Kapitel 19 - Das Farbenspiel

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Ich sah meinen schwarzen Wolf in dem Wald verschwinden und verharrte einige Augenblicke in meiner Position. Ich wusste nicht, wie groß die Runde war. Also setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden und schaute mich suchend nach Marie um. Diese kam schon auf mich zu und ließ sich neben mir nieder.

Beide hielten wir die Zettel ganz fest in der Hand. Die nächste Farbe für Kiyan war blau und ich wollte nicht daran schuld sein, dass wir verloren, nur weil ich nicht schnell genug die Farbe sagte.

Ich war am überlegen, mein Buch herauszuholen. Ich hatte jedoch Angst, als desinteressiert zu wirken oder meinen Mate zu verpassen. So beließ ich es dabei, mich mit Marie zu unterhalten.

Sie erzählte mir gerade, wie sie in ihr Zimmer gestürmt war und Tim sie begrüßt hatte. Sie strahlte aus ihrem Inneren heraus und ich freute mich für sie von ganzem Herzen. Ihr Traum hatte sich erfüllt. Nun mussten wir hoffen, dass dieser auch für immer so märchenhaft schön bleiben würde, wie sie sich das vorstellte.

Es waren vielleicht fünf Minuten vergangen, jedoch hörte ich schon Werwolfspfoten auf den Boden schlagen. Es schien mir, als würde das Geräusch immer lauter werden. Also drehte ich meinen Kopf nach hinten und sah meinen Mate auf mich zu kommen. Sein Fell wehte im Wind, die Schnauze war leicht offen und seine Augen sahen mich direkt an.

Zehn Meter trennten uns vielleicht noch voneinander. Ich wusste jedoch sehr wohl, dass er meine Stimme jetzt schon wahrnehmen würde. So überlegte ich nicht lange und sprach in normaler Lautstärke die nächste Farbe. Ich hatte recht behalten und er rannte einfach an mir vorbei, wieder in Richtung des Waldes.

Erst jetzt kamen auch die anderen Werwölfe angerannt und liefen jeweils in die Richtung ihrer Mate. Ich sah Tim direkt neben einem anderen Wolf herrennen und feuerte ihn im Stillen an. Ich wusste, dass er das locker schaffen konnte. Marie machte es genauso wie ich und so musste ihr Mate nicht extra noch anhalten, sondern konnte gleich weiterrennen.

Einige andere waren nicht auf die Idee gekommen und so flog mancher Dreck nach oben, als die Wölfe stark abbremsen mussten. Das war jedoch bei den wenigsten der Fall.

"Marie, wie ist Tim eigentlich? Ich kenne ihn ja nicht und es wäre schön etwas über ihn zu wissen."

Eifrig nickte meine beste Freundin und begann zu erzählen: "Er ist so toll, Amalia. Am Anfang wirkt er sehr schüchtern und hält sich eher  zurück, als auf Leute zuzugehen. Aber bei uns war es anders. Er öffnet sich mir direkt und ich finde es so schön, ihn jeden Tag ein bisschen besser kennenzulernen. Es klingt total komisch, aber ich finde es einfach nur bewundernswert, wenn er mir erzählt, dass er Standard tanzt oder sehr gerne zeichnet. Er will mir irgendwann noch seinen Zeichenblock zeigen. Die Bilder sind bestimmt total gut. Wir passen zueinander."

Auf meinem Gesicht hatte sich ein Lächeln geschlichen und doch hatte ich innerlich Zweifel. Würde ich jemals auch so begeistert  über Kiyan reden? Ich wünschte es mir für uns beide, aber Gefühle konnte man leider nicht direkt beeinflussen.

Wieder vernahm ich das Geräusch rennender Werwölfe und schaute schnell auf meinem Zettel. Jetzt musste Kiyan noch einmal die rote Strecke rennen und danach die Gelbe. Dann hätte er es geschafft.

Wir machten es genauso, wie beim ersten Mal und wieder rannte mein Mate an mir vorbei und lief zielstrebig auf den Wald zu. Bei jedem Schritt konnte ich seine Muskeln unter dem Fell ausmachen und blickte ihm solange hinterher, bis er zwischen den Bäumen verschwand.

Geduldig wartete ich still, bis auch Marie ihrem Mate eine neue Farbe nannte. Es war Sommer und die Sonne strahlte in unsere Gesichter. Jedoch war sie nicht verbrennend heiß, sondern angenehm warm und so hielt ich mir auch keine Hand schützend vor mein Gesicht.

Unser Lehrer hatte sich auch auf einen Stein gesetzt und beobachtete das Geschehen. Wieder fiel mir ein, dass ich meine beste Freundin nach seinen Namen fragen wollte und so wartete ich nicht mehr länger. "Wie heißt unser Lehrer eigentlich?"

Mein Kopf hatte ich zu Marie gedreht. Überlegend schaute sie kurz in den blauen Himmel und antwortete mir dann: "Ich glaube, dass sein Name Mr. Wilson war." Ich nickte und wir versanken in Schweigen.

Mein Blick wanderte durch meine Umgebung. Als ich die Bank sah, auf der ich vor nicht allzu langer Zeit mitten in der Nacht saß, kam mir das Bild von Hayle wieder in den Kopf. In meinem Unterricht hatte ich ihn nicht gesehen und so tippte ich darauf, dass er älter war. Immerhin waren auch Zain und Viola eine Klasse höher als wir und hatten jetzt somit ein anderes Fach.

Ich dachte wieder an unsere Unterhaltung und stutzte. Wie konnte er hier sein, wenn er ein Vampir war? Dann musste seine Mate ein Werwolf sein. Ansonsten wäre er ja nicht auf dieser Akademie.

Marie stieß mich an und riss mich so aus meinen Überlegungen. Ich wusste selbst nicht so genau, warum sich der Junge mit blonden Haaren, dunkelgrünen Augen und seiner frechen Art wieder in meine Gedanken geschlichen hatte.

Meine beste Freundin zeigte hinter mich und da sah ich auch schon wieder Kiyan auf mich zukommen. Erschrocken schaute ich noch einmal auf dem Zettel. Er war jetzt nur noch zwei Meter von mir entfernt und ich bemerkte, wie er langsamer wurde und unsicher war, ob er jetzt stehen bleiben sollte oder nicht.

Als ich die Farbe las, sagte ich sie jedoch schnell. Sofort gruben sich seine Pfoten wieder kraftvoll in die Erde und er stürmte davon. Hoffentlich hatte ihn das jetzt nicht zurückgeworfen.

Die anderen Wölfe kamen aber erst jetzt an und meine Befürchtungen wurden wiederlegt. Erleichtert atmete ich aus und blickte zu Marie. Fragend hatten sich ihre Augen auf mich gerichtet. "An was hast du gedacht, dass du so abgelenkt warst?"

Ich zuckte mit den Schultern und schaute verlegen auf dem Boden. "Ist nicht so wichtig. Aber danke, dass du mir ein Zeichen gegeben hast."

Misstrauisch nickte sie und ich wusste, dass sie später noch einmal nachfragen würde, wenn wir alleine waren. Mir war auch nicht so ganz bewusst, warum ich meiner besten Freundin nicht einfach von Hayle erzählte, aber irgendwas hielt mich zurück. Außerdem würde ich ihn nicht so schnell wiedersehen.

Noch ein paar Minuten saßen wir dort und verhielten uns ruhig. Ein letztes Mal vernahm ich noch Kiyans trommelnde Pfoten, bevor die Aufgabe beendet war. Mein Mate war erster und somit schnellster Werwolf aus unserem ganzen Kurs. Freudig lief er auf mich zu und ich umarmte ihn kurz, weil wir es gemeinsam geschafft hatten, auch wenn ich kurz abgelenkt gewesen war.

Anscheinend konnten wir doch als Team funktionieren. Jetzt mussten wir nur noch eine weitere Stunde überleben und dann hatten wir den Rest des Tages für uns.


Soulmate - into the unknownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt