"...es war auf jeden Fall ein echtes Erlebnis!", beendete Jessica Powers eine absolut haarsträubende Geschichte, deren Wahrheitsgehalt Natasha doch sehr bezweifelte. Aber so waren Studenten des Creative Writing, man war nie sicher, wann sie eine ihrer Geschichten spannen. Das wusste Natasha, denn sie gehörte selbst dazu.
"Jaja, und wenn es so nicht passiert ist, dann ist es zumindest gut ausgedacht.", kommentierte Andrzej Baranek das ganze von links. Natasha grinste, dem konnte sie so nur zustimmen.
Die drei Studenten kamen gerade aus dem Hörsaal, wo sie soeben eine Vorlesung zur "Einführung ins Wissenschaftliche Schreiben" gehört hatten. Jetzt waren sie auf dem Weg zur Mensa, wo sie zu Mittag essen wollten.
"Das ist nicht ausgedacht, ich schwöre, es ist so passiert!", protestierte Jessica, aber Andy lachte nur. "Bestimmt hast du nur einfach die Hälfte der Geschichte nicht verstanden!", ergänzte sie neckend. Kurz hielt sie inne und ging einige Schritte rückwärts, um einen Blick aufs schwarze Brett zu werfen.
"Ex-cuse me?", fragte Andy dramatisch. "Sagst du etwa etwas gegen Ausländer? Natasha, hast du gehört, was sie gegen Ausländer gesagt hat?"
"Ich habe nichts gegen Ausländer." Jessica hatte offenbar nichts Interessantes gefunden und drehte sich wieder in Laufrichtung. "Nur gegen solche, die meine Geschichten nicht verstehen."
"Es kann ja nicht jeder so gut englisch sprechen, wie Natasha.", seufzte Andy übertrieben. Jessica richtete ihre riesige Tasche und umrundete Natasha, bevor sie sich bei ihm unterhakte.
"Komm schon, vergib mir.", bat sie mit großen Augen.
"Außerdem ist der Vergleich unfair.", gab jetzt Natasha selbst auch ihren Senf dazu. "Ich bin schon in England zur Schule gegangen, während du deine ganze Schule und sogar deinen Bachelor in Polen gemacht hast."
Sie erreichten die Vordertür des Gebäudes. Jetzt mussten sie einmal schräg über die Straße. Andy seufzte.
"Wie kann es sein, dass es in London immer regnet?", fragte er resigniert und zog seine Kapuze auf. Jessica zuckte mit den Schultern.
"Du hast dir London ausgesucht.", meinte sie und zog einen Regenschirm aus ihrer Tasche. "Da musst du das Wetter wohl in Kauf nehmen."
"In Schottland regnet es viel mehr.", merkte Natasha an und trat ohne weitere Vorkehrungen auf die Straße. Hogwarts hatte sie was das anging echt abgehärtet, denn Regencapes hatten nicht zu Schuluniform gehört - warum eigentlich nicht? Es war dort in ihrer Erinnerung eigentlich immer nass gewesen.
"Ja, in Schottland, wo du auf ein mysteriöses Internat gegangen bist, was keine Internetseite hat.", witzelte Jessica, während sie eilig die Straße überquerten. "Ich glaube ja immer noch, dass du eigentlich ein Vampir bist."
"Quatsch, sie ist viel zu dunkel für einen Vampir.", protestierte Andy laut, um gegen das Prasseln des Regens gehört zu werden. "Vielleicht ein Werwolf."
"Rain ist der Vampir von den beiden.", stimmte Jessica ihm zu. Natasha schmunzelte.
"Ja klar, als ob ein Vampir und ein Werwolf eine Beziehung haben könnten.", meinte sie. Sie hatte lange gebraucht, bis sie solche Witze machen konnte, schließlich war sie sich im Gegensatz zu ihren Freunden bewusst, dass es beides gab - und dass sie keineswegs so romantisch waren, wie die Muggel sie gern verklärten.
"Oh, ich rieche eine Kurzgeschichte.", freute sich Jessica wie ein kleines Kind. "Hey, wir sollten alle drei eine schreiben und sie dann austauschen!", schlug sie begeistert vor.
Endlich erreichten sie das gegenüberliegende Gebäude und Andy hielt den beiden Mädchen die Tür auf. Es faszinierte Natasha immer wieder, wie automatisch ihr polnischer Freund diese Art Gesten machte. Offenbar wurde darauf in Polen noch immer viel Wert gelegt, ganz im Gegensatz zu Hogwarts, wo ihr ein Junge vermutlich mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Tür vor der Nase zugeschlagen hätte, als sie für sie aufzuhalten - was natürlich nie vorgekommen war. Aber sie sich dennoch eher hätte vorstellen können, als die Alternative.
"Ihr kennt mich doch mittlerweile.", erinnerte sie Jessica. "Ich verweigere es, Fantasy zu schreiben, wenn es irgendwie geht."
Ihre Freundin verdrehte die Augen.
"Stimmt ja, du bist ja langweilig.", meinte sie, aber sie grinste dabei.
"Wir können es ja zu zweit machen.", schlug Andy vor. Jessicas Grinsen wurde zu einem überraschten Lächeln und sie nickte.
Mittlerweile hatten sie die Mensa erreicht und sie blickten von oben über den Saal. Natasha sah sich suchend um und schloss kurz die Augen. Rain hatte ihr doch mit Sicherheit eine magische Pinnadel hinterlassen. Und tatsächlich. Sie grinste triumphierend.
"Kommt, Leute!", winkte sie den anderen beiden, die noch immer über die Qualität von Vampir-Werwolf-Romanzen diskutierten. Natasha musste sich davon abhalten, sich zu schütteln und konzentrierte sich stattdessen auf die Pinnadel, die sie in den Westflügel der Mensa führte.
"Wie kommt es, dass du immer ganz genau weißt, wo in diesem riesigen Raum deine Freundin ist?", fragte Jessica, mehr sich selbst, als wirklich Natasha. "Das muss so ein furchtbar romantisches Seelenverwandtschaftsgedöns sein."
"Mutige Worte von jemandem, der freiberuflich Fanfiktions schreibt.", neckte Natasha sie und stieg die Treppe zur Essensausgabe hinunter.
"Vielleicht sprechen sie es auch einfach ab.", schlug Andy vor. Jessica winkte ab und grinste.
"Die beiden sind einfach magisch verbunden.", witzelte sie und stellte sich mit einem Tablett in die Warteschlange an der Essensausgabe. Natasha hob unbeeindruckt die Augenbrauen. Auch bei diesen Witzen war sie anfangs immer fast zusammengezuckt, aus Angst, versehentlich das Geheimhaltungsstatut zu brechen. Aber mittlerweile wusste sie: Muggel waren einfach blind. Ihnen fiel nicht einmal auf, dass Natasha gerade einen leichten Trocknungszauber über sich gelegt hatte. Vermutlich könnte sie ihnen ins Gesicht sagen, eine Hexe zu sein und sie würden es nicht glauben.
Jetzt hatten sie ihr Essen und gingen in den Bereich mit den Tischen zurück, wo sie auch endlich die anderen sehen konnten. Rain saß an einem Tisch mit einem jungen Mann und winkte, um die Angekommenen zu begrüßen. Natasha unterdrückte ein Quietschen, als sie erkannte, wer da bei ihrer Freundin war.
"Bram!", freute sie sich und fiel ihm um den Hals, sobald sie ihr Tablett abgestellt hatte. Er grinste breit und hob sie ein Stück in die Luft. "Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist!"
"Ja, weil ich es dir verschwiegen habe um genau dieses Gesicht von dir zu sehen.", meinte Rain und ließ sich von ihrer Freundin einen schnellen Begrüßungskuss auf die Lippen drücken. "Dein Essen wird kalt, Liebling.", erklärte sie mit einem zuckersüßen Lächeln. Natasha schlug ihr gegen die Schulter und setzte sich aber trotzdem.
"Wie war dein Auslandssemester?", fragte sie Bram. Er begann zu erzählen. Die anderen mischten sich mit ins Gespräch und irgendwann entfernte es sich von Brams Auslandssemester und wanderte zu anderen Themen. Natasha lehnte sich entspannt zurück und genoss die Atmosphäre, die nach vier Jahren Studium so herrlich vertraut war. Ja, sie war ganz genau dort, wo sie hingehörte.
So, ein Einblick in Rains und Natashas normales Leben. Die Handlung geht dann los, wenn wir ihnen das nächste Mal begegnen, was aber nicht übermorgen ist. Denn zuerst schauen wir mal in Handlungsstrang #2 rein...aber ich verrate euch nicht, welcher das ist. Sie sind ja im Klappentext alle vorgestellt. Da könnt ihr ja mal überlegen: welchen erwartet ihr denn am sehnsüchtigsten?
Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten!
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Rain III - Snapshots
Fiksi PenggemarSchnappschüsse aus dem Jahr 2023 des Rain-Universums: Leo Granger ist in Hogwarts und arbeitet mit seinen Freunden an der ultimativen Lösung, um Häuserdifferenzen ein für allemal zu beseitigen. Blöd nur, dass niemand auf ein paar Zweitklässler hö...