Kapitel 6

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„Glaubst du wirklich, dass er dich betrügt?", schrie meine beste Freundin schon beinahe über die Musik hinweg. Dabei strich sie sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und die kleinen silbernen Armreifen an ihrem Handgelenk glitzerten unter den Diskolichtern.

Wir saßen mittlerweile in einer Sitzecke unseres Stammclubs, während sich die anderen Menschen auf der Tanzfläche aneinander rieben. Ich konnte noch nie wirklich nachvollziehen, wie man sich so sehr an schwitzende und alkoholisierte Körper reiben und dabei Spaß haben konnte. Natürlich war ich selbst ab und zu auch mal auf der Tanzfläche, allerdings hielt sich das größtenteils in Grenzen. Meine beste Freundin dagegen war vollkommen anders. Pia liebte das Nachtleben und schien damit mittlerweile verschmolzen zu sein. Auch wenn sie oft nicht so wirkte, stylte sie sich oft auch unter der Woche und machte die dunklen Straßen unsicher.

„Ich weiß es einfach nicht", schrie ich beinahe schon zurück und versuchte die Musik so gut es ging zu übertönen, „er verhält sich schon seit Wochen so komisch. Ich kenne ihn gar nicht so." Die Blondine verdrehte die Augen, ehe sie einen großen Schluck ihres Cocktails nahm. „Also ich bin zwar kein großer Fan von ihm, aber ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass er sowas abziehen würde", versuchte sie mich zu beruhigen. In ihrem Blick lag Sorge, aber auch Mitgefühl. Vor allem sie wusste, wie es war betrogen zu werden.

Vor circa einem Jahr war sie an einen Typen geraten, dem man normalerweise lieber aus dem Weg ging. Nicolai war um einiges älter als Pia und hatte sie bei einem Konzert kennengelernt. Anfangs hatte ich nur Bilder von ihm zu Gesicht bekommen auf denen er mit Pia unterwegs war. Er war groß und athletisch gebaut, dabei konnte man ihm klar ansehen, dass er regelmäßig Sport trieb. Mit der Zeit hatte ich ihn dann auch persönlich kennengelernt und musste immer mehr zugeben, dass hinter seinem Macho Auftreten auch ein wirklich tiefgründiger und loyaler Mann steckte. Zumindest dachte ich das.

Pia und Nicolais Beziehung glich anfangs einem Roman. Da wäre jede Frau auf meine beste Freundin eifersüchtig gewesen. Doch je länger die beiden sich als Paar zeigten, desto öfter fiel mir auf wie unglücklich Pia war. Egal ob auf Partys oder wenn wir Zeit zusammen verbrachten, sie wurde immer stiller und nachdenklicher. Bis sie schließlich irgendwann bei mir aufgetaucht war, mitten in der Nacht.

Ich konnte mich noch gut an ihr tränenüberströmtes Gesicht erinnern. Und an ihre zitternde Stimme, mit der sie mir erzählte dass sie Nicolai mit einer anderen Frau gesehen hatte. Anfangs hatte sie geglaubt, dass er mit einer Freundin oder Kollegin seine Zeit verbrachte. Doch dem war nicht so. Er hatte sie betrogen, und das über mehrere Wochen. Er hatte versucht Pia bei mir zu erreichen, bis er schließlich vor meiner Wohnung auftauchte. Und schließlich hatte er zugegeben, dass er hinter ihrem Rücken eine andere Frau kennengelernt hatte, für die er mehr empfand.

Mittlerweile verstanden Pia und Nicolai sich wieder ganz gut, auch wenn die Beziehung in die Brüche gegangen war. Natürlich waren sie nicht die besten Freunde, doch sie konnten sich miteinander unterhalten. Vor allem nach einem sehr langen und hitzigen Gespräch, welches sie vor einigen Tagen geführt hatten. Und dennoch wusste Pia immer, wenn einer etwas zu verbergen hatte; zumindest wenn es eine andere Frau war.

„Ich weiß mittlerweile selber nicht mehr, was ich über ihn denken sollte", seufzend rührte ich in meinem Getränk, welches ziemlich abenteuerlich aussah. Als der Kellner mir dieses radioaktiv aussehende Glas vor die Nase gestellt hätte, hatte ich meine beste Freundin nur mit einem zweifelnden Blick bedacht.
„Das wird sich alles schon wieder richten", die Blondine mir gegenüber streckte mir ihr Glas entgegen und so stießen wir an; worauf wusste ich selber nicht, aber ich fühlte mich im Augenblick einfach frei.

„Und jetzt gehen wir tanzen", nachdem wir beide unsere Getränke fast auf ex geleert hatten, griff sie nach meiner Hand und zog mich auf die Tanzfläche. Zwar sträubte ich mich innerlich gegen die ganze Menschenmasse und die beklemmende Enge, doch der Alkohol in meinem Blut schaltete den vernünftigen Teil meines Gehirns auf stumm.
So taumelte ich kichernd meiner Freundin hinterher und versuchte dabei nicht über meine eigenen Füße zu stolpern.

Auf der Tanzfläche angekommen begann Pia sich sogleich zu Takt zu bewegen. Dabei reckte sie ihre Arme in die Luft, nur um sie schließlich wieder runter zu nehmen. Mit ihren Ellenbogen verschaffte sie sich daraufhin ein wenig Platz.
Mit einem strahlenden Lächeln deutete sie auf mich und tanzte dann weiter. Lachend sah ich mich um, ehe auch ich anfing zu tanzen. Dabei war mir egal wer mich sehen konnte oder welche Sorgen ich noch vor wenigen Stunden hatte. Und dabei half der Alkohol mehr als ich zugeben konnte.
Die Leute um mich rum wiegten sich ebenfalls zu Musik, wobei man nicht wirklich wiegen sagen konnte. Es lief ein typischer Rap Song, den mir Pia irgendwann auch gezeigt hatte. Dabei hatte sie mir ihre gesamte Playlist gezeigt, die fast nur solche Lieder enthielt.

„Das ist Jim Beam & Voddi", schrie jemand neben mir und begann sogleich den Text von sich zu geben. Ich konnte dagegen nur lachend den Kopf schütteln, ehe mich meine beste Freundin an sich zog und wir hüpfend und lachend versuchten zu tanzen. Dabei wäre sinnlos zum Beat hüpfen eine passendere Beschreibung gewesen.
Den Text des Liedes konnte ich über den dröhnenden Bass fast gar nicht wirklich verstehen, doch die Wörter die ich wahrnahm hätte ich am liebsten sofort wieder vergessen. Absolut nicht meine Musik beziehungsweise ein Lied, dass ich mir niemals selbst angehört hätte; außer mich zwang jemand dazu.

Pia warf ihre Haare mit voller Leidenschaft durch Gegend und bewegte ihre Hüften zum Takt. Dabei konnte man ihr den Spaß ansehen, und mir ging es nicht weniger so. Die Menge grölte und riss mich mit sich; verlieh mir ein Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit. Und beides war mir gerade recht.
Ich schmunzelte über meine beste Freundin ehe ich meinen Blick durch den Club wandern ließ.

Alle anderen schienen Spaß zu haben, denn jeder lachte, schrie oder grölte zum Lied, was mich um ehrlich zu sein auch wenig wunderte. Ich wusste von Pia, dass das Lied unter vielen bekannt war und auch gefeiert wurde. Nur ich schien wie immer schwer von Begriff zu sein.
Die meisten hier im Club waren aufgetakelt und flirteten was das Zeug hielt. Doch ich erblickte auch den ein oder anderen, der sich gelangweilt auf einen Barhocker fallen ließ oder genervt am Rande der Tanzfläche stand und kritisch die Mengen musterte; genauso wie ich es vor einiger Zeit getan hatte. Doch mittlerweile verlieh mir der Alkohol ein beflügelndes Gefühl und ich konnte abschalten.

Während mein Blick weiter durch den Raum streifte und dabei an einigen Menschengruppen hängen blieb, konnte ich im Augenwinkel die Tür ausmachen durch die alle Besucher des Clubs mindestens zweimal gehen mussten. Gerade wurde sie aufgestoßen und gab den Blick auf eine Gruppe Männer frei, die sich lachend und grölend hineinbegaben. Einer von ihnen stich dabei heraus.
Er trug eine Jogginghose und einen ziemlich bunten Pullover. Auch sein Schmuck hob sich deutlich ab, denn alles war gold und strahlte unter den Diskolichtern. Er wirkte einschüchternd und definitiv nicht wie jemand, mit dem man sich anlegen sollte.

Ich beobachtete wie sich die Gruppe weiter in den Club schob und dabei ein deutliches Interesse der anderen Besuchern auf sich zog. Viele warfen deutliche Blicke in ihre Richtung bevor sie sich wieder der Musik hingaben. Und so auch ich, denn meine beste Freundin ergriff wieder meine Hand. Im Hintergrund vernahm ich den Song immer deutlicher, während die Gruppe von Männern nun mitten im Raum stand und sich umsah.

Zwei Meter Mann kommt in 'n Club rein, Autorität so wie Suge Knight", dröhnte die tiefe Stimme des Rappers aus den Boxen, „wenn Frau'n erstmal sehen wie mein Schmuck scheint."
Der Song rückte augenblicklich in den Hintergrund, als mein Blick wieder zu den Männern glitt und dabei von einem von ihnen erwidert wurde. Der autoritär und einschüchternde Typ, welcher meinen Blick schon vorhin auf sich gezogen hatte, sah in meine Richtung. Dabei schien es so als würden seine blauen Augen tief in meine sehen; auch wenn einige Meter zwischen uns lagen. Und plötzlich stand ich wie angewurzelt auf der Tanzfläche, denn er begann sich auf einmal von der Gruppe zu lösen und in meine Richtung zu steuern.

Kingdom.	|| Bonez MCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt