Ausritt

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Takashi

Als ich Yunas ruhige, gleichmäßige Atemzüge hörte, entspannte ich mich etwas. Hoffentlich fand sie im Schlaf ein bisschen Frieden. Ich konnte nicht aufhören darüber nachzudenken, wie es wohl für sie war, jetzt herauszufinden, dass sie ihre Mutter nie kennenlernen würde. Bei mir war das anders. Mir war schon von klein auf bewusst gewesen, dass meine Mutter tot war. Es hatte mich zwar oft beschäftigt, und beschäftigte mich auch heute noch manchmal, doch ich hatte mehrere Jahre Zeit gehabt, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Für Yuna geschah gerade alles Schlag auf Schlag. Es kam mir fast so vor, als würde sie täglich ein dunkles, in den Tiefen der Vergangenheit vergrabenes Geheimnis enthüllen und somit noch mehr Schmerz ertragen müssen.

Doch mit jedem Rückschlag, den das Leben für Yuna bereithielt, wuchs meine Bewunderung für sie. Sie war so stark. Die letzten Wochen hatten ihr so viel Kummer bereitet und doch war sie immer so fröhlich und ertrug sogar meine Beschwerden über Dinge, die im Vergleich zu ihren Problemen wie nichts wirkten. Manchmal fragte ich es, wie es sein konnte, dass sie sich überhaupt mit mir befasste. So stark und klug wie sie war, brauchte sie mich nicht. Und doch war ich es, zu dem sie kam, wenn ihr alles zu viel wurde. Und diese Tatsache wärmte mein Herz. Ich konnte mich mehr als glücklich schätzen, dass so ein wundervolles Mädchen ausgerechnet mir sein Herz geschenkt hatte.

Doch das war nicht nur einseitig. Mein Herz gehörte auch voll und ganz Yuna. Auch wenn ich noch nicht viel über das Leben an sich wusste, so war ich mir sicher, dass die Verbindung zwischen mir und Yuna über Verliebtheit hinausging. In der Zeit, in der wir uns schon kannten, war sie mir so wichtig geworden, dass mir ein Leben ohne sie sinnlos erschien. Wir ergänzten uns. Während sie redete und mich die Welt mit ihren Augen sehen ließ, hörte ich zu und versuchte, ihr ein Gefühl der Geborgenheit zu geben. Sie erfüllte mich mit Leben, während ich ihr Ruhe gab.

Die Nacht nahm ihren Lauf und Yuna schlief weiter seelenruhig an meiner Schulter. Nichts deutete darauf hin, dass sie von Alpträumen geplagt wurde. Ich würde ihr so gerne dabei helfen, die Dinge, die sie gesehen haben musste, zu verarbeiten. Doch das blieb mir verwehrt. Deshalb blieb mir nichts anderes über, als zu versuchen, sie aufzuheitern. Und mir kam auch schon eine Idee.

Obwohl mein ganzer Körper durch meine Regungslosigkeit schon schmerzte, harrte ich aus, bis Yuna verschlafen blinzelnd die Augen aufschlug. Mittlerweile stand die Sonne schon am Himmel und ließ ihre braunen Augen golden leuchten. Das brachte mich auf den Gedanken, dass ihre Augen ja eigentlich blau waren. Nur konnte ich es nicht sehen. Ebenso wenig wie ihre Fuchsohren und ihren Fuchsschweif. Ich musste Yusei wirklich einmal fragen, ob es eine Möglichkeit gab, auch ohne magische Begabung Magie sehen zu können. Es erschien mir lächerlich, dass ich jemals Angst vor Yuna gehabt hatte, nur weil ich herausgefunden hatte, dass sie eine Kitsune war. Das war genau so ein dämliches Vorurteil gewesen wie die Tatsache, dass ich Zeit meines Lebens geglaubt hatte, dass Geld den Wert einer Person bestimme. Ich war nun eher vom Gegenteil überzeugt. Geld sorgte dafür, dass man so machtgierig wie mein Vater wurde. Je mehr man hatte, desto mehr wollte man. Das war mir nun klar. Am Anfang, als ich das erste Mal in einem Bett, das nicht von bester Qualität war, geschlafen hatte, hatte ich mir gedacht, wie ich jemals außerhalb des Anwesens überleben sollte. Doch ich hatte mich daran gewöhnt. Und nun fühlte ich mich freier denn je.

Yuna löste sich nun langsam von mir. Sie sah sich kurz verwirrt um, als müsste sie überlegen, wo sie war. Dann heftete sich ihr Blick auf mich. Dankbarkeit und Wärme lag darin. „Du bist wegen mir die ganze Nacht hier sitzen geblieben?", fragte sie etwas ungläubig. Ich nickte zustimmend. „Wer bist du und was hast du mit Takashi gemacht?", fragte sie mich gespielt misstrauisch und kniff die Augen zusammen, ehe sie laut loslachte. Es war schön, dass sie wieder lachte. Noch immer hatte ich ihr tränennasses Gesicht, das im Mondlicht leichenblass ausgesehen hatte, vor Augen. Nun aber hatte ihr Gesicht wieder etwas Farbe und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.

Die letzte Kitsune [wird neu geschrieben]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt