Kapitel 29

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"Er ist... er ist tot...", stammelte ich vor mich hin, mit der Leiche direkt vor meinen Füßen liegend.
"Ja, ziemlich tot", keuchte Jack erleichtert. Der Kampf schien ihm viel Kraft geraubt zu haben. 

"W-wir haben ihn getötet. Oh Gott Jack, wir haben ihn einfach getötet!", stellte ich erst jetzt so richtig fest. 

"Wir? Ava, ich habe ihm gerade in den Kopf geschossen. Nicht du."

"Nein, nein, nein! Wäre ich nicht gewesen, würde er noch leben! Ich bin schuld daran, dass er tot ist, Jack!" Schlagartig wurde mir richtig übel und ich konnte nicht anders, als mich direkt auf den Boden neben mir zu übergeben. 

"Fuck, beruhig dich. Dieses Blut klebt definitiv an meinen Händen. Wäre er jetzt nicht tot, dann hätte er zuerst mich und anschließend auch dich umgebracht. Wir hatten verdammt nochmal keine Wahl... ICH hatte verdammt nochmal keine Wahl!", versuchte er mich zu beruhigen, während er sich langsam von Paolos Leiche erhob und auf mich zukam. 

Ich fing an, bitterlich zu weinen. Wenn ich nicht sowieso schon völlig gestört gewesen bin, dann war spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem man mich hätte einweisen können. 

"Wieso musstest du das nur tun", schluchzte ich. "Wieso musstest du Leah das antun?! Ich dachte, du hättest wirklich darauf verzichtet, nachdem du mich benutzt hast! Wieso hast du das nur getan?!", weinte ich, während ich versuchte mit einer Faust auf seine Brust einzuschlagen. 

Statt sich zu wehren, hielt Jack meinen Arm, noch während ich erneut zuschlagen wollte,  einfach nur fest in seiner Hand. Somit machte er es mir unmöglich, weiter auf ihn einzudreschen. Ich merkte, dass ich mittlerweile anfing, ein wenig zu hyperventilieren und versuchte deshalb jetzt langsam und bewusst nach Luft zu schnappen. Jack schloss mich daraufhin einfach nur in eine feste Umarmung, in die ich vor lauter  Schmerz hineinsackte. Ich hatte gerade keine Kraft mehr, mich gegen ihn aufzulehnen. 

"Fuck Ava, das ist eben das, was ich tue. Ich fürchte nur leider, dass ich uns damit gerade so richtig in die Scheiße geritten habe. Es tut mir leid." Aus irgendeinem Grund nahm ich Jack gerade sogar ab, dass ihm das mehr als nur Leid tat. So wie er jetzt gerade war, hatte ich ihn bisher noch nie erlebt. 

Als wäre die ganze Situation nicht schon prekär genug, klingelte natürlich auch noch Jacks Handy aus seiner Hosentasche, woraufhin er genervt den Kopf in den Nacken legte und laut aufseufzte. 

"Ja?"
..... "Nein, das wird heute nichts"
..... "Nein, hör mir zu, es ist gerade echt nicht so einfach"
..... "Nein. Scheiße Aron, wir haben ein riesen Problem"

Nach diesem Satz nahm Jack sein Handy vom Ohr und drückte kurz darauf herum. Wenige Sekunden später stellte ich fest, dass aus dem simplen Telefonat wohl eine Facetime Konferenz gestartet wurde, denn jetzt hielt Jack sein IPhone so, als würde er ein Video machen wollen. Außerdem konnte ich jetzt auch hören, was Aron zu sagen hatte. 

"Was ist los, Jack?", fragte dieser beunruhigt nach. Daraufhin schien Jack auf seine Hauptkamera zu switchen, da er geradewegs auf die Leiche von Paolo zulief. 

"FUCK! WAS ZUR HÖLLE IST PASSIERT?!", brüllte Aron jetzt aufgebracht durchs Handy. 
"Ich schwöre dir, ich habe das nicht gewollt, Aron. Er hat uns angegriffen und es war klar, dass mindestens einer von uns das nicht überleben würde. Ich habe mich verdammt nochmal nur verteidigt", rechtfertigte sich Jack. 

Es überraschte mich, dass er nicht wirklich ehrlich zu seinem Freund war, immerhin wäre ich wahrscheinlich die Einzige gewesen, die getötet worden wäre. Hätte Jack das zugelassen, wären sie tatsächlich 'Quitt' gewesen, so grausam sich das auch anhören mochte. Doch jetzt gerade log er indem er behauptete, sich nur verteidigt zu haben.

"Scheiße, Scheiße, Scheiße", fluchte Aron und man konnte die Überforderung förmlich spüren, die er gerade in sich trug. "Du musst sofort weg da. Nimm Ava und hau ab. Ich werde mir was einfallen lassen, um dir den Rücken zu decken, aber ich brauche ein wenig Zeit. Sollte ich die Anderen nicht davon überzeugen können, dass es Notwehr war, dann ist es sowieso am besten, wenn du weit weg von hier bist."

