Die Musik war laut, die Lichter tanzten und die Luft lag schwer und undurchsichtig im Raum. Schwitzende Körper waberten hin und her und ein Vibrieren lag in der Luft, vom Bass aus den Boxen der Musikanlage, gemischt mit dem Bass der springenden Herzen. Boris war irgendwo in der Menge verschwunden, seine Figur verschwommen in den schwimmenden Konturen des Raumes, während ich am Rand des Raumes saß und mehr oder weniger fasziniert die ineinander velaufenden Farben und den einen Rhythmus beobachtete, auf den der ganze Raum sich geeinigt zu haben schien, die Köpfe, die Möbel, die Wände, die Arme, alles weiche Bewegungen, alles eine Masse, ein einziges Nicken, ein einziges Wippen, auf das sich die ganze Welt geeinigt hatte - nur mir hatte niemand etwas davon erzählt. Ich ließ meinen Kopf erschöpft gegen die Wand sinken, während der kalte Schweiß an meinem Körper hinab lief. Ich hasste Partys. Ich hasste große Menschenmengen. Ich hasste mich, wie ich hier außenseitermäßig saß, in meinem eigenen Selbstmitleid treibend, während ich es nicht schaffte, mich einfach aufzuraffen, dem hier ein Ende zu bereiten und nach Hause zu gehen, sondern auf Boris wartete, Boris Boris Boris, der überhaupt erst der Grund war, weshalb ich hier war. Ich schloss die Augen und versuchte die Bilder zu vertreiben, die sich vermischten, Momentaufnahmen aus diesem Wohnzimmer, das nicht zu enden schien, und Bilder aus meinem Gedächtnis, Rauchwolken, Menschenmassen, Schreie und dann plötzliche Stille, dröhnende Stille, die niemals wieder gefüllt werden würde und mir durch die ewigen Weiten nach Vegas gefolgt ware, Bilder, die wütend aus einem Fotoalbum gezerrt wurden, immer und immer wieder, und doch stehts ihren Weg zurück fanden, wie von grausamer Zauberhand. Ich spürte wie ich wegdrifte, eintauchte, in die blaustichige Welt, der alten Fotos, die graue Landschaften zeigten und auch, wenn der ungeübte Betrachter nichts sonderbares an ihnen erkennen würde, wusste ich, der Fotograf, ganz genau, dass unter alldem grauen Staub, kein lebloses Gestein lag, sondern Körper, Stiefel und Taschen und irgendwo, die Leiche meiner Mutter. Ich spürte wie ich fiel fiel fiel, Staubwolken aufwirbelte, die sich nie wiederlegen würden, und keinen Halt fand, endloses Trubeln, durch trockene Albtraumlandschaften, endlose Schreie, die sich gegenseitig auflebten, sich gegenseitig verschluckten und in brummende, hetzende Stille verwandelten. Ich fiel und fiel, in eine Welt ohne Ecken und Kanten, bis ich plötzlich schreckhaft hochfuhr, eine Handauf meinem hatte Bein und wieder auf meinem Stuhl saß, doch ich hatte das schwindelerregende Gefühl, dass die Welt falsch herum erbaut war, das wir alle Kopfüber an der Decke hingen und ich der einzige war, der das zu bemerken schien. „Potter! Potter!", drang eine Stimme zumir, und ich blickte auf, und sah Boris' Gesicht, wie er neben mirsaß, eine Hand auf meinem Bein, welches, ohne das ich es gemerkt hatte, heftig zu zucken begonnen hatte. Ich versuchte zu verstehen was Boris sagte, doch die Musik war zu laut und so konnte ich nur auf seine Lippen starren, die Worte in einer fremden Sprache zu formen schienen. Ich ließ meinen gehetzten Blick zu seinen Augen wandern, in der Hoffnung, dort etwas zu finden, an dem ich mich festhalten konnte, doch ich sah nur mich mich mich in der Spiegelung, verschwitzt, verzweifelt, verwahrlost. Ich schüttelte den Kopf, um mein elendes Spiegelbild loszuwerden, als Boris seine eine Hand unter mein Kiefer legte, der, ohne dass ich es bemerkt hatte, zu klappern begonnen hatte. Vorsichtig fuhr er mit seinem knochigen Daumen an meinem Unterkiefer entlang, und, zart und beruhigend, spürte ich seinen Daumen irgendwann auf meinr Unterlippe, die wohl auch zitterte, bis Boris seine Hand ruckartig zurückzog und mir ein Glas in die Hand drückte. „Hier. Wodka. Is gut für dich.", sagte er und dieses Mal verstand ich seine Worte. Ich lachte trocken, nahm das Glas aber trotzdem entgegen und schaute in die klare Flüssigkeit. Schon wieder mein Spiegelbild, die Brille zu weit forne auf der Nase, die Haare zu lang, die Augen zu leblos. Eilig wollte ich das Glas an meine Lippen führen und die Flüssigkeit herunter stürzen, doch meine Hand zitterte zu sehr, so stark, dass ich Angst hatte, ich würde das Glas fallen lassen. „Hey, Potter! Langsam.", Boris' Stimme, Boris' Hand, die sich um meine schloss und meine Hand führte, das Glas an meinem Mund, seine andere Hand in meinem Nacken und während die kühle Flüssigkeit meine trocken Lippen berührte, musste ich an einen verschlafenen Herbst in New York denken, braunes Licht und beige Vorhänge und wilde Träume, in dem mich eine ungewöhnlich starke Erkältung erwischt hatte, die mich manchmal nachts aus dem Schlaf gerissen hatte, und wie meine Mutter dann an meinem Bett gesessen hatte, als einzigste kein braunes, sondern goldenes Licht verstrahlend, und wie sie mir die Hand in den gänsehautüberzogenen Nacken gelegt hatte und das Glas an meine Lippen geführt hatte. Nur, dass es damals Wasser gewesen war, klares gutes Wasser, das nach Gesundheit und Reinheit und Bergquelle geschmeckt hatte. Und jetzt war es irgendein billiger Wodka, der bittere Geschmack, an den ich mich eigentlich schon gewöhnt hatte, brannte heiß und giftig in meiner Kehle und ich konnte nur daran denken, dass die ganze Welt verkehrtherum war, und ich starrte auf die tanzenden Teenager und fragte mich, warum sie es alle nicht bemerkten, warum zum Teufel, nur ich falsch herum war. Plötzlich stand ich auf, ich hörte dumpft, wie mein Stuhl dabei zu Boden fiel und ich torkelte durch den Raum, auf die geöffnete Terrassentür zu, wobei mir jeder Schritt unglaublich schwer vorkam, als hätte jemand Gewichte an meinen Füßen befestigt. Ich stolperte gegen die Terrassentür und dann war ich draußen, endlich, endlich, Luft Luft Luft und dann - beugte ich mich vornüber und übergab mich. Ich starrte auf den weißen Sandstein zu meinen Füßen und dann auf das, was sich aus meinem Körper quälte, zuerst nur Spucke und dann der Würgreiz, der meinen ganzen Körper erschaudern ließ. Mir wurde schwarz vor Augen und für einen Moment dachte ich, jetzt werde ich ohnmächtig und falle mit meinem Gesicht voll in meine eigene Kotze, aber dann waren da die Hände auf meinem Rücken und dann unter meinen Schultern, Hände die mich nach hinten zogen, bis ich auf einer kalten Steinmauer saß, meine Schulter an seiner, mein Kopf seitlich und erschöpft gegen den seinen gelegt. „Was machst du nur für Sachen, Potter?", sagte Boris vorwurfsvoll und starrte auf mein Erbrochenes. Ich zog meine eine Augenbraue hoch und starrte ihn entgeistert an: „Was ich für Sachen mache?! Du hast mir doch den Wodka gegeben!" Er zuckte mit den Schultern und machte ein Gesicht, als hätte ich ihn aus heiterem Himmel des Mordes angeklagt. „Woher soll ich wissen, dass du so überempfindlich bist, huh?", sagte er empört, verschreckte beleidigt die Arme vor der schmächtigen Brust und rammte mir den Ellenbogen in die Seite. Mein Magen fühlte sich noch immer flau an und ich krümmte mich nach vorne. „Fuck you.", sagte ich in einem Tonfall, wie andere Leute sich Komplimente geben. Andere Leute. Ich musste lachen, bereute es aber sofort, als es in meinem Bauch unangenehm zog. Er grinste mich blöd an, rammte mir den Ellenbogen wieder in die Seite und wandte dann seinen Kopf, um auf mein Erbrochenes zu starren. „Bah, Boris, starr da doch nicht so hin.", meinte ich und trat ihm auf den Fuß. Ohne seinen Blick von der Kotze abzuwenden, streckte er seinen Arm aus, und nahm meinen Kopf in den Schwitzkasten. „Was denkst du denn, Potter? Kotzt hier genau vor die Terrasentür und niemand soll hinschauen? Wie stellst du dir das vor, hm?"
Er gab meinen Kopf frei und legte seinen eigenen schief und betrachtete mein Erbrochenes mit solcher Intensität, als hätten wir einen besonderen archäologischen Fund vor uns, einen besonders großen Oberschenkelknochen einer seltenen Dinosaurierart. Seufzend wandte ich meinen Blick ab und schlang die Arme um meinen bibbernden Körper, denn der Wind, in Verbindung mit dem kalten Schweiß auf meiner Haut, war tödlich kalt. Erschöpft legte ich meinen Kopf gegen Boris' Schulter. „Ach, Potter.", sagte er liebenswürdig, legte seinen Arm freundschaftlich um meine Schulter und zog mich einen Moment an ihn heran, nur um den Arm eine Sekunde später wieder zurück zu ziehen und sich nach vorne zu beugen. Er stütze sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab und inspizierte die Kotze mit unverholener Faszination und gleichzeitiger gerümpfter Oberlippe. „Hör sofort auf meine Kotze anzustarren!", lachte ich laut und boxte ihm gegen den Oberarm, doch er hielt meine Hand in der Bewegung fest und gab sie nicht mehr frei. „Nah, Potter, wenn du mich fragst, ist das nichtmal Kotze, das ist bloß Magensäure.", er mit einer abfällige Armbewegung. „Das macht es nicht besser.", widersprach ich lachend und versuchte meine Hand halbherzig aus Boris' Handgriff zu befreien. Boris schaute mich prüfend an: „Wann hast du zuletzt etwas gegessen?", fragte er mich. „Keine Ahnung.", ich zuckte die Schultern, „Gestern mittag?" Boris schüttelte missbilligend den Kopf: „Um alles muss ich mich kümmern, ja? Sogar gefüttert werden, muss der Herr, wie?" Er zog beide Brauen hoch, während er aufstand. „Ich werde mal den Kühlschrank plündern gehen, ja? Du bleibst hier.", sagte er und damit verschwand er wieder in der wabernden Masse. Ich wandte meinen Blick von der Masse ab, weil ich fürchtete, mir würde wieder schlecht werden, doch auf meine Kotze (oder Magensäure) zu schauen, war genauso schlimm, weshalb ich meine Ellenbogen auf meine Knie stütze, meinen Kopf hinab hängen ließ und auf den weißen, sauberen Steinboden starrte. Ich wartete darauf, dass sich meine Atmung vollständig beruhigte und die Welt wieder richtig herum gedreht wurde. Ich dachte an meinen Therapeuten, mit dem ich, als ich noch bei den Barbours gewesen war, ein paar Sitzungen gehabt hatte und der gesagt hatte, dass es durchaus sein könnte, dass mir in meiner Zukunft Momente und Situationen begegnen würden könnten, die meine Erinnerung an „diesen schrecklichen Tag im Museum" wach rütteln würden und ich mich darauf hin „schlecht fühlen und erholen würden müsse". Ich solle ihm sagen, wenn so etwas passieren würde. Tja, dachte ich, das geht jetzt doch ziemlich schlecht, was? Ich schmeckte einen bitteren Geschmack in meinem Mund, als ich daran dachte, wie mich alle in New York so widerstandslos mit meinem Vater hatten gehen lasen. Ich wartete und wartete und hatte nicht vor mich zu bewegen, bis Boris wieder an meiner Seite war, als eine Stimme mich aus meinem Dämmerzustand riss. Trocken und kratzig, vom lauten mitsingen schlechter Lieder und trotzdem schrillend und klirrend, klang die Stimme in meinen Ohren. „Ihhhhh!", ich schaute auf. Irgendein Mädchen, irgendein Gesicht, dass ich nicht zuordnen konnte.
„Hast du da etwa hingekotzt!?!?", ich hatte nicht geglaubt, dass die Stimme noch schriller hätte werden können. Sie konnte es. Ich schaute zu ihr, ohne meinen Kopf zu heben und schob meine Brille hoch, während ich überlegte, was ich antworten sollte. Ich spürte, wie mein Gesicht rot anliefe. Doch Boris sollte mich (mal wieder) retten; gerade in diesem Augenblick, sprang er von hinten über die Mauer auf der ich saß (vollkommen, angebermäßig, unglaublich unnötig und verdammt cool) und ließ sich neben mich fallen. In seiner Hand hielt er eine Pfanne mit einem Spiegelei. Oh gott. Ihm hingen die Locken ins Gesicht und nachdem er die Pfanne, auf seinen spitzen Knien balancierend, abgestellt hatte, klemmte er sich mit gerümpfter Nase die Haare hinter die Ohren und aus dem Geischt. Er starrte abschätzig auf die Plastikfingernägel, mit denen das Mädchen noch immer auf mein Erbrochenes deutete. Er schaute zu ihr auf und schirmte sich mit einer Hand die Augen ab, um sie besser sehen zu können. Dann hob er langsam die Hände und klappte nacheinander alle Finger um, bis er ihr nur noch seine beiden Mittelfinger entgegen streckte. Dabei grinste er unwiderstehlich. Sie riss empört den Mund auf, als wolle sie etwas sagen, doch in diesem Moment kamen ein paar andere Mädchen aus dem Hausinneren, die sich mit ein paar „Ihh"s und „Ohh"s an meinem Erbrochenen vorbei schoben und das Mädchen mit der schrillen Stimme mit sich nahmen.
