Kapitel 8

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Vor lauter Schmerz zog ich scharf die Luft ein. Vor zwei Jahren hätte ich mich fast freiwillig tätowieren lassen, machte jedoch im letzten Moment doch noch einen Rückzieher. Mir gefielen Tattoos an anderen Menschen immer recht gut, aber ich hatte einfach zu viel Angst davor, es irgendwann zu bereuen.

Jetzt blieb mir allerdings keine Wahl mehr und ich musste das Prozedere über mich ergehen lassen. Der Schmerz war nicht unerträglich, aber einige Stellen ließen mir dennoch Tränen in die Augen schießen. Ich konnte nicht erkennen, was mir da für die Ewigkeit in die Haut gemeißelt wurde, aber das war gerade auch nicht meine Priorität. Der Versuch, mich durch festes Zähne zusammenbeißen abzulenken, gelang mir nur bedingt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Jack die Nadeln immer wieder in meine Haut jagte, nahm er endlich etwas Abstand, um sein scheinbar fertiges 'Kunstwerk' zu begutachten. Dabei war ich mir nicht mal sicher, ob er durch diese Maske überhaupt so gut sehen konnte, obwohl seine Augen ja eigentlich nicht bedeckt waren.

"Nummer Eins", nuschelte er, mehr für sich selbst als für Sonstwen, in seine Maske hinein. Es sollte also nicht bei einem bleiben. Da begann er auch schon, sich mit der Maschine meinem rechten Oberschenkel zu widmen. Die Schmerzen hier empfand ich zwar als nicht ganz so schlimm, aber weit entfernt von angenehm war es trotzdem noch. Dafür hatte ich das Gefühl, dass er an dieser Stelle sehr viel länger beschäftigt war.

Als sei dies nicht genug gewesen, wechselte er irgendwann auch noch zu meinem anderen Oberschenkel. Auch hier dauerte es, in meinen Augen, eine halbe schmerzhafte Ewigkeit, bis er fertig wurde.

Endlich ging Jack einige Schritte zurück und schaltete seine Maschine aus. Jorel hingegen kam nun mit seiner beschissenen Kamera in der Hand näher, um wohl gute Nahaufnahmen von der sogenannten Forderung zu erhalten. Dann beendete er diese schräge Szene mit den Worten "Alles im Kasten."

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Lange blickte ich in den großen Schrankspiegel. "I'm a fucking slut? Ernsthaft?!", schnaubte ich Jack, der mich nach dieser seltsamen Aktion wieder in sein Zimmer brachte, genervt an. Er ließ mich dieses hässliche Werk auf meiner Haut weiter betrachten. "Ja, wäre auch nicht meine erste Tattoowahl gewesen." Wollte er jetzt etwa lustig sein?!

"Für so einen Bullshit hat jemand ernsthaft so viel Geld gezahlt? Nur damit ich jetzt damit rumlaufen muss?"
"Du wärst erstaunt, für was die Leute sonst so ihr Geld rausschmeißen. Vor Allem im Darknet. Da tun sich Abgründe auf, an die du nicht mal ansatzweise denken wollen würdest."

"Ihr entführt, quält und tötet unschuldige Menschen, filmt das auch noch und verdient euer Geld damit. Ich denke, mehr Abgrund geht nicht."
"Bist du wirklich so naiv?" Jacks Miene war ernst, in seiner Stimme jedoch lag eine Mischung aus Belustigung und Verachtung.

"Was wir hier machen, ist in dieser Szene vergleichbar mit einem Spaziergang durch einen verfickten Barfußpfad, Ava. Ich kann dir gerne Videos zeigen, in denen Menschen bei lebendigem Leib Stück für Stück zersägt werden. Videos, die sich an Snuff-Filmen wie 'A serbian film' oder 'the human centipade' orientieren. Videos, in denen Säuglinge wie bei einer Kissenschlacht gegeneinander geschlagen werden, bis sie Tod sind. Die Liste der Abartigkeiten hat kein Ende und du würdest dich verdammt nochmal wundern, wie viele Menschen ihr Geld in sowas stecken!"

Das hatte gesessen. Ich konnte nichts gegen meine Gedanken ausrichten, die sich nun etliche brutale Szenen ausmalten, welche ich gerade um die Ohren gehauen bekam. Schlagartig wurde mir übel und ich bekam kein Wort mehr heraus.

"Das ist die Realität. Ich kann es nicht ändern, ich hänge selbst mit drin. Aber unser Boss ist aus dieser Perspektive betrachtet noch relativ human. Er ist einer der wenigen Anbieter, der Pädophilie, Nekrophilie, Zoophilie und co. ablehnt und somit nicht in sein Sortiment aufnehmen wird."

"Hätte es dich davon abgehalten für ihn zu arbeiten, wäre das nicht so?" Es würde zwar nichts an meinem Hass ihm gegenüber ändern, aber es würde mich dennoch ein wenig beruhigen.

"Du willst wissen, ob ich kleine Kinder, Leichen oder Tiere für Geld missbraucht hätte?" Es klang fast so, als wäre er erschüttert darüber, dass mir die Antwort hierzu nicht klar war. Ich nickte.

"Nein, keiner von uns. Das waren von Anfang an Grenzen, die wir niemals überschreiten würden." Jetzt konnte ich mir mein Lachen nicht mehr verkneifen. "Grenzen? Ihr habt euch verdammte Grenzen gesetzt?! IHR? Aber töten ist noch voll im Rahmen oder was?"

Es war zwar wirklich nicht lustig, aber ich kam aus meinem Gelächter gar nicht mehr raus. Es war einfach viel zu absurd, was diese Monster sich unter Moral vorstellten.

"Töten gehört eigentlich auch nicht in unseren Aktionsbereich, aber es freut mich, dass es dich so amüsiert", gab er mit deutlich aufgesetzter Freundlichkeit zurück.

"Achso, dann war Veronica also eine Ausnahme?" Den bissigen Unterton konnte ich mir nicht verkneifen. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele Menschen hier schon ihr Leben lassen mussten. Beinahe hätte ich miterlebt, wie Shannon von George umgebracht wurde. Was also wollte Jack mir hier erzählen?

"Ehrlich gesagt, ja. Nicht die Einzige, aber eine von Wenigen. Unser Fokus liegt eher darauf, potentielle Kunden mit Missbrauchsvideos an Mädels zwischen 18 und 30 anzulocken, um diese dann für die Aktiv-Account Nummer zu locken. Bei den Forderungen sind wir relativ offen für alles, was uns nicht selbst komplett verstören würde. Haben wir alle Forderungen durch, verkaufen wir unsere Opfer im Normalfall weiter, Stichwort Menschenhandel. Eine weitere Geldquelle. Töten gehört also normalerweise wirklich nicht dazu."

Ich staunte über seine Offenheit in Bezug auf seine illegalen Machenschaften. Sollten solche Menschen nicht besser darüber schweigen, was sie tun? Das war wohl wieder ein klares Zeichen dafür, dass überhaupt nicht im Raum stand, dass ich irgendwann wieder auf freiem Fuß sein würde.

Mir würde das gleiche Schicksal blühen wie allen anderen, weiterverkauft oder getötet zu werden. Bloß nicht heulen. Besser, ich machte mir ein klareres Bild von den Monstern, die meine Zukunft besiegelten.

"Wieso kam es dann doch dazu, dass ihr getötet habt?" Die Antwort auf diese Frage könnte eventuell mein eigenes Leben retten. Vielleicht könnte sie mir aber auch helfen, mein Leben zu beenden, bevor es noch qualvoller werden würde.

"Ich kann dir was zu Veronica erzählen, wenn es dich so brennend interessiert." Ich nickte vorsichtig.
"Sie war irgendwie echt clever und versuchte mich zu manipulieren. Sie tat so, als hätte sie keine Angst. Im Gegenteil, sie spielte mir vor, unser Geschäft zu verstehen und so einen Scheiß. Deshalb würde es ihr nichts ausmachen, was ich ihr so antun wollte. Veronica half mir sogar, die Videoideen auszubauen und besser zu gestalten."

Jack blickte durch mich durch, als er das erzählte. Dann machte er eine kurze Pause und schmunzelte.

"Sorry, es klingt so bescheuert, wenn ich es erzähle. Aber ich hatte tatsächlich irgendwie das Gefühl, dass wir.. naja.. ein eingespieltes Team wären." Er verdrehte die Augen. Mir blieb in dem Moment nicht anderes, als eine Augenbraue nach oben zu ziehen, weil sich das gerade wirklich schräg anhörte.

"Tja das nutzte sie um mir weis machen zu wollen, dass Paolo und George versuchten, mich auszuschalten. Das hätte sie angeblich mit eigenen Ohren gehört und wollte mich natürlich nur davor schützen." Jack erzählte diesen Teil, als wäre es ein spannender Krimi, den er gerade erst gelesen hätte.

"Und was ist dann passiert?" Damit hatte er mein Interesse tatsächlich noch weiter geweckt.
"Hab ihr das Genick gebrochen. Sie war halt doch ne Fotze, das wurde mir genau in diesem Moment klar. Wer versucht, mich und meine Jungs gegeneinander aufzuhetzen, der muss mit einer Kurzschlussreaktion meinerseits rechnen. Ende der Geschichte."

"Kurzschlussreaktion also. Dann hast du nicht vor, mich zu töten?" Was anderes fiel mir in diesem Augenblick nicht mehr ein.
"Liegt ganz bei dir Sonnenschein", antwortete er, begleitet von einem Augenzwinkern.

"Wenn du mich noch ein bisschen weniger mit deinem Rumgeheule nerven würdest, dann würdest du mir nicht mal auf den Sack gehen. Ist doch ne gute Basis, oder?" Jetzt lachte er. Mit jedem Gespräch, das wir führten, konnte ich ihn weniger einschätzen, da vieles für mich einfach nicht zusammenpasste. Er war zu 100% ein verdammter Psychopath und ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich mich verhalten sollte.



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