Kapitel 16 - Ein nächtlicher Spaziergang

1.7K 76 35
                                    

Schnell hatte ich mich wieder gefangen, stemmte meine Hände in die Hüften und und schaute ihn herausfordernd in seine dunkelgrün schimmernden Augen. Ich hatte erkannt, dass er mich am Anfang auf Französisch seinen Engel genannt hatte und das ging ja mal gar nicht. "Ich kenne dich zwar nicht, aber ich bin definitv schon einmal nicht dein Engel und was machst du überhaupt hier? Ist es dein Hobby Mädchen Angst einzujagen?"

Gespielt schockiert schaute er mich an und antwortete mir mit hörbarer Belustigung in der Stimme. "Also bitte, was hälst du denn von mir? Ich erschrecke eigentlich sonst niemanden einfach so, aber bei dir konnte ich nicht wiederstehen." Er zwinkerte mir zu und umkreiste mich. Während dieser Sätze konnte ich jedoch keinen Akzent heraushören und so vermutete ich, dass er mich einfach nur ein bisschen ärgern wollte. Er dachte bestimmt, dass ich die Sprache nicht verstehen würde, aber da hatte er sich geschnitten. Französisch war zwar nicht mein Lieblingsfach, aber durch meine beste Freundin, welche diese Sprache über alles liebte, kannte ich ein paar Vokabeln.

Ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen und so spiegelte ich jeden seiner Schritte wieder. "Und warum nennst du mich dann Engel? Du kennst mich nicht einmal."

Nun blieb er stehen, legte seine rechte Hand auf seinen Bauch und lachte aus vollem Halse. Er kriegte sich fast nicht mehr ein und tat so, als würde er sich eine Lachträne wegwischen. "Das fragst du noch? Man kann deinen Engelsschein förmlich meterweit sehen."

Beleidigt verschränkte ich meine Arme vor der Brust und hatte langsam keine Lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten. "Wie witzig du doch bist." Die Ironie war aus meiner Stimme klar herauszuhören und zusätzlich verdrehte ich noch meine Augen.

Als er bemerkte, dass ich das überhaupt nicht lustig fand, räusperte er sich und nahm dann eine normale Haltung an. "Tut mir leid." Verschmitzt grinste  er mich dabei an.

Ich zweifelte zwar noch kurz, gab mir dann jedoch einen Ruck und lächelte ihn zaghaft an, als ich sagte, dass alles gut sei. Ich hielt das Gespräch eigentlich für beendet und drehte mich um, damit ich endlich mal zu meinem Zimmer kam. Ich war mir sicher, dass es schon sehr spät in der Nacht war und das nicht nur dadurch, dass ich durch die Kälte jetzt schon meine gesamten Gliedmaßen nicht mehr spüren konnte, sondern auch dadurch, dass nun kein einziges Licht mehr in einem Fenster der Akademie zu sehen war.

Ich lief einige Schritte auf den Eingang zu, wurde jedoch von einem Rufen gestoppt. Verwirrt drehte ich mich um und schaute ihn fragend an. Verlegen strich er sich kurz über das Gesicht. "Wollen wir nicht noch etwas spazieren gehen?"

Nun, war ich noch verwirrter. Er meinte es total ernst. Das sah ich in seinen Augen. "Und warum sollte ich mit einem mir unbekannten Jungen mitten in der Nacht spazieren gehen?"

Ich hätte verschiedene Antworten erwartet, aber nicht diese. Hayle lächelte mich an, als hätte er schon gewonnen und sagte: "Weil du etwas Besonderes bist und sowieso das machst, was du für richtig hälst."

Bittend blickte er mir in meine Augen und ohne nachzudenken, nickte ich. Innerhalb einer Sekunde stand er neben mir. Ich blinzelte kurz überrascht und schaute ihn dann wissend an. "Ein Vampir also. Dazu noch einer, der anscheinend schon einmal in Frankreich war. "

Wieder grinste er so komisch und zuckte lediglich mit seinen Schultern.