„So.", sagte Boris selbstzufieden und schob mir die Pfanne auf die Knie und gab mir eine Gabel. „Warum Ei?", fragte ich angewiedert,„Denkst du, dass ist das beste Essen für jemanden, der gerade gekotzt hat?" Beleidigt zog er die Augenbrauen nach oben: „Das ist also der Dank, Potter? Dafür, dass ich stndenlang in der Küchegestanden habe?", er wollte mir die Pfanne wieder weg ziehen, doch ich hielt sie fest. „Schon gut.", meinte ich und lachte, als Boris beleidigt die Arme vor der Brust verkreuzte, und die Beine trotzig überschlug. „Die hatten nichts anderes. In der Küche, meine ich. Nur Eier.", er drehte den Kopf und starrte mich mit aufgerissenen Augen und verzerrtem Mund an, während er langsam den Kopf schüpttelte, „Die spinnen, glaub mir. Wer hat denn nur Eier im Kühlschrank?"
„Jaja, aber es is ganz normal, nur Brot und Zucker zuhause zu haben?", sagte ich, während mein Bauch vom Lachen weh tat. „Ey!", er trat mir gegen's Schienbein, „Ich hatte auch Bier! Und Wodka!"
„Na dann!", rief ich und warf meine Arme in einer Boris-typischen Geste gen Himmel, „Na dann!" Er lachte auch und dann saßen wir schwiegen da, während ich mein Ei aß, das gar nicht so ekelhaft war wie erwartet und schwelgten lächelnd in der gleichen Erinnerung. Der Erinnerung an unseren ersten Tag, dem ersten Tag, als ich bei Boris zuhause gewesen war. Es war ein heißer und trockener Nachmittag gewesen, nicht anders, als all die anderen und doch kann ich mich noch glasklar an jede Einzelheit erinnern. Wir hatten auf den trockenen Stufen des leeren Pools hinter Boris' Haus gesessen und Bier getrunken und alles war ziemlich trostlos und leer und verkommen gewesen und ich war erst seit kurzem in Vegas gewesen und ich konnte an nichts anderes, als an meine Mutter und an New York und das beides nicht mehr war, meine Mutter, meine ich, und das New York wohl auch irgendwie untergegangen sein musste, als sie einfach verschwunden war, und so hatte ich dagesessen und auch, wenn alles unerträglich hoffnungslos, und das Herz in meiner Brust unglaublich schmerzhaft gepocht hatte, war dieser Moment der Zweisamkeit mit diesem fremden schwarzhaarigen Jungen, doch der schönste seit langem, eine warme Schulter an meiner, das Gefühl der Gemeinsamkeit, von freiwilligem Beisammensein und wie wir angestoßen hatten, das Klirren der Gläser das einzige Geräusch weit und breit, da erschien mir doch alles nicht ganz so tragisch und ich war vielleicht sogar ein wenig euphorisch, wie ich da gesessen hatte, und gedacht hatte, vielleicht könnten wir diesen Pool wieder füllen, diesen leeren Pool hier zu meinen Füßen und den leeren Fleck irgendwo in meinem Bauch, vielleicht können wir beides irgendwie füllen, ich und dieser merkwürdige Junge, der schwarze Regenschirme nutzte, um sich vor der Sonne zu schützen und in der Würste „NeverSummer"-Tshirts trug und nichts im Haus hatte, außer Zucker und Brot und Bier. Ich und dieser merkwürdige Junge, vielleicht könnten wir das zusammen alles wieder grade biegen. Und, wie kann man es anders sgen, so oder so ähnlichwar es gekommen: der Pool lag zwar noch immer verwaist hinter Boris' Haus, aber die Leere, die zitternde vibrierende Konstante, die sich heimlich in meinem Bauch ausbreitete, hatte sich gefüllt, füllte sich noch immer, jeden Tag, jede Nacht, immer wenn er bei mir war, wurde immer immer kleiner. Ich hatte bloß Angst vor dem Tag, an dem unser Beisammensein schlagartig ändern würde, das dieser Tag zu früh kommen würde, dass die Wunde noch nicht richtig verheilen sein würde, dass er gehen würde und das Pflaster abreißen und die Wunde wieder aufreißen würde, nur dieses Mal endgütig und endlos zugleich und ich auf dem harten Wüstenboden liegen würde und das Blut würde fließen, Blut und Sand, dreckige Klumpen und alles was ich sehen würde, währen Boris' Stiefel, die sich beharlich von mir entfernen würden und alles was ich spüren würde, wäre die Hand meiner Mutter, wie sie sich lösen würde, lösen lösen lösen von meiner Schulter, brennender Sand in einer vergifteten Wunde und eine Leere, die immer größer wird. Aber noch war es nicht so weit, rief ich mir ins Gedächtnis zurück und blickte zu Boris, der mit meiner Gabel wütend auf dem Belag der Pfanne rum kratzte. Ich lachte und er schaute auf und ich konnte aus seinem Blick nicht deuten, ob er auf mich wütend war, oder auf die ganze Welt oder auf sich selbst. „Du warst so verloren Potter, damals. So verloren." Die Intensität seines Blicks, ließ mich frösteln und ich wusste nicht, was er von mir erwartete. „Ja...denke ich.", sagte ich vorsichtig. „Bist du noch immer so verloren, Potter?", fragte er traurig und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen, die Augen den Sternen gewidmet. Ich starrte hinab, schloss für einen Moment die Augen und sah mich selbst vor meinem inneren Auge, meine dünne Gestallt, meine zerzausten Haare, die Brille, die am Brillenrücken durchgebrochen war und die ich mit braunem Paketband fixiert hatte, die likanen Augenringe unter meinen Augen und meine gesamte zerfressene Erscheinung, schimmernd und flickernd, wie ein Fernsehkanal, denn man nicht ganz rein bekam, wie ein Traum, an den man sich nicht ganz erinnern kann. Das war ich also, mit meinen fünfzehn Jahren, ahnungslos darüber, wer ich gewesen war, bevor ich dieser hiergeworden war, ahnungslos darüber, wer ich jetzt war und noch tausendmal ahnungsloser darüber, wer ich morgen sein würde. Manchmal, in den Schatten von königsblauen Nächten, da überfiel mich manchmal sogar der Gedanken, ob ich vielleicht überhaupt nicht war, nur eine Fata Morgana in der brennenden Wüste, nur ein Nebencharakter in einem ungelesen Buch, höchstens in zwei Nebensätzen erwähnt. Ich öffnete die Augen und starrte zu Boris, der noch immer gen Himmel starrte, hörte seine Frage noch immer in meinen Ohren widerhallen: „Bist du immer noch so verloren?" und wie ich sodarüber nachdachte, begann ich aufeinmal schrecklich laut zu lachen, so laut und herhaft, dass ich mir sicher war, dass es all die Stillen der Welt erfüllte, so laut, dass Boris erschrocken zusammenschrak und mich entgeistert anstarrte. Doch ich lachte, denn aufeinmal war es ja ganz klar und irgendwie auch gar nicht so schlimm: „Ja!", japste ich. „Ja, jaa, ja verdammt! Ich bin genauso verloren wie damals! Verdammt, komplett verloren!" und ich starrte Boris an, der jetzt auch verstanden hatte und ebenfalls begann zu lachen, denn es brauchte keine Erklärung, um zu wissen, dass Boris mindestens genauso verloren war wie ich. Und wir lachten und das verworrene Geräusch, zweier einsamer Seelen, verlor sich im weiten Nachthimmel und wie wir in den Nachthimmel schauten, da wurde mir bewusst, dass eigentlich alles was schön war, irgendwie auch ein wenig verloren war; die Sterne, zum Beispiel, einsam leuchteten sie da am Himmelszelt, Ewigkeiten von den nächsten Sternen entfernt. Und ich dachte, dass wir uns gerade deshalb so zu den Sternen hingezogen fühlten, nämlich weil sie genauso einsam und verloren waren wie wir und weil sie umgeben waren, von lauter andern ihrer Art, sowie wir umgeben waren von unzähligen Mitmenschen, die genauso litten und lachten undweinten und sorgten, wie wir selbst, doch wie die sterne waren wir zu blind, um die anderen zu erkennen. Und so war die tragische Schönheit der Sterne, doch genau genommen auch unsere, nämlich die Kunst, bei all der Einsamkeit in der Welt zu denken, man selbst wäre der aller Einsamste.
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wind, sand und sterne // boreo
Fanfictionboreo fan-fic / oneshots weil ich sie lieeebe und theo und boris sich auch ganz ganz dolle lieeeeben <<3