War das sein Ernst? Könnte es wirklich solch krasse Konsequenzen mit sich ziehen, dass Jack nicht hier bleiben konnte? Dabei dachte ich eigentlich, dass Jack hier sehr viel mehr zu sagen hatte als die anderen, zumal ich dachte, Paolo ist ein weniger vollwertiges Mitglied dieser Gruppierung hier. Was also sollte das jetzt?

"Fuck, was ist mit den restlichen Forderungen? Wenn die anderen beiden mich nicht dafür platt machen, wird Roman das übernehmen. Ich muss wenigstens dafür sorgen, die restliche Kohle an Land zu ziehen. Auch deinetwegen!" 

"Ja, ich weiß. Auch dafür überlege ich mir was. Bitte tu mir jetzt aber den Gefallen und verschwinde, bevor es jemand merkt! Ich melde mich bei dir, wenn sich die Lage beruhigt hat."

"Es tut mir leid, Aron", sagte Jack jetzt nur noch wehmütig, bevor er auflegte. Dann griff er nach meinem Arm und zog mich bis hoch in sein Zimmer, wo er blitzschnell begann, einige Sachen aus seinem Kleiderschrank und anderen Regalen zusammenzusuchen und aufs Bett zu schmeißen. 

"Ava, pack so schnell du kannst alles ein, was wir die nächste Zeit eventuell gebrauchen könnten. In deinem Koffer ist noch ein wenig Platz", befahl er mir in ruhigem aber dennoch nervösem Ton. Ich nickte und lief sofort ins Bad, um die grundlegendsten Pflegeartikel wie Duschzeug, Rasierer, zwei Handtücher und ja, sogar Toilettenpapier mitzunehmen.

Kurz fragte ich mich, warum ich überhaupt in der Lage war, so rational zu denken. Immerhin starb gerade jemand meinetwegen vor meinen Augen und theoretisch hätte ich mich freuen können, dass Jack sich allem Anschein nach damit ein Eigentor geschossen hatte. Doch die Angst vor dem, was eventuell passieren könnte, wenn ich mich querstellte, war sehr viel präsenter. Meine größte Sorge allerdings bestand darin, nicht zu wissen, was mit mir geschehen würde, wenn Jack tatsächlich ausgeschaltet werden würde. 

Deshalb war jetzt ganz klar, dass ich am besten damit fahre, wenn ich auf Jack und Aron hörte. Alles was ich also jetzt mitnahm, kam auch mir letztendlich zugute. 

Als ich zurück ins Zimmer kam, stand Jack bereits mit einer großen, vollgefüllten Sporttasche im Raum und tippte wild auf seinem Handy herum. "Fertig?", fragte er, als ich alles im Koffer verstaut hatte und der Reißverschluss ins Schloss einrastete. Ich nickte. "Gut, dann tauchen wir zwei Süßen jetzt wohl Mal eine Weile unter."

Auch wenn mir immer noch ziemlich schlecht war, war ich wirklich froh darüber, diesen Ort jetzt gleich verlassen zu dürfen. Natürlich hätte ich mich über andere Umstände deutlich mehr gefreut, immerhin war ich somit jetzt sozusagen auf der Flucht mit meinem beschissenen Peiniger, doch ich musste jetzt keine Angst mehr vor Paolo haben. 

Es brach mir zwar irgendwo das Herz, dass ich für seinen Tod mitverantwortlich war, doch tief in mir drin war ich nicht nur erleichtert, sondern wirklich schon fast schadenfroh darüber. Von allen miesen Dreckskerlen hier, hat er mir die unruhigsten Nächte geschenkt. Ich war sogar der Überzeugung, dass er mich früher oder später ins Grab gebracht hätte - doch sein mieses Karma hat das von ganz alleine für mich geregelt.

Es war irgendwie verrückt, wie sehr mich diese eine Tat von diesem einen Menschen verfolgt hatte. Nach allem, was mir hier widerfahren war, war es exakt dieser Moment, der mich immer wieder von Kopf bis Fuß lähmte. Dabei war es nicht mal das brutalste, erniedrigenste oder schmerzhafteste, was mir hier zugefügt wurde. Am Schluss war es aber immer wieder sein Gesicht mit den fiesen, stechend blauen Augen, das mich zutiefst quälte. 

Vielleicht lag es daran, dass ich ihm das Ganze am allerwenigstens zugetraut hatte. Vielleicht war es aber auch der Zeitpunkt, den er für seine Tat wählte. Ein Zeitpunkt, an dem ich sowieso schon am Ende mit allem war. Am wahrscheinlichsten lag es aber daran, dass er es tat, ohne einen Nutzen davon zu tragen. Er wollte mich einfach nur leiden sehen, um seine Macht über mich spüren zu können. Ohne Kamera, ohne Maske, ohne alles. Der Gedanke daran schürte meinen Hass auf ihn nur noch weiter. 



Psycholove - Deal with the darknet |✔️ [abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt