Zuckerwattenträume

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pt. 1

Ich bezweifle, dass die Beziehung, die Xandra und mein Dad führten, besonders glücklich war. Sie schien nur aus schlechtem Essen, Alkohol und Sex zu bestehen.
Ich sah keine Liebe zwischen den beiden und meistens stritten sie sich. Ich fragte mich dann oft, wie sie es so lange miteinander aushalten konnten. Ich schwor mir, niemals so lange mit dem falschen Partner zusammen zu leben. Ich hoffte ich hätte dann den Mut, dass zu beenden, was uns beide nicht glücklich machte.

Jedenfalls stritten sich mein Dad und Xandra oft und da Xandra sich immer die falschen Momente aussuchte (nämlich wenn er betrunken war), um etwas Ernstes mit ihm zu besprechen, endeten die Streite oft mit lautem Geschrei, zerbrochenen Flaschen und vielen Tränen.
Doch manchmal hatten sie auch gute Tage. Meistens hatte ich eher das Gefühl sie würden so neben einander her leben, nicht miteinander, bloß Seite an Seite. Aber ab und zu hatten sie auch gute Tage und dann konnte es schon mal passieren, dass sie ein wenig übertrieben.

Einmal, zum Beispiel, war ein einziger Tag vergangen an dem sie sich nicht gestritten hatten und darauf hin verkündete Dad feierlich, dass wie morgen alle zusammen zu IKEA fahren würden. Das Haus war doch ziemlich kahl und Xandra sollte den Schminktisch bekommen, denn sie wollte.
Wir saßen gerade beim Abendessen, Xandra hatte auf dem Rückweg von ihrer Arbeit Essen geholt, als Dad dies verkündete. Xandra schaute ihn mit großen geschminkten Augen an und sprang dann begeistert auf, einmal rum um den Tisch um Dad einen Kuss auf den Mund zu drücken. Boris saß neben mir und unterbrach sein Essen. Ich schaute zu ihm rüber, doch er schaute bloß zu Xandra und Dad und starrte sie an. Dann lehnte er sich langsam zu mir rüber, allerdings ohne den Blick von ihnen abzuwenden.
„Ich hab sie noch nie richtig küssen gesehen, Potter. Ich dachte immer, sie wartet auf mich." Er schaute noch ein paar Sekunden zu Xandra, die ihre Zunge in den Hals meines Dads steckte, dann zuckte er mit den Schultern und aß weiter. Ich folgte seinem Beispiel.
Irgendwann kam Xandra dann wieder auf ihren Platz zurück gehüpft (wirklich gehüpft) und Dad räusperte sich. „Also, was sagst du, Theo? Morgen IKEA? Richtiger Familienausflug?" Ich wusste genau wie toll er sich fühlte. Ich wusste dass er dachte, er wäre der beste Vater. Ich wusste er dachte, er wäre, der beste Mann. Ich wusste er dachte, er wäre furchtbar großzügig. Er war nichts davon.
Ich schaute zu Boris rüber und er fing meinen Blick auf und er rollte mit den Augen, sodass nur ich es sehen konnte.
„Boris ist natürlich mit eingeladen.", fügte mein Vater hinzu.
Ich zog die Augenbrauen hoch. Jetzt sah die Sache schon ganz anders aus. Boris schaute begeistert. „Wirklich, Mr. Decker?? Das wäre großartig, vielen vielen Dank!" Boris hatte ein irres Grinsen auf dem Mund und als mein Vater meinte, „Klar, Boris. Und nenn mich doch bitte Larry.", hatte ich kurz Angst, dass Boris ebenfalls aufspringen und meinen Vater abknutschen würde. Doch dies tat er (zum Glück) nicht, sondern stupste mich bloß mit dem Ellenbogen an. Es war besiegelte Sache.

Und so kam es, dass wir am nächsten Tag alle gemeinsam im Auto saßen. Die Sonne strahlte heiß auf uns hinab, die Klimaanlage war nicht die beste und das Leder der Autositze klebte an unseren Beinen. Dad regte sich über die anderen Autofahrer auf (die anderen hatten immer Schuld) und kloppfte wütend aufs Lenkrad und Xandra hatte all ihre Schminksachen mitgenommen, um vor Ort überprüfen zu können, ob auch alle Sachen in die Schubladen passten. Sie saß neben Dad und hatte den Spiegel herrunter geklappt, sodass sie sich noch mehr Lippenstift auftragen konnte und jedes Mal, wenn Dad das Lenkrad wütend herumriss oder auf die Bremse trat, vermalte sie sich. Noch schlimmer war es aber mit der Wimperntusche, denn bei einer Vollbremsung, stach sie sich damit mitten ins Auge.
„Ahhh, Larry, kannst du nicht mal aufpassen!"
„Pass doch selber auf!"
Ich ging schon fast davon aus, dass wir wieder heimkehren würden und ehrlich gesagt hatte ich nichts dagegen. Ich fand IKEA jetzt auch nicht so spannend. Ich war früher ab und zu hier gewesen, um mit meiner Mutter nach Möbeln zu suchen und manchmal auch nur um die eingerichteten Zimmer anzuschauen, IKEA-Stifte zu klauen und Teelichter zu kaufen. Ich muss zugeben, dass war ganz lustig, aber ich konnte gut und gerne darauf verzichten mit einer weinerlichen Xandra und einem genervten Dad durch IKEA zu trotten und nach einem Schminktisch zu suchen.
Doch Boris neben mir grinste und grinste und grinste und sein Lächeln war so breit, so groß, dass es langsam aber sicher das ganze Auto einzunehmen schien, Boris schien so viel Lächeln parat zu haben, dass er sein Lächeln sogar noch mit uns teilen konnte und es von seinem Gesicht auf unsere abfärbte.

wind, sand und sterne // boreo Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt