Nun war es soweit und ich stand endlich vor meinem Zimmer. Keuchend legte ich meine Hand an die Türklinge und wollte diese gerade runterdrücken, als ich plötzlich an einen warmen Körper gepresst wurde.
Kiyan hob mich hoch und drehte sich mit mir im Raum. Glücklich kichernd hatte ich meine Arme um seinen Nacken gelegt und wollte diesen Moment für immer festhalten. Die Tür hinter uns fiel mit einem Knall ins Schloss, jedoch interessierte uns das gar nicht.
Langsam ließ mich mein Mate wieder runter, sodass ich fest auf dem Boden stand. Ich kuschelte mich an seine Brust und er umarmte mich noch fester. Seinen Kopf versteckte er an meiner Schulter.
Einige Minuten blieben wir so stehen und ich genoss es einfach. Er hatte irgendwann angefangen zu schnurren. Leicht lehnte ich mich zurück und schaute ihn einfach nur an. In seinen eisblauen Augen spiegelten sich so viele Gefühle wieder. Von allen Emotionen stach die Freude mich wiederzusehen, am meisten hervor.
Ohne darüber nachzudenken, gab ich ihm einen Wangenkuss. Kiyan zog mich wieder in seine Arme und flüsterte mir süße Worte in mein Ohr: "Ich habe dich so vermisst, Amalia." Sein warmer Atem traf auf meine Haut und ich bekam Gänsehaut.
"Ich dich auch. Aber wir haben uns ja jetzt wieder und es ist alles gut ausgegangen, wie ich es dir gesagt hatte."
Ich trat einen Schritt zurück und löste mich komplett von Kiyan. Er nahm sofort meine Hand in seine. Ich ließ es zu. Heute war ein besonderer Tag und auch ich gestand mir ein, dass ich ab und zu die Nähe zu meinem Mate brauchte.
Suchend ließ ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen und fand auf unserem Sofa einen weißen Zettel. Das musste der Stundenplan sein. Meinen Mate zog ich an der Hand mit mir bis zu unserem Sofa und sah mir dann unsere nächsten Unterrichtsstunden an. Anscheinend mussten wir in zehn Minuten bei dem Fach Artenwandlung sein. Ich verstand zwar nicht wirklich, was ich dort als Mensch sollte, aber neben dem Feld standen eindeutig unsere beiden Namen.
Ich erklärte Kiyan kurz, dass wir heute noch zwei Unterrichtseinheiten hätten. Seine Reaktion darauf war ein leises Knurren. "Warum müssen wir denn jetzt noch in den Unterricht? Ich habe dich gerade erst wieder und will mit dir irgendwas anderes machen. Alles, aber nicht Schule."
Ich zuckte lediglich nur mit den Schultern. "Naja, Bildung ist ja schon wichtig." Kiyan schnaubte verständnislos auf. Seine Laune besserte sich jedoch, als ich ihm zeigte, in welchen Unterricht wir denn mussten.
"Na immerhin kann ich mich verwandeln und du bist bei mir."
Ich wusste zwar immernoch nicht, was ich dort sollte, aber ich sagte einfach mal nichts dazu und löste meine Hand aus seiner. Schnell packte ich mir ein Buch in meinen Rucksack und hatte die Hoffnung, lesen zu können. Dann lief ich zur Tür und drehte mich um. "Kiyan, kommst du? Wir müssen wirklich los."
Er nickte und kam zu mir. Gemeinsam liefen wir zu dem Fahrstuhl und fuhren in die erste Etage. Dort gingen wir dann raus und schauten uns um. Auf dem Zettel stand nur, dass der Unterricht angeblich im Außenbereich sei. Mehr wussten wir auch nicht.
Kiyan tippte mir auf die Schulter und zeigte nach rechts. Es hatten sich schon viele Paare versammelt und alle standen in einem Kreis. Es war niedlich zu sehen, wie alle Werwölfe ihre Mates ganz fest an sich drückten. Glücklicher konnten einige, in dem Moment gar nicht sein.
Schnell machten wir uns auch auf dem Weg dorthin und sahen schon einen Mann in der Mitte stehen. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass es der ältere Herr war, der mich bei unserer ersten Versammlung so komisch angeschaut hatte. An seinem Kleidungsstil hatte sich nicht viel geändert. Wie auch bei unserem ersten Zusammentreffen trug er einen schwarzen Hut. Ansonsten hatte er eine normale schwarze Hose an und ein blaues T-Shirt.
Er war gerade dabei zu erklären, was unsere Aufgabenstellung für die Stunde sein würde. Anscheinend gab es im Wald verschiedenfarbige Pfade. Alle Mädchen würden einen Zettel bekommen, auf dem eine Abfolge der Farben stand. Wir mussten unseren Mates die erste Farbe für die erste Runde sagen, damit sie dem richtigen Pfad folgen konnten. Wenn sie dann wieder bei uns ankämen, müssten wir ihnen die nächste Farbe sagen. So ging das dann weiter, bis Kiyan alle Farben auf dem Zettel abgearbeitet hätte. Es sollte die Ausdauer des Werwolfes Schulen, genauso wie die Zusammenarbeit als Mates.
Die anderen Jugendlichen um uns herum, nickten erfreut. Unser Lehrer entfernte sich langsam aus dem Kreis. Sein gebückter Gang behinderte ihn beim Laufen. Er holte die Zettel und verteilte sie unter uns.
Mir wurde auch ein Zettel in die Hand gedrückt. Hoffentlich würde alles gut gehen.
"Verwandelt euch." Die Anweisung zeigte sofort Wirkung und um mich herum brachen Knochen und Körper verformten sich. Etwas ängstlich trat ich einen Schritt zurück und wollte mich an Kiyan drücken, jedoch konnte ich ihn nicht mehr sehen. Mein Blick fiel auf einen schwarzen, großen Wolf vor mir. Seine eisblauen Augen hatte er behalten und sah mich aus diesen liebevoll an. Wenn er reden könnte, würde er mir jetzt Mut zu sprechen. Das wusste ich instinktiv.
Sanft stupste der Wolf meine Hand an und legte seinen Kopf schief. Zögernd kniete ich mich hin und wartete. Treumütig trat Kiyan einen Schritt vor und legte sich seitlich vor mir hin. Langsam fuhr ich mit meinen Fingern durch sein Fell. Es gefiel ihm anscheinend sehr, da er nach kurzer Zeit seine Augen schloss und leise schnurrte. Jedoch so leise, dass nur er und ich das hören konnten.
Anscheinend reichte ihm das aber nicht, da sich sein großer Kopf irgendwann einfach auf meinen Schoß legte. Ich war schon etwas von seiner Größe und der Macht, die er ausstrahlte, eingeschüchtert. Bei meiner Familie spürte ich so eine einschüchternd Ausstrahlung nie. Trotzdem würde er mir nie etwas tun. Darauf vertraute ich.
Ich hörte auf, meinen Mate zu streicheln und schaute mich um. Ich sah einige Mädchen, die ihren Seelenverwandten einfach nur entsetzt anschauten und immer weiter weg rückten, je mehr der Wolf versuchte auf sie zuzugehen. Dann gab es aber auch noch diejenigen, wie Marie und mich, welche schon vorher Erfahrungen mit den Werwölfen hatten und ganz ruhig blieben.
Ich sah das erste Mal Tim in seiner Wolfsgestalt. Meine beste Freundin hatte sich an einen hellbraunen Wolf gekuschelt, dessen rechte Vorderpfote weiß war und sich somit hervorhob. Seine dunkelbraunen Augen waren jedoch geblieben und schauten Marie sanft an.
Unser Lehrer, dessen Namen ich immernoch nicht wusste, beobachtete mich ganz genau. Als ich das bemerkte und ihm in seine Augen schaute, wand er seinen Blick jedoch schnell ab. Komisch.
Seine tiefe Stimme erhob sich und schallte über den Platz. "Eure Aufgabe wird nun gleich beginnen. Erhebt euch und macht euch startbereit."
Kiyan stand in Sekundenschnelle und schaute mich aus seinen blauen Augen abwartend an. Unter Druck gesetzt, ließ ich den Zettel erst einmal aus Versehen fallen. Schnell bückte ich mich, nahm das Stück Papier in meine Hände und las die erste Farbe.
Noch einmal streichelte ich meinen Mate, um ihn zu motivieren und sagte: "Rot."
Dann ertönte der Startschuss und Kiyan rannte los.
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Soulmate - into the unknown
WerewolfLe plus fort est l'amour et non le destin. (Das stärkste Band ist die Liebe und nicht das Schicksal.) Amalia lebt in einer Welt voller Übernatürlichem. Aufgewachsen in ihrer Familie, die nur aus Werwölfen besteht und mit einem besten Freund an ihrer...