Gemeinsam liefen wir los und folgten immer dem Rand des Waldes. Eine ganze Weile sagte niemand von uns beiden etwas. Jedoch entstand kein unangenehmes Schweigen. Ich hing meinen Gedanken nach und er seinen.

So spazierten wir still nebeneinander her, bis wir vor dem Eingang der Akademie standen. Ich freute mich schon, wenn ich dann in meinem warmen Bett lag und über dieses komische Erlebnis nachdenken konnte.

Wir hatten beide angehalten und ich blickte nun in Hayles dunkelgrüne Augen. Sie faszinierten mich und ich versuchte die Emotionen darin auszumachen. Als er bemerkte, was ich da versuchte, wand er seinen Kopf schnell ab. Kurz fühlte ich die Enttäuschung, welche aber sehr schnell wieder verschwand.

Zaghaft durchbrach ich unsere Stille und fragte im Flüsterton: "Warum sind wir jetzt spazieren gegangen?"

Sanft lächelte er mich an und das war das erste Mal heute abend, dass er mich etwas an sich ran ließ. Es war vielleicht nur ein ganz kleiner Augenblick und trotzdem sah ich, dass sich hinter dieser frechen Maske noch so viel mehr versteckte.

"Wer weiß? Vielleicht wollte ich dich nur verwirren?" Hayle war anscheinend wieder zu seinem normalen Verhalten übergegangen und ich verdrehte nur die Augen. "Ich werde diese Antwort jetzt einfach mal so akzeptieren, obwohl ich weiß, dass es nicht die Wahrheit ist."

Überrascht zuckte er zurück und schaute mich an. Bevor ich noch etwas sagen konnte, beugte er sich leicht zu mir vor und flüsterte: "Bonne nuit, mon ange."

Dann war er weg. Ich schaute mich drei Mal um und doch sah ich ihn nicht mehr. Der mysteriöse Vampir war anscheinend gegangen. Eigentlich wollte ich ihm noch hinterherschreien, dass ich nicht sein Engel sei, aber das war nun nicht mehr so wichtig, da er mich sowieso nicht mehr hören würde. Wenn ich ihn jemals noch einmal treffen sollte, dann konnte ich das ja noch einmal ausdiskutieren.

Ich drehte mich um und lief schnell hoch zur Tür der Akademie. Ich zog sie mit tauben Händen auf und war erfreut, dass es gleich beim ersten Mal funktionierte. Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer und war mehr als froh, als ich endlich darin stand.

Ich machte meine Nachttischlampe an und legte mich ins Bett. Alles kribbelte unangenehm, weil mein Körper sich wieder an die Wärme gewöhnte. Während ich ganz ruhig da lag und darauf wartete, dass das Kribbeln aufhörte, bemerkte ich zum ersten Mal wieder das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust.

Als ich mit Hayle zusammen war, hatte ich es gar nicht so wahrgenommen. Komisch. Vielleicht war ich einfach nur zu sehr abgelenkt.

Ich musste nicht lange Warten und so schweiften meine Gedanken zu Kiyan über. Ich gab zu, dass ich seine blauen Augen vermisste, die mich immer so ansahen, als wäre ich etwas Besonderes. Ich vermisste sein schwarzes Haar, durch welches ich manchmal durchfahren wollte und ich vermisste seine Nähe. Ich wusste, dass wenn er wieder da war, er mich nicht mehr so schnell verlassen würde. So sehr, wie ich mich auch darauf freute, so war mir dennoch bewusst, dass er spätestens nach einem Tag schon wieder anstrengend sein würde.

Eine einzige Träne verließ meinen Augenwinkel. Unbewusst strich ich mir über mein Gesicht  und versuchte mich zu beruhigen. So schlimm der Trennungsschmerz auch war, er würde bald vorbei sein und dann hatte ich den anstrengendsten und eifersüchtigsten Alpha auf der Welt wieder.

Mit den Gedanken bei einem Wiedersehen mit Kiyan schlief ich ein.

Soulmate - into the unknownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt