Geisterdorf ✔️

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Ich schreckte hoch, als ich ein lautes Rascheln hörte. Sofort sprang ich auf alle viere. Und schlug mir prompt den Kopf an. Als Mensch hätte ich mir jetzt die schmerzende Stelle gerieben, doch in meiner Fuchsgestalt schüttelte ich mich nur unwillig. Ein grummeliges Geräusch, das sich wie eine Mischung aus Fauchen und Knurren anhörte, entschlüpfte mir. Schnell zwängte ich mich aus dem Hohlraum unter der Wurzel, um zu identifizieren, was mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Leider konnte ich nichts erkennen. Nicht einmal kniehoch zu sein hatte besonders im Wald seine Nachteile. Aber dafür nahm ich einen Geruch wahr. Doch da ich erst seit einem Tag mit meinen verbesserten Sinnen lebte, konnte ich damit genauso viel anfangen wie ein Eichhörnchen mit einer hohlen Nuss. Nämlich nichts. Meine letzte Hoffnung war, dass mir mein scharfes Gehör weiterhelfen konnte. Bemüht versuchte ich, alle unnötigen Geräusche auszublenden und mich auf das zu konzentrieren, das potenziell hilfreich sein könnte. Sekunden später hörte ich die Schritte mehrerer großer Tiere, die dicht hintereinandergingen, wenn ich richtig hörte. Sie gingen leise, aber nicht so geschmeidig und beinahe lautlos wie katzenartige Wesen. Außerdem waren diese eher Einzelgänger. Eine Wildherde kam auch nicht in Frage, da sie mit ihren Hufen mehr Geäst zum Knacken brachten. Außerdem waren die Schritte sehr kontrolliert und zielgerichtet. Der naheliegendste Schluss war ein Wolfsrudel, da diese die Angewohnheit hatten, in deren vorgetretenen Spuren zu laufen, um so über ihre wahre Anzahl hinwegzutäuschen.


Ich blieb stocksteif stehen, um ja kein Geräusch zu verursachen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit zogen sie einfach an mir vorbei, selbst wenn ich mich bemerkbar machte. Immerhin gehörten Füchse nicht wirklich in ihr Beuteschema. Daher würden sie auch meinem Geruch eher nicht nachspüren. Trotzdem blieb ich lieber wachsam, da mir die gestrige Nahtoderfahrung für ein paar Tage reichte. Ich kauerte mich auf den Boden und atmete möglichst flach. Ich war bereit, im Notfall wieder in die Höhle unter den Wurzeln zu schlüpfen. Doch zu meiner Erleichterung zogen die Wölfe wie angenommen weiter. Ihre Schritte entfernten sich immer mehr, bis ich sie gar nicht mehr hören konnte.


Nachdem ich mich versichert hatte, dass keine Gefahr mehr drohte, versuchte ich mich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Wie gestern stellte ich mir die Verwandlung vor, und wieder folgte mein Körper meinen Gedanken. Ob ich mich jemals an dieses elektrisierende Gefühl der Magie gewöhnen würde, die mich dabei von den Ohren bis zur Schwanzspitze durchzog? Trotz der Tatsache, dass ich mein Leben lang als Mensch gelebt hatte, musste ich erst wieder ein Gefühl für meine Gliedmaßen bekommen. Probehalber beugte und streckte ich meine Finger, dann schnappte ich mir meine Tasche und warf sie mir über die Schulter. Mit etwas Glück konnte ich den Wald hinter mir lassen. Und somit Terrain betreten, das mir völlig fremd war. Obwohl ich noch unschlüssig war, was ich davon halten sollte, verspürte ich leise Aufregung. Ich würde endlich mehr von der Welt kennenlernen.


Während ich ging, wurde es stetig dunkler, da immer mehr Wolken aufzogen und die Sonne verdeckten. Nach ein paar Stunden war der Himmel bereits sturmgrau gefärbt. Ein leichter Wind strich durch die Bäume. Noch war es nur eine kaum spürbare Brise, aber wenn man dem Himmel Glauben schenkte, war das nur die bekannte Ruhe vor dem Sturm. Ich legte einen Zahn zu. In einem heftigen Sturm konnte man nur allzu leicht von einem Baum erschlagen werden. Deshalb musste ich wirklich zusehen, dass ich heute noch den Wald verließ.


Mit dem Abend kam auch der Sturm näher. Die Wolken waren bereits so dunkel, dass man fast glauben könnte, die Dämmerung wäre schon hereingebrochen. Der Wind peitschte mittlerweile regelrecht durch den Wald, wirbelte meine Haare durcheinander und brachte die Blätter so laut zum Rascheln, dass es sich wie ein reißender Strom anhörte. Und noch keine Spur von einem Ende des Waldes. Obwohl meine Beine schon vor Schmerz brannten, beschleunigte ich noch einmal meine Schritte. Ich musste es schaffen, denn die Stämme der dünneren Bäume knarzten schon beunruhigend. Mit Fuchsohren kam einem das Geräusch beinahe ohrenbetäubend vor.Plötzlich hörte ich ein fast quietschendes Knarzen, dann schnalzte ein dröhnendes Krachen durch den windgebeutelten Wald. Zuerst kroch lähmende Angst in mir hoch, ich blieb in einer Art Schockzustand wie angewurzelt stehen. Erst nach ein paar Herzschlägen realisierte ich die unmittelbare Gefahr der Situation in vollem Ausmaß. Hektisch drehte ich mich um mich selbst und versuchte verzweifelt, auszumachen, welcher Baum den Kräften der Natur nachgegeben hatte. Schließlich erspähte ich eine Esche, die gerade krachend durch eine Reihe an Ästen fiel. Zwar nicht direkt auf mich, aber dennoch nah genug, damit ich die Beine in die Hand nahm. Das Adrenalin, das bereits durch meine Adern pumpte, ließ mich für eine kurze Zeit vergessen, dass meine Beine bereits wacklig waren und schmerzten.


Die letzte Kitsune [wird neu geschrieben]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt