Abschied

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Ich stand im Bad und bürstete mir meine Haare. Kurz horchte ich auf, weil ich meinte, leise Schritte zu vernehmen. Aber wahrscheinlich hatte ich mir das nur eingebildet. Nachdem ich mir die Haare gebürstet hatte, löschte ich das Licht im Bad. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Aber da ich, seit meine Kräfte als Kitsune erwacht waren, besser im Dunkeln sehen konnte, fand ich mich problemlos im Raum zurecht. Ich musste lächeln, als ich an die Reitstunde mit Arashi dachte. Auf ihm zu reiten war ganz anders als bei Yuki. Bei ihm hatte ich das Gefühl, pure Kraft und Energie unter mir zu haben. Und doch war er feinfühlig und reagierte auf das leiseste Stupsen meiner Ferse. Durch meine Erfahrung mit Tieren war es mir ein Leichtes, mithilfe kleinster Signale mit ihm zu kommunizieren. Auch wenn meine Haltung beim Reiten Takashis Meinung nach noch zu wünschen übrig ließ, saß ich schon sicher im Sattel.

Doch auch wenn ich meinen Spaß beim Reiten hatte, frustrierte es mich immer mehr, dass ich hinsichtlich meiner Kräfte und des Tempels kein bisschen schlauer als am Anfang war. Über den Tempel wusste ich immer noch nichts. Es könnte sogar sein, dass er überhaupt nicht existierte. Zwar lag es nicht in meiner Natur, Dinge negativ zu betrachten, aber diese elende Warterei brachte mich ans Ende meiner Geduld. Und auch hinsichtlich meiner Fähigkeiten kam ich nicht voran. Manchmal probierte ich abends, Fuchsfeuer oder auch Illusionen zu erschaffen, aber es funktionierte nicht. Scheinbar war das Feuer, das ich bei dem Bärenangriff erzeugt hatte, eine einmalige Angelegenheit gewesen. Immerhin konnte ich mich immer noch problemlos in einen Fuchs verwandeln. Zumindest etwas.

Als ich mich in mein Bett legte, schob ich meinen Frust beiseite. Meine Großmutter hatte immer gemeint, dass man negativen Ballast nicht mit in das Land der Träume bringen sollte. So sorgte man dafür, dass man einen erholsamen Schlaf hatte. Ich rief eine glückliche Erinnerung hoch. Damals war es Sommer gewesen. Wir waren an einem der Gebirgsbäche gewesen, um Fischfallen zu legen. Unabsichtlich war ich den Bach gefallen. Unvorbereitet war das nicht sehr angenehm gewesen, da die Gebirgsbäche auch im Sommer ziemlich kalt waren. Eigentlich hatte ich erwartet, dass mir meine Großmutter aus dem Bach helfen würde. Aber stattdessen war sie zu mir in das kalte Wasser gekommen und hatte angefangen, mich anzuspritzen. Schon bald war eine wilde Wasserschlacht im Gange gewesen. Am Schluss waren wir beide völlig durchweicht und außer Atem vor Lachen gewesen. Klatschnass, aber rundum glücklich waren wir schließlich aus dem Bach gestiegen und hatten uns auf die sonnenbeschienene Wiese gelegt, um uns zu trocknen.

Diese Erinnerung zauberte auch jetzt ein Lächeln auf mein Gesicht. Aber trotzdem spürte ich eine Träne über meine Wange rinnen, da mir mit solchen Erinnerung auch immer wieder bewusst wurde, dass ich sie nie wieder sehen würde. Obwohl es jetzt schon einige Zeit her war, dass sie gestorben war, gab es immer noch Nächte, in denen ich mich in den Schlaf weinte.

Doch heute verdrängte ich die Trauer und versuchte, meinen Kopf von allen Gedanken zu reinigen. Tatsächlich schlief ich kurz darauf ein.

Schon wieder befand ich mich an diesem gigantischen Baumskelett, an dessen Fuß rosa Blüten wuchsen. An dem Ort, an dem mir Tsukiko vom Tempel der sprechenden Sterne erzählt hatte. Auch heute trat sie majestätisch auf mich zu und das Blau ihres Fells schimmerte beinahe magisch. Diesmal wartete ich geduldig ab, bis sie das Wort an mich richtete. Wie das letzte Mal setzte sie sich hin und schaffte es, sogar bei dieser banalen Bewegung anmutig auszusehen. Dann fing sie an zu sprechen: „Einige Zeit ist vergangen, seit wir uns an eben jenem Baum getroffen haben. Damals wie heute habe ich eine wichtige Botschaft für dich. Ich habe dir aufgetragen, den Tempel der sprechenden Sterne zu finden und somit auch deine Bestimmung. Doch nicht nur dein Schicksal entscheidet sich dort. Du wirst einen mutigen Begleiter bei dir haben. Noch heute Nacht werdet ihr aufbrechen." Meine Gedanken überschlugen sich. Noch heute Nacht sollte ich aufbrechen? Aber wie würde ich den Tempel finden? Und wer war mein Begleiter? Doch nicht etwa Takashi. Er war zwar freundlich, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er mich wirklich gern hatte. Als hätte Tsukiko meine Gedanken erraten, sprach sie: „Dein Begleiter wird sich dir bald offenbaren. Und sorge dich nicht, dich zu verirren. Die Sterne rufen dich und werden dich zu ihnen führen." Bevor ich weiter nachfragen konnte, packte etwas meine Schultern.

Eine Stimme sagte leise: „Aufwachen!" Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in die sturmgrauen Augen von Takashi. Verwirrt blinzelte ich ihn an. „Wir müssen los.", meinte er knapp. „Nimm dir alles mir, was für einen langen Ritt nützlich sein kann." Zu überrumpelt, um zu widersprechen stand ich auf und nahm die Tasche, die ich von meinem ehemaligen Zuhause mitgenommen hatte. Ich packte Gewänder aus dem riesigen Kleiderkasten ein. Natürlich suchte ich mir einigermaßen schlichte und praktikable Kleidung. Als ich fertig war, warf ich Takashi, der noch immer bei mir im Zimmer stand, einen fragenden Blick zu. „Mein Vater ist verrückt und deswegen hauen wir ab.", erklärte er schroff. Ich öffnete schon den Mund, um noch etwas zu fragen, aber er kam mir zuvor und meinte knapp: „Details später." Er drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Ich folgte ihm. Sein Weg führte uns ins Erdgeschoß, Richtung Bibliothek. Mir fiel auf, dass auch Takashi eine gepackte Tasche bei sich trug. In der Bibliothek zog er, ohne lange zu suchen, ein Buch aus einem der Regale. Und das ohne eine richtige Lichtquelle. Wahrscheinlich kannte er die Bibliothek schon in und auswendig. Das Buch, was er herausgezogen hatte, war ein eher eine Mappe, in der allerlei Karten aufbewahrt wurden. Ich vermutete mal zur Orientierung. Halb erwartete ich, dass er nun die Bibliothek verlassen würde, aber stattdessen ging er zu der Türe, die zu Hishos Büro führte.

Ich ging ihm hinterher. Ohne anzuklopfen riss er die Türe auf. Ich blieb im Türrahmen stehen und beobachtete interessiert, was er nun machen würde. Er ging zu Hisho und half ihm, aufzustehen. Das überraschte mich. Zwar kannte ich den alten Mann nicht besonders gut, aber ich hatte schon mitbekommen, dass er sich nicht gerne helfen ließ. Sobald Hisho aufgestanden war, zog ihn Takashi an sich. Er klammerte sich regelrecht an den alten Mann, als wäre der Fels, der ihn vor dem Ertrinken rettete. In dem Moment begriff ich erst, wie tief die Verbindung zwischen Takashi und Hisho wirklich war. Obwohl Takashi gut einen Kopf größer als Hisho war, wirkte er wie ein kleiner Junge, der sich verzweifelt an seinen Vater klammerte. Takashi vergrub sein Gesicht an Hishos Schulter und fing an zu schluchzen. Hisho streichelte sanft seinen Rücken, aber auch ihm liefen Tränen das Gesicht hinunter. „Leb wohl, mein Junge.", sagte Hisho und seine Stimme brach. „Leb wohl." Die Gesichter der beiden glänzten tränennass, als sie sich voneinander lösten. Hisho sah Takashi lange in die Augen. Man konnte sehen, wie sehr er Takashi liebte. Man konnte ihre tiefgreifende Verbindung schon fast wie ein leuchtendes Band zwischen ihnen sehen. Nach ein paar Sekunden riss sich Takashi los und trat zu mir. Hisho setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Sein Blick ruhte auf uns beiden und ein wissender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Takashi schwieg, als er die Tür hinter sich schloss. „Jetzt holen wir uns noch Proviant, dann satteln wir die Pferde und sind auf und davon.", erklärte er mit erstickter Stimme.

Wir taten, was Takashi gesagt hatte. Im Stall hatte ich Takashi gefragte, ob sein Vater uns nicht erwischen würde. Er hatte nur gemeint, dass dieser beschäftigt sei. Ich glaubte ihm das einfach. Aus der Sattelkammer holte sich Takashi für jedes der Pferde Satteltaschen und packte dort ein Halfter sowie notwendiges Putzzubehör ein. Wir führten sie gesattelten Pferde aus dem Stall heraus. „Wir werden einen Hinterausgang nehmen, der sonst nur für die Entsorgung des anfallenden Mists benutzt wird.", erklärte er. Er half mir, auf Arashi zu steigen und stieg dann selbst auf Inazuma auf. Das Klappern der Hufe hallte unheimlich auf dem Hof wider. „Beeilen wir uns.", meinte Takashi. Er ritt voran und wir verließen das Anwesen durch den besagten Hinterausgang. Sobald die Pferdehufe auf das weiche Gras trafen, atmete ich hörbar aus. Nun konnte man uns nicht mehr hören. Takashi hielt Inazuma kurz an und warf einen letzten Blick darauf, der wohl ein stummes „Leb wohl" sein sollte. Wahrscheinlich waren seine Gedanken gerade bei Hisho. Er hatte mit ihm wohl eine ähnlich tiefe Verbindung wie ich mit meiner Großmutter. Ich wusste, wie schwer es ihm fiel, ihn zurückzulassen. Und doch tat er es. Mir wollte nicht ganz eingehen, dass er das wirklich für mich tat. Doch es schien so. Mochte er mich mehr, als er zugab? Vielleicht würde ich es auf unserer Reise herausfinden.


Die letzte Kitsune [wird neu geschrieben]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt