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Nachdem ich Inazuma wieder auf die Koppel gebracht hatte, lehnte ich mich an den Zaun und beobachtete die Pferde, in der Hoffnung, dass sie meine Gedanken von Yuna ablenken würden. Taten sie aber nicht. Ich konnte dieses Gefühl der Sorge immer noch nicht abschütteln. Dass mein Vater Yunas Unversehrtheit verlangte, war gelogen gewesen. Solange sie nicht ernsthaft verletzt war, war es ihm vermutlich egal, was mit ihr geschah. Und ein Biss von einem Pferd war nun wirklich keine ernsthafte Verletzung. Ich sollte mich nicht um sie sorgen. Ich sollte ihr Zuneigung vorspielen, um sie in die Irre zu führen und sie dazu zu bringen, mir zu vertrauen. Schon seit ich erinnern konnte hatte mir mein Vater eingetrichtert, dass ich mich bloß nicht mit dem „niederen Volk", wie er es nannte, abgeben sollte. Er sagte immer, dass die Menschen unten in der Stadt dumm, dreckig und verabscheuungswürdig seien. Dass sie nichts weiter als habgierige Verbrecher wären. Und dass ich nur, wenn es absolut notwendig war, in die Stadt begeben sollte. Früher hatte ich nie verstanden, warum ich nicht mit den anderen Jungen in meinem Alter spielen durfte. Unzählige Male war ich an meinem Fenster gestanden und hatte herabgesehen auf die Stadt. Ich hatte Kinder in meinem Alter gesehen, wie sie miteinander herumtobten. Ihre Gesichter hatten glücklich ausgesehen. Und obwohl ich zu weit weg gewesen war, hatte ich immer geglaubt, ihr vergnügtes Lachen zu hören. Mit fortschreitendem Alter jedoch hatte ich verstanden, warum ich nicht dort hinunter durfte. Spaß brachte einen nicht weiter. Während sich die anderen vergnügten, wurde ich unterrichtet und auf meine spätere Aufgabe vorbereitet. Ich lernte lesen, schreiben und rechnen, studierte Bücher und versuchte die Geschichte des Kaiserreiches nach zu vollziehen. Mein Vater hatte mich immer bei wichtigen Konferenzen mit anderen hohen Persönlichkeiten dabei, damit ich auch Einblicke in die Politik erhielt. Und deshalb war ich anders als die Kinder, mit denen ich so gerne gespielt hätte. Während sie später vielleicht Bauern, Wirte oder Bedienstete wurden, war mir höheres vorherbestimmt.

Doch wenn ich Yuna ansah, bemerkte ich keine der Eigenschaften, die mein Vater dem „niederen Volk" zuschrieb. Sie mochte nicht viel besitzen, aber sie war klug, hübsch und freundlich. Nicht habgierig oder gar verbrecherisch. Sie faszinierte mich mit ihrer Offenheit und ihrem Einfühlungsvermögen. Obwohl ich sie eigentlich verabscheuen sollte, mochte ich sie. Allerdings konnte ich ihr das nicht zeigen, da es den Zorn meines Vaters heraufbeschwören würde. Trotzdem bewog mich meine Sorge dazu, nochmal nach ihr zu sehen, um zu überprüfen, ob sie sich auch wirklich von Arashi fernhielt.

Tatsächlich stand sie noch exakt an der Stelle, an der ich sie zurückgelassen hatte. Sie sah Arashi ruhig an. Ihre gesamte Körperhaltung war entspannt und dennoch wirkte sie konzentriert. Ich richtete meinen Blick auf Arashi. Er stand ruhig da und hatte die Ohren gespitzt. Ich blinzelte ein paar Mal, um mich mich selbst davon zu überzeugen, dass mir meine Augen keinen Streich spielten. So ruhig hatte ich Arashi noch nie in der Gegenwart eines Menschen erlebt. Vorsichtig schlich ich zur ihnen hinüber, bedacht darauf, keinen Laut von mir zu geben. Auf keinen Fall wollte ich diese Verbindung, die sich offenkundig zwischen den beiden aufgebaut hatte, zerstören. Allerdings war es fast unmöglich, sich an ein Pferd heran zu schleichen. Arashi wurde auf mich aufmerksam und fing wieder an, nervös herum zu tänzeln. Er schnaubte nervös. Yunas Blick richtete sich auf mich. Ich meinte, Überraschung darin erkennen zu können. „Wie hast du es geschafft, Arashi so zu beruhigen?", fragte ich frei heraus. „Ich habe Erfahrung mit Tieren und sie alle sind sensible Wesen. Wieso sollte es bei Pferden anders sein? Ich war einfach ganz ruhig und er hat meine Ruhe gespürt und hat dadurch etwas von seiner Nervosität verloren.", antwortete sie, als wäre das keine große Sache. Scheinbar war sie wirklich in der Natur, fernab jeglicher Zivilisation aufgewachsen. Wie es wohl gewesen wäre, wenn ich das Anwesen verlassen hätte dürfen? Ich wusste es nicht. Mein Leben spielte sich hier ab. Nur die Momente auf dem Pferderücken waren die, in denen ich ein Gefühl dafür bekam, was Freiheit bedeutete. Mir kam eine Idee. Wenn Yuna eine so beruhigende Wirkung auf Arashi hatte, konnte ich ihr den richtigen Umgang mit Pferden beibringen und sie mit ihm arbeiten lassen. Vielleicht schaffte sie es sogar, auf ihm zu reiten. Arashi war eigentlich für Rennen gezüchtet worden. Aber aus irgendeinem Grund wurde er wild und unberechenbar. Und da mich mein Vater für den Pferdeflüsterer schlechthin hielt, kaufte er ihn und beauftragte mich damit, ihn zu bereiten. Allerdings hatten sich schon, als er in einer Transportkutsche gebracht wurde, die ersten Zweifel in mir geregt. Er hatte in der Kutsche um sich getreten und beim Ausladen hatte er den Kutscher umgerannt. Mehrere Leute waren notwendig gewesen, um ihn in seine Box zu verfrachten. Seitdem hatte ich zwar ein paar Mal versucht, eine Bindung zu ihm aufzubauen, aber das hatte mir nur Bisse und blaue Flecken eingebracht. Deswegen hatte ich irgendwann aufgegeben. Trotzdem hatte ich mich geweigert, ihn wieder zu verkaufen. Auch wenn er mich gebissen und getreten hatte, so war er doch ein starkes und schnelles Pferd, dass man nicht so einfach aufgeben sollte.

Die letzte Kitsune [wird neu geschrieben]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt