen? Ist kalt.", sagte Boris und rieb sich über die nackten Arme. Dann streckte Boris Theo seine Hand entgegen und zog ihn hoch. Theo spürte sich schwach und überwältigt von dem Gedanken vielleicht nur zu Leben um gelebt zu haben, so wie er zu Schule ging, nur um sie erledigt zu haben. Er lehnte sich erschöpft gegen Boris, der neben ihm hockte und besorgt auf seinen dreckigen Fingernägeln kaute. Theo spürte wie sich der Nebel wieder verdichtete. Doch dann bewegte Boris sich ruckartig, er hatte eine seiner plötzlichen Einfälle gehabt. "Wir sollten tanzen, Potter. Nicht auf Boden liegen." Und damit packte er Theos Hand erneut und zog ihn dieses Mal auf die Füße. Ein wenig bedröppelt stand Theo da, während Boris ins Haus sprintete und an der Stereoanlage herumfuhrwerkte. Als die ersten Töne laut durch die geöffneten Fenster des Hauses in die leere Weite der Wüste schallten, musste Theo unwillkürlich anfangen zu grinsen. So weit, so einsam lag die Wüste dar und niemand war hier um die schöne Musik zu ehren. Nur sie waren da. Boris und er und diese Nacht. Er schloss die Augen auch wenn das nicht nötig gewesen wäre, denn die Nacht war schwarz genug. Er spürte das Boris irgendwo in seiner Nähe war, spürte seine warme, wilde Aura, spürte das ausgebrannte, roch die Asche, hörte das knisternde Feuer, das von neuem zu brennen begann. Und es war gut zu wissen, dass Boris wieder da war, dass sich ein Feuer zwar entfernen konnte, aber die Glut, niemals ganz erlöschen konnte, sowie sie einmal gebrannt hatte. Aber trotzdem war Boris gar nicht so wichtig in diesem Moment. Die Musik war wichtig. Theo spürte wie sie durch ihn hindurchdrang, wie die Traurigkeit zuvor, wie sie ihn auswrung, ihn durchschüttelte, wie sie ihn ganz und gar verdrehte. Er tanzte. Er wusste, dass Boris ebenfalls tanzte. Aber das war nicht ganz so wichtig. Es ging hier um ihn selbst, um Theo. Darum, dass er für sich tanzte. Darum dass das hier genügte. Darum, dass er hier allein in der Wüste stand und das er die Arme durch die Luft wirbelte, dass er den Rücken durchbog, den Kopf in den Nacken warf, die Finger über unsichtbare Klaviertasten fliegen ließ und seine Füße nicht stillstanden. Hier war er nun. Wüstenwind in den Harren, unter den Nägeln, zwischen den Wimpern. Hier war er nun und er tanzte und er war am Leben. Die Traurigkeit hatte sich zurückgezogen, war vertrieben worden in den Pool, und bekam unter Wasser keine Luft, während Theo immer freier atmen konnte. Er fühlte sich leichter, fast ein wenig glücklich. Ich kann glücklich sein, dachte er bei sich. Ich bin glücklich. Er tat nichts außer tanzen, tanzen zu diesen Liedern, zu denen wahrscheinlich schon hunderte vor ihm getanzt hatten. Er dachte nicht nach, nicht darüber, ob er schwul war, ob er schuld war, ob er schlecht war, er dachte keinen dieser überaus komplizierten und einnehmenden Gedanken, die ihn mindestens einmal am Tag in den Wahnsinn trieben. In diesem Moment brauchte er keine Antworten, in diesem Moment reichte es einfach nur zu existieren. Und er begann sich zu drehen, schneller und schneller, weil, na, warum denn nicht. Er begann den Kopf hin und her zu werfen und er dachte sich: das ist das Leben! Ich, hier mit mir und der Musik. Und er dachte, ich bin glücklich, in diesem Augenblick, bin ich glücklich und alles andere kommt danach.
Ein neuer Song begann und Theo sang die Worte mit, laut und deutlich, stolz, dass diese Worte aus seinem Mund kam und das er tanzte, wild und unentschuldigt und entschlossen. Haare flogen, Herzen bebten, Gedanken standen still. Er hörte Boris' Lache irgendwo und erst da fiel ihm wieder ein, dass er auch da war und es wurde ihm noch wärmer. Er hörte Boris' Lachen wieder, diesmal ganz nah. Und aufeinmal spürte er Arme, spürte er Locken, spürte er Haut, die ihn unmgab, raues Lachen, der Geruch von Ozean und all seinen Schatten und dann stolpern, wanken, fallen, Wasser, dunkle Wellen und Kälte, die durch seine Kleider drang. Er öffnete die Augen im Poolwassee und er sah nichts. Nur schwarz. Keine Poolbeleuchtung, dachte er und lachte unter Wasser. Aber etwas sah er doch: Boris' Gesicht, ein heller Punkt in der unendlichen Dunkelheit und er erinnerte sich zurück, an einen Moment irgendwann letztes Jahr, als sie schoneinmal in diesen Pool gefallen waren, zusammen untergegangen waren, in den anonymen Tiefen der vielen Schattierungen von Blau. Aber damals hatte es noch Poolbeleuchtung gegeben, dachte Theo, damals war es Blau gewesen, jetzt war es schwarz. Und wie viele Schattierungen kann es wohl von Schwarz geben?
Es stellte sich heraus, es gab eine Menge: In den tiefen von Schwarz gibt es Hände, die nacheinander greifen, Gedanken, die vor Kälte erstarren, es gibt gedämpfte Musik über der Wasseroberfläche, Einsamkeit, die sich verdoppelt, Wärme, die sich teilt, Münder, die sich treffen, Asteroiden, die aufeinander prallen, Füße, die sich vom Boden abstoßen, Blubberblasen, die nach oben aufsteigen und dann hastiges Schnappen nach Luft an der Wasseroberfläche. Beide Jungen keuchten, sehen sich an, lachen, langen wieder nacheinander, das Wasser wird zwischen ihnen verdrängt, übrig bleibt nur Haut auf Haut. Und alles ist gut, irgendwie ist alles gut. Wer braucht schon Antworten auf Fragen, über die seit Jahren Songs geschrieben werden? Wer braucht schon antworten auf Fragen, die Leute in Tagebüchern und Liebesbriefen schreiben? Wer muss schon wissen, wie es morgen sein wird, wenn das Licht der Sterne, dass wir sehen, jenes ist, das sie vor hunderten von Jahren abgegeben haben. "Wir denken zu viel, wir beide.", flüsstere Boris in Theos Ohr und der nickte heftig und lachte. Und dann küsste er Boris, ganz bewusst, ganz direkt, undzwar über der Wasseroberfläche. Und er spürte wie die Welt unterging, wie alle Gebäude eingerissen wurden, wie die Natur sich zurückholte, was einst ihres gewesen war und wie neue Welten und Wesen entstanden, die aus den Trümmern etwas erbauten, was schöner war, als alles was Theo jemals gesehen hatte. Sprachlos lösten sich Theo und Boris voneinander und schauten sich in die Augen. Und in der Stille, die all die verschwundenen Gedanken hinterlassen hatten, erkannte Theo, dass das Leuchten und Glitzern, dass der Pool einst inne hatte, immer noch da war, dass es zwar nicht mehr von Strom betrieben war, aber dass es immer noch in all dennErinnerungen lag, die sich in diesem Pool versteckten, dass es immer noch in all den Geheimnissen lag, die Boris und Theo in diesem Pool versteckt hatten und dass es jetzt, in diesem Moment auch in ihren Augen lag. Und mit diesem glitzern in den Augen, schwamm Boris auf Theo zu und umarmte ihn im Wasser, während beide kräftig mit den Beinen das Wasser traten um nicht unterzugehen. Dann, plötzlich, drückte Boris Theo von sich weg und tunkte ihn unter Wasser. Und in dieser einen Sekunde unter Wasser dachte er, vielleicht vergang doch nicht alles goldene in seinem Leben, vielleicht blieben manche Dinge doch für immer.
"Wir sollten öfter Denkpausen einlegen.", sagte Theo, als sie aus dem Pool hinauskletterten. "Denkpause.", wiederholte Boris, "Gutes Wort. Mag ich." Er zeigte mit dem Finger auf Theo und grinste aus purer Zuneigung: "Du bleibst hier. Machst Denkpause. Ich hole Handtücher."
Theo streckte sich auf den Fließen aus. Aber versinken wollte er nicht. Er wollte leben. All die Gefühle fühlen, die es da zu fühlen gab. Er wollte nachts alleine in seinem Zimmer sein und zu seinem Lieblingssong tanzen. Er wollte all die Menschen finden, die Nachts alleine zu ihren Lieblingssong tanzten. Er wollte sehen wie der Mond auf die Sonne fiel und eine Generation neuer Sterne am Himmel erschien. Da kommt doch noch was, dachte er. Das hier ist noch lange nicht das Ende.
Ein Handtuch wurde auf ihn geworfen. Er lachte und wickelte sich darin ein. Boris ließ sich neben ihm auf ein Handtuch fallen und strich ihm liebevoll die nassen Haare aus dem Gesicht. Theo musste grinsen. Manchmal weiß ich nicht, wer ich bin, dachte er, und manchmal kriege ich Kopfschmerzen davon, darüber nachzudenken wer ich bin. Aber in solchen Momenten wie diesen, kann ich einfach ich sein. Ich muss nicht wissen wer ich bin oder wer ich sein werde, um mich jetzt gut zu fühlen. Ich kann tanzen ohne zu wissen, wie das Lied heißt. Ich kann atmen ohne zu wissen, was die Chemische Formel für Luft ist. Ich kann küssen, ohne zu wissen, was wahre Liebe ist. Das macht schon alles Sinn, irgendwann, irgendwo, irgendwie. Und bis dahin werde ich tanzen, zu den Liedern, die das Leben spielt. Theo schloss die Augen und griff nach Boris' Hand, hielt sie ganz Fest und dachte an all die Menschen, die gerade allein in ihrem Zimmern tanzten. Und da erinnerte er sich. Er erinnerte sich daran, dass es sich gut anfühlen sollte, mit sich allein zu sein. Dass es sich gut anfühlen sollte, in seinem eigenem Körper zu sein. Und das es nichts zu verlieren gab, solange er tanzen konnte und solange er Sterne sehen konnte. Er drehte sich zu Boris, der auf der Seite lag, seinen Kopf auf seien Hand gestützt hatte und in der Dunkelheit lächelnd zu Theo schaute. "Erzähl mir was, Boris.", flüstert Theo. "Hm.", Boris schien kurz nachzudenken. "Ich erzähle Geschichte von Liebespaar von vor langer langer Zeit. Sie hatten verwehte Haare, einsame Augen. Viel Bier getrunken haben sie und schlechte Eltern hatten sie auch. Und dann haben sie getanzt, bisschen geschrien manchmal." Boris zuckte mit den Schultern, und ließ seinen
Blick über Theos Brust gleiten. "Getanzt und geweint haben sie. Getanzt und geweint und geschrien und geküsst und dann - Denkpause." Theo konnte Boris lächeln hören. Er konnte ihn atmen hören. Er konnte ihn leben hören, hier direkt neben sich. Und dann machte Theo etwas mutiges: Er machte eine Denkpause, zum zweiten Mal an diesem Tag.
Und Lippen, die sich lange gesucht hatten, trafen sich zum zweiten Mal an diesem Tag.Aber bei zwei Küssen, blieb es in dieser
Nacht nicht.____________
ja, ich hab endlich mal
wieder was geschrieben (:
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wind, sand und sterne // boreo
Hayran Kurguboreo fan-fic / oneshots weil ich sie lieeebe und theo und boris sich auch ganz ganz dolle lieeeeben <